Silentium

„Ein Österreicher, der immer ein gemeiner Nazi oder ein stupider Katholik ist, ist mit großer Wahrscheinlichkeit der gefährlichste Mensch überhaupt“: So wetterte Thomas Bernhard Mitte der Achtziger in seinen „Alten Meistern“, und wie es scheint, bestätigen sich seine Eindrücke noch heute.

Zumindest kommen der österreichische Autor Wolf Haas und der Regisseur Wolfgang Murnberger, der seinen Krimi „Silentium“ kongenial verfilmt hat, zu einem ähnlich haarsträubenden Fazit über die Mentalität der Österreicher. Nur dass ihre bitterböse Satire nicht in Wien spielt, sondern in Salzburg, der weltberühmten Festspielstadt. Dort ereignet sich eine Serie von angeblichen Selbstmorden. Prominentestes Opfer ist der Schwiegersohn des Festspielpräsidenten, der den Bischof seiner pädophilen Neigungen wegen angegriffen hatte. Im Auftrag von dessen Witwe ermittelt Privatdetektiv Brenner alias Josef Hader. Schnell dämmert es ihm, dass Festspielleitung und katholische Kirche gleichermaßen in kriminelle Machenschaften verwickelt sind. Zwischen Felsenreitschule und Knabeninternaten treiben Auftragskiller und Mädchenhändler ihr Unwesen. Die Heroen der Hochkultur entpuppen sich als schmierige Narzissten und schleimige Opportunisten, die Kirchenbosse als Teufel im Priestergewand. Allen voran der Sportpräfekt, stets die Güte in Person vorspiegelnd und doch ein bigotter Zuhälter und Faschist, der unliebsame Gegner in der Dusche (!) beiseite schafft. Zugegeben: Wir haben es nicht mit einer Dokumentation zu tun, und doch beschleicht einen das Gefühl, dass die Hintergründe realer sein mögen als man es wahrhaben möchte. Gerade die drastischen Überzeichnungen lassen das erahnen.

Murnberger würzt seine Groteske trefflich mit schwarzem, lakonischen Humor, vielen Doppelbödigkeiten und makabren Assoziationen. Neben dem ausgekochten Drehbuch sind es die exzellenten Schauspieler, die den Film zu einem Ereignis machen, mit soviel Widerwärtigkeit, dass einem übel wird: neben Joachim Król als fieser Präfekt brillieren Udo Samel als skrupelloser Festspielpräsident, Jürgen Tarrach als feister, lüsterner Sängerstar sowie Christoph Schlingensief, der sich selbst prima auf die Schippe nimmt.

Übrigens: Bei Salzburger Politikern kam „Silentium“ schlecht an. Nachdem sie den Film gesehen hatten, den sie erst so großzügig als Salzburg-Projekt begeistert förderten, wollten sie im Vorspann wieder gestrichen werden.

Info:

Regie: Wolfgang Murnberger
Darsteller: Josef Hader, Joachim Król, Udo Samel, Simon Schwarz, Maria Köstlinger, Jan Neumann, Jürgen Tarrach
Kamera: Peter von Haller
110 Min.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Filmtipp: Führer und Verführer

Das herausragend gute Doku-Drama von Joachim A. Lang, Schöpfer des fulminanten Brecht-Werks „Mackie Messer“, dechiffriert mit einer Mischung aus Spielszenen, dokumentarischem Material und Interviews mit Holocaust-Überlebenden die Propaganda-Strategien von Joseph Goebbels.
mehr »

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »

Für eine Handvoll Dollar

Jahrzehntelang konnten sich Produktionsfirmen auf die Bereitschaft der Filmschaffenden zur Selbstausbeutung verlassen. Doch der Glanz ist verblasst. Die Arbeitsbedingungen am Set sind mit dem Wunsch vieler Menschen nach einer gesunden Work-Life-Balance nicht vereinbar. Nachwuchsmangel ist die Folge. Unternehmen wollen dieses Problem nun mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen.
mehr »

Tarifverhandlungen für Zeitungsjournalist*innen

Bereits Ende Mai haben die Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und dem Zeitungsverlegerverband BDZV begonnen. Darin kommen neben Gehalts- und Honorarforderungen erstmals auch Regelungen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Sprache.
mehr »