Tageszeitungen mischen mit beim Rundfunk in Niedersachsen
In Hannover, im Raum Braunschweig-Wolfsburg und in Osnabrück werden demnächst werbefinanzierte Lokalradios auf Sendung gehen. Die Niedersächsische Landesmedienanstalt (NLM) hat am 4. Juli die Lizenzen für zwei neue Hörfunksender erteilt, die dritte wird wohl im September folgen. Ganz vorn mit dabei: die Verleger der lokalen Tageszeitungen.
Für Hannover wurde ein Programm mit dem wenig einfallsreichen Arbeitstitel „Radio Hannover“ lizensiert. Die Betreibergesellschaft („Radio Hannover GmbH i. Gr.“) gehört einer Investorengruppe unter Führung des Medienberaters Fred Dohmen aus Sindelfingen/ Baden-Württemberg. Ein zweiter Bewerber, die „Mainstream Media AG“ des ehemaligen Leo-Kirch-Geschäftsführers Gottfried Zmeck, zog seinen Antrag wieder zurück. Der lokale Medienriese Madsack hatte kein Angebot abgegeben.
Auswahlentscheidung
Für Braunschweig/Wolfsburg musste die NLM eine Auswahlentscheidung treffen. Den Zuschlag erhielt hier „Radio 38“, ein Projekt, das von insgesamt 13 Gesellschaftern getragen wird. Den größten Anteil hält mit 43 Prozent der zum WAZ-Konzern gehörende Braunschweiger Zeitungsverlag, es folgt mit 16% die VMG Verlags- und Medien GmbH, Betreiber von radio SAW in Sachsen-Anhalt. Mit 10% ist auch der Wolfsburger Logistik-Unternehmer und Ex-Oberbürgermeister Rolf Schnellecke dabei. Dieser machte unlängst landesweit Schlagzeilen wegen seiner angeblichen Verwicklung in unzulässige Wahlkampfhilfen für die CDU durch die Wolfsburger Stadtwerke bzw. deren Pressesprecher. Geschäftsführer des Senders ist Manfred Friesinger (früher u.a. NRJ und Klassik Radio). „38“ steht für die ersten Ziffern der Postleitzahlen des Gebietes und ist bereits Bestandteil mehrerer anderer Markennamen im Umfeld des Braunschweiger Zeitungsverlages, vor allem im Internet („deal38“, „immo38“ usw.). Gegenkandidat war „Radio BWR eins“. Dieser Sender hat bereits seit dem letzten Jahr eine Hörfunklizenz und ist seitdem im regionalen Kabelnetz und im Internet aktiv. Auf UKW 90,5 MHz wurde schon mehrmals zu besonderen Ereignissen ein „Veranstaltungsrundfunk“ durchgeführt. Die Hauptbeteiligten kommen ebenfalls aus der Region, waren zuvor aber nicht im Mediengeschäft vertreten. Es handelt sich vielmehr um eine Wurstfabrik und den Betreiber einer Kartbahn.
Chancengleichheit?
Es mag schon verwundern, dass sich ein existierendes Programm nicht gegen ein Projekt durchsetzen konnte, das bisher nur auf dem Papier steht. Aus der Tatsache, dass „BWR eins“ schon auf Sendung ist, „ergibt sich kein Abwägungsvorteil“, erklärte dazu ein Vertreter der NLM. Beide seien mit der gleichen Chance ins Rennen gegangen. „Wenn man die beiden Anträge nebeneinander legt“, so sei das Konzept von Radio 38 als fundierter erschienen.
Die Besorgnis, dass die Beteiligung der großen Tageszeitung mit ihrer marktbeherrschenden Stellung eine Gefahr für die Meinungsvielfalt darstellen könne, lässt man bei der NLM nicht gelten. Seit Januar 2011 erlaubt das Niedersächsische Mediengesetz den Zeitungsverlegern – auch in den sogenannten Ein-Zeitungs-Regionen – eine Beteiligung an lokalen Rundfunksendern unterhalb von 50 Prozent (vorher: unter 25%). Diese neue Regelung war 2010 schon im Vorfeld vom damaligen NLM-Direktor Reinhold Albert verteidigt worden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Betreiber „geeignete Vorkehrungen gegen das Entstehen vorherrschender Meinungsmacht“ trifft. Das sind z. B. die Einrichtung eines Programmbeirates, die Verabredung eines Redaktionsstatuts oder die Einräumung von Sendezeit an unabhängige Dritte. Diese Bedingungen habe der Antragsteller erfüllt. Nach den vorgelegten Unterlagen sei von Radio 38 sogar ein „höherer Vielfaltsbeitrag“ zu erwarten als vom Konkurrenten.
Der unterlegene Bewerber hat mittlerweile Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Stefan Domeyer wirft der NLM „Ermessensfehler“ bei der Auswahlentscheidung vor. Das rücksichtslose Vorgehen des Konkurrenten erklärt er dadurch, dass der Verlag den „Leserschwund“ bei der BZ kompensieren wolle.
Späterer Sendebeginn
Wann die Sender ihren Betrieb aufnehmen können, ist noch nicht bekannt. Im Gegensatz zu früheren Vergabeverfahren ist die Koordinierung noch nicht abgeschlossen. Schätzungen gehen von „mindestens drei bis sechs Monaten“ bis zum Sendebeginn aus. Die Braunschweiger Zeitung nannte Anfang 2013 als Starttermin. In demselben Bericht versicherte sie vorauseilend, „eine redaktionelle Verbindung zur BZ werde es nicht geben“.
Zurzeit läuft das Vergabeverfahren für die Region Osnabrück. Wie in Braunschweig haben sich zwei Bewerber gemeldet. Auch hier ist in einem Fall die lokale Tageszeitung (Neue Osnabrücker) beteiligt – diesmal sogar mit 49 Prozent. Weitere 49% hält der Bielefelder „audio media service“, der mehrere Lokalsender in Ostwestfalen-Lippe betreibt und hinter dem die „Neue Westfälische“ steht. Zünglein an der Waage mit zwei Prozent: die Oldenburger Nordwest-Zeitung über ihre Tochter NWZ Funk und Fernsehen.
Und ebenso wie in Braunschweig ist der Konkurrent ein bereits bestehender Sender. „TeutoRadio“ ist bislang allerdings nicht in Osnabrück, sondern in den Kabelnetzen der benachbarten nordrhein-westfälischen Kreise Herford und Minden zu hören. Hauptgesellschafter sind Kannenberg GmbH – sie stellt Werkzeuge für die Holzbearbeitung her – und teutomedia GmbH, ebenfalls im Besitz von Andreas Kannenberg. Eine Entscheidung über die Lizenzvergabe ist frühestens Mitte September zu erwarten.
Abseits der großen Ballungsräume hält sich das Interesse an kommerziellem Lokalfunk anscheinend in Grenzen. Für den Raum Oldenburg, wo die Ausschreibung zusammen mit Hannover und Braunschweig erfolgte, meldete sich kein einziger Interessent. Weitere „Bedarfsanmeldungen“ gibt es laut Auskunft der NLM bislang nur aus zwei Gebieten: von den Ostfriesischen Inseln und aus Neustadt am Rübenberge. Großstädte wie Oldenburg, Hildesheim oder Göttingen werden wohl bis auf weiteres nicht in den Genuss eines neuen Lokalradios kommen.