Der Boom um den Ball

Schon jetzt werden mit der Fußball-WM 2006 gute Geschäfte gemacht

Fußball ist und bleibt die Fernsehsportart Nummer eins, die alle vier Jahre selbst solche Zuschauer mobilisiert, die der Hysterie um die 22 Männer in den kurzen Hosen sonst nicht allzu viel abgewinnen können.

Stell‘ Dir vor, es kommt Fußball, und keiner guckt zu: für viele Menschen kein Drama. Für viele andere wohl: Sie denken mit Schaudern an die Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea zurück, als ARD und ZDF den Boom um den Ball völlig falsch einschätzten und sich mit der Übertragung von zwei Dutzend Spielen begnügten. Bezahlsender Premiere freute sich: Dort gab’s sämtliche Partien von vorn bis hinten. Die öffentlich-rechtlichen Kontrahenten schauten ein bisschen dumm aus der Wäsche, weil sie selbst einen Vorrundenknüller wie die Paarung England gegen Argentinien nicht zeigen konnten.

Kein Wunder, dass die WM 2006 in Deutschland bereits viel Vorfreude weckt. Die Eintrittskarten für die im Eiltempo modernisierten Fußballtempel werden im Nu vergriffen sein. Deshalb steht es für das Organisationskomitee rund um Franz Beckenbauer völlig außer Frage, dass die WM-Spiele ins frei empfangbare Fernsehen gehören. Auch ARD und ZDF werden sich wohl die Peinlichkeit ersparen wollen, erneut nur mit Standfotos von packenden Partien berichten zu dürfen. Das dürfte höchstwahrscheinlich im Sinne der Mehrheit der Fußball-Fans sein, die ihren Lieblingssport bei beiden Anstalten gut aufgehoben wissen; anderswo würde die Qualität schon allein an mangelndem Fachpersonal scheitern.

Das große Feilschen

Für Premiere gilt das selbstredend nicht: Das Pay-TV überträgt seit geraumer Zeit mit hohem Sachverstand allwöchentlich die komplette Fußball-Bundesliga. Spätestens bei der WM 2002 hat der Bezahlsender bewiesen, dass er auch die Herausforderung eines Großereignisses problemlos stemmen kann. Hinzu kommt: Mit rund drei Millionen zahlenden Kunden hat Geschäftsführer Georg Kofler das einst notorisch als Milliardenloch verschriene, viel zu komplizierte Abo-Fernsehen endlich aus den schwarzen Zahlen geholt; doch um richtig Geld zu verdienen, müssten es noch ein paar Abonnenten mehr sein. Eine Programmware, über die Premiere exklusiv verfügen könnte, wäre da genau das Richtige. Schon jetzt aber kann man sich lebhaft den Aufschrei vorstellen, für den in gewohnter Konstellation Boulevard-Blatt „Bild“ und diverse Politiker sorgen würden. Die WM in Deutschland, und dann haben die Deutschen keinen freien Fernsehzugang? Unmöglich. Schon jetzt macht sich „Bild“ immer wieder mal gern in gewohnter Manier zum Anwalt der Fußball-Fans und warnt vor einer „Blackout-WM“.

Der Schweizer Sportagentur Infront (Zug), die die WM-Rechte vor zwei Jahren von der insolventen KirchMedia übernommen hat, kann diese Konkurrenzsituation nur Recht sein. Hier ein potentes öffentlich-rechtliches System, dort ein zahlungskräftiges (und zahlungswilliges!) privatrechtliches Pay-TV: Was will man als Kaufmann mehr. Die Konsequenz ist klar: das große Feilschen.

Ein bisschen zwischen den Fronten steht Günter Netzer. Der einstmals geniale Passgeber ist einerseits Grimme-preisgekrönter Gastkommentator der ARD, andererseits

Infront-Manager. Vermutlich dürfte ihm ein Deal mit ARD und ZDF lieber sein, doch in jedem Fall ist er in erster Linie Geschäftsmann: Wenn sich eine andere Konstellation finden sollte, werden ihn die zusätzlichen Millionen darüber hinwegtrösten, dass ihm die schon lange nicht mehr originellen Kalauer seines Bildschirmpartners Gerhard Delling erspart bleiben.

Und es geht in der Tat um viele Millionen. Infront ist mit der gigantischen Forderung von 435 Millionen Euro für sämtliche Spiele in die Diskussion eingestiegen; ein Preis, den ARD und ZDF nicht zuletzt angesichts der derzeitigen hitzigen Diskussion um eine moderate Gebührenerhöhung nie im Leben rechtfertigen könnten. Andererseits dürften deren momentane Vorstellungen auch für Infront nicht verhandelbar sein: Die öffentlich-rechtlichen Sender bieten mit 250 Millionen Euro gerade mal mehr als die Hälfte. Im erfolgreichen Verhandlungsfall kämen außerdem noch mal 50 Millionen oben drauf, denn die ist man noch für die WM 2002 schuldig; gezahlt werden müssen sie allerdings nur, wenn ARD und ZDF tatsächlich auch den Zuschlag für die WM 2006 erhalten.

Millionen-Paket unter mehreren aufteilen

Dies vorausgesetzt, sind verschiedene Szenarien möglich: ARD und ZDF kaufen sämtliche Rechte und verteilen die zumindest während der Vorrunde mitunter auch zeitgleich stattfindenden Spiele auf ihre Töchter; das funktioniert beispielsweise während der Olympischen Spiele prächtig, wenn weniger prominente Sportarten bei 3sat übertragen werden. Oder man versucht, wenigstens einen Teil der riesigen Geldmenge wieder reinzubekommen und holt RTL oder SAT.1 mit ins Boot. Die wiederum werden sich vermutlich nicht mit völlig unattraktiven Begegnungen abspeisen lassen.

Ebenfalls denkbar: ARD und ZDF pfeifen auf das Stakkato des Boulevard, lassen zumindest ansatzweise wirtschaftliche Vernunft walten und setzen auf den Modus der letzten WM. Das wäre immer noch teuer genug, würde aber die wichtigsten Begegnungen umfassen: Eröffnungsspiel, Halbfinals und Finale, sämtliche Auftritte der deutschen Mannschaft sowie an deutschen Ruhetagen das „Spiel des Tages“; 25 Partien wären es insgesamt.

Konkrete Angaben zum aktuellen Verhandlungsstand sind weder von den Sendern noch von Infront zu erfahren. In der Branche kursiert allerdings die Erwartung der Fußballvermarkter, allein in Deutschland 370 Millionen Euro für die WM-Rechte einzunehmen. Diese Zahl soll sich auf den Fall beziehen, dass das WM-Paket unter mehreren Sendern aufgeteilt wird. Das wäre immer noch eine Menge Geld. Zum Vergleich: Für die WM 2002 haben ARD und ZDF 250 Millionen gezahlt; Mark, wohlgemerkt. Bei der WM 1986 in Mexiko genügten gar 45 Millionen Euro, um die gesamten Fernsehrechte zu kaufen; für die beiden Weltmeisterschaften 2002 und 2006 musste KirchMedia dem Weltfußballverband Fifa hingegen insgesamt 1,8 Milliarden Euro zahlen.

Auf zu neuen Ufern

In dieser Größenordnung bewegen sich auch die Prognosen eines Unternehmens, das ebenso wie KirchMedia in den vergangenen Jahren eher für Negativschlagzeilen gesorgt hat: EM.TV, einst das Lieblingskind des Neuen Marktes, das auf dem Papier vorübergehend mehr Wert war als die Lufthansa, hat sich von der Börsenpleite mehr oder weniger gut erholt und will zu neuen Ufern aufbrechen. Die WM 2006 kommt da gerade recht. Schon vor zwei Jahren hat EM.TV die weltweiten Vermarktungsrechte erworben und sich damit höchstwahrscheinlich einen Knüller gesichert. Sollte die deutsche Mannschaft wie zuletzt bis ins Endspiel vorstoßen, ist mit einer immensen Nachfrage nach Souvenirs aller Art zu rechnen. EM.TV plant mit Partner KarstadftQuelle 300 Verkaufsstellen, um Schals, Trikots, Kappen, Tassen, Spielzeug etcetera anzubieten. Die Vermarktungsfirma hofft auf einen Umsatz von 2 bis 2,5 Millionen Euro, davon allein 1,5 bis 2 Millionen in Europa.

 

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