Die Ver-Talkung der Politik

Warum der neue Chef des Grimme-Instituts eine Qualitätsoffensive im Fernsehen für möglich hält

Gibt es Chancen für eine Qualitätsoffensive im Fernsehen? Bernd Gäbler, neuer Chef des Marler Adolf-Grimme-Instituts, will sich diese Illusion nicht nehmen lassen.

„Wenn ARD und ZDF klug wären“, sagte Gäbler bei seinem öffentlichen Debüt auf der „Cologne Conference“, „könnten sie aus der Not, bei teuren Sportrechten und aufwändigen Show-Produktionen kaum noch mithalten zu können, leicht die Tugend stärkerer publizistischer Profilierung machen.“ Das Bedürfnis danach sei selbst bei einem Massenpublikum vorhanden. „Auch Fernsehzuschauer wollen, dass zum Beispiel Fragen der Präimplantationsdiagnostik nicht ausschließlich mit Jenny Elvers und Dolly Buster erörtert werden.“

Der Mann, der mit Spindludern wie Elvers und Buster das Fernsehprogramm vernaddelt und verquotet, hält Gäbler für einen naiven Traumtänzer. RTL-Informationsdirektor Hans Mahr („Wir sind doch nicht zum Selbstzweck da, wir wollen Geld verdienen“) keilte auf der „Cologne Conference“ zurück: Es sei eine irrige Annahme zu glauben, „man muss mit dem Fernsehen die Welt verändern.“ Dies solle man getrost „den Zeitungen überlassen“. Im Übrigen: „Wir haben im Fernsehen mehr Qualität als wir zugeben“, behauptete Mahr kühn und führte Quotenknüller wie „Wer wird Millionär?“ ins Feld. Das sei doch, bitteschön, „Bildungsfernsehen“.

Dass sich die Polit-Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zunehmend auf Talkshows konzentriert, sieht Grimme-Chef Gäbler mit Bauchgrimmen. Die Talkshow-Realität im deutschen Fernsehen illustrierte er mit einem O-Ton der ARD-Quoten-Queen Sabine Christiansen:

„Herr Rodenstock, haben sich die Arbeitgeber da vielleicht so’n bisschen aus der Erfahrung der letzten Monate darauf verlassen, dass es der Bundeskanzler, ich sag noch mal, der Genosse der Bosse, richten wird und es nicht ganz so angehen wird wie vielleicht gewisse Entwürfe dort mal im Raum standen, und dass nun aber der Bundeskanzler mit der Bundesregierung gesagt hat, vor der Bundestagswahl rechtzeitig schwenken wir um, besinnen uns auf unsere Klientel, auf die Gewerkschaften, reden mit ihnen verbunden über Rente und Mitbestimmung und derlei Dinge mehr, und dass da eine Kehrtwende eingetreten ist. Ist sie eingetreten? Freuen Sie sich darüber, Herr Zwickel, also bitte?“

Lernen wir da am Ende nicht wirklich mehr bei dem RTL-Quiz von Günther Jauch? „Tatsächlich macht ja die Talkshow ,Sabine Christiansen“ den Eindruck“, urteilte unlängst Sybille Simon-Zülch ungemein treffend in der „Stuttgarter Zeitung“, „als säße eine Runde Geschäftsreisender in der VIP-Lounge eines Hotels und ließe sich dazu herab, in Gegenwart einer Empfangsdame die eigenen Angelegenheiten zu besprechen.“

Vor einer Ver-Talkung der Politik hat kürzlich Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) gewarnt. Er beklagte einen „schleichenden Bedeutungsverlust“ des Parlaments, weil wichtige Debatten zunehmend in politischen TV-Talkrunden stattfänden. „Welche Sorge müssen wir uns um den Bundestag machen“, fragte Gäbler bissig, „wenn dessen oberster Repräsentant das Parlament dadurch gefährdet sieht?“

Der Chefredakteur des Nachrichtensenders n-tv, Helmut Brandstätter („Den großen kreativen Wettbewerb unter den Sendern sehe ich nicht“), empfahl Bundestagsvizepräsident Thierse allen Ernstes „seinen Bundestag spannender zu machen“, wenn er eine ernsthafte Konkurrenz durch die TV-Talkshows für das Parlament befürchte. Nach dieser Logik, schrieb Hans Hoff in der „Süddeutschen Zeitung“, käme dann „wahrscheinlich Gerhard Schröder mit der Harley durch die Scheibe gebrettert und landete mit einer lockeren Rolle am Rednerpult, stieße dort Angela Merkel in den Staub und sagte dann lässig hinter seiner Ray-Ban hervor: ,Hasta la vista, Baby.““

Grimme-Chef Gäbler jedenfalls glaubt, dass auch im Trash-Zeitalter „Wert-Schöpfung mit Wertvollem“ möglich ist – und damit eine Qualitätsoffensive im Fernsehen. „Unsere Sympathie gilt den Partisanen des Schönen, den Guerilleros der Wahrheitssuche, den klugen Blödlern, den eigensinnigen Regisseuren, Drehbuchautoren, Dokumentarfilmern und Schauspielern, den Fernsehverrückten, die ihre Zuschauer lieben und fordern“, lautete Gäblers Credo auf der „Cologne Conference“: „Qualität zielt ins Zentrum, aber Qualität kommt von den Bändern.“

Weitere aktuelle Beiträge

AfD-Einstufung zwingt Rundfunkgremien zum Handeln

Das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Verfassungsschutzes, welches zur Einstufung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Partei“ führte, wurde nunmehr durch Medien veröffentlicht. Innenminister Dobrindt ließ zunächst offen, inwiefern juristische Schritte gegen die Veröffentlichung geplant seien. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, begrüßt, dass nun öffentlich über das Zustandekommen der Einstufung diskutiert werden kann.
mehr »

RBB: Nach- und Neubesetzungen

Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) wird es voraussichtlich im Herbst eine neue Leitung der Programmdirektion geben. Es gehe darum, dann die Neubesetzung mit dem eingeleiteten Konsolidierungs- und Reorganisationsprozess aufeinander abzustimmen, erklärte der RBB auf Anfrage. Damit wird es keine schnelle Nachbesetzung der Programmdirektorenstelle geben.
mehr »

Journalismus unter populistischem Druck

Journalismus steht unter Druck. Das machte auch die Würdigung von Maria Kalesnikawa mit dem „Günter-Wallraff-Preis für Pressefreiheit und Menschenrechte“ deutlich. Dieser wurde im Rahmen des „Kölner Forum für Journalismuskritik“ an sie verliehen. Klar wird auch hier: die Branche hadert generell mit ihrer Identität.
mehr »

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »