«M» sprach mit Bertelsmann-Kritiker Hersch Fischler
Der Soziologe Hersch Fischler veröffentlichte 2004 gemeinsam mit Frank Böckelmann das Buch „Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums“ im Eichborn-Verlag. 1998 hatte er enthüllt, dass das Unternehmen während der Zeit des Nationalsozialismus nicht wie behauptet Widerstand leistete.
Auslöser für seine damaligen Recherchen war, dass es einem Sternredakteur 1992 untersagt wurde, neue Dokumente zum Reichstagsbrand zu publizieren, welche die Spiegel-Enthüllung der Alleintäterschaft Marinus van der Lubbes erschütterten. Bertelsmann ist an beiden Publikationen über Gruner + Jahr beteiligt.
«M»: Wie schätzen Sie die Interessen der Bertelsmann-Stiftung ein?
Hersch Fischler: Die Bertelsmann-Stiftung ist teilweise extrem marktwirtschaftlich ausgerichtet. Das Tandem Bertelsmann-Konzern und Bertelsmann-Stiftung bietet enorme Möglichkeiten, die politische Landschaft zu beeinflussen. Daher muss man die Stiftung als Akteur ernster nehmen als bisher. Gleichwohl gibt es in den Medien überhaupt keine Erwägungen in die Richtung, ob durch ein Übermaß an Medien-Konzentration und Kapitalmacht der Einfluss von Bertelsmann über diese Bertelsmann-Unternehmensstiftung auf die Politik unkontrollierbar geworden ist.
«M»: Welche Durchschlagskraft haben die Vorschläge?
Fischler: Es ist schwer zu beurteilen, wie groß der Wirkungsgrad hinsichtlich der Umsetzung der Vorschläge tatsächlich ist. Im Bereich der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik war er bisher sehr hoch – man denke an die Hartzgesetze und die Gesundheitsreform. In der Außen- und Kulturpolitik ist es schwieriger messbar. Das sollten Politikwissenschaftler mal untersuchen.
«M»: Auf welche Weise nützen die Aktivitäten der Stiftung dem Medienkonzern?
Fischler: Es ist etwas anderes, ob man sich politischen Entscheidungsträgern als Konzern oder als Stiftung nähert. Wenn man über die Stiftung als Sponsor eines Politikforschungszentrum auftritt, das den Rahmen für nützliche Beratungsgespräche bietet, ist das sicherlich ein Vorteil. Hier wird die Bahn in einem Ausmaß geölt, das man kaum für möglich hält. Das scheint mir auch der wesentliche Aspekt der Ostaktivitäten zu sein. Die Bertelsmann-Tochter RTL will künftig ja verstärkt in Osteuropa investieren. Für Medienkonzerne sind politische Beziehungen das A und O.
«M»: Heimlichtuerei lässt sich der Stiftung nicht vorwerfen. Immerhin hat sie ihr Weißrussland-Papier auf ihrer Website veröffentlicht.
Fischler: Die Bertelsmann-Stiftung agiert möglichst offen, indem sie für ihre Lobbyaktivitäten einen unverfänglichen Rahmen geschaffen hat – am Fall Leo Kirch hat sich gezeigt, wie schädlich es ist, wenn Lobbyismus den Anschein erweckt, er würde im Verborgenen passieren. In dem Weißrussland-Papier schlägt die Bertelsmann-Stiftung vor, was Organisationen der Europäischen Union tun sollen. Die Vorschläge halten sich alle im demokratischen Rahmen, ja setzen sich ein für Werte wie Pluralismus und Meinungsfreiheit. Früher aber hätten Medien wie der Stern und der Spiegel sofort den Verdacht geäußert, dass hier ein Unternehmen über seine Kapitalmacht seine Vormacht durchsetzen will. Entsprechend wurden Axel Springer und Leo Kirch auch immer wieder kritisiert. Sie würden die Sozialordnung der BRD durch ihr marktwirtschaftlich-kapitalistisches Engagement gefährden.
«M»: Warum genügt es nicht, wenn die Stiftung ihre Ergebnisse publiziert?
Fischler: Neben der Sphäre der öffentlichen Papiere, Kongressberichte und Forschungsprojekte gibt es die Ebene der Treffen mit den politisch relevanten Akteuren. Hier herrscht sehr viel weniger Transparenz. Kanzlerdialoge sind vertraulich, auch über den Inhalt von Gesprächen mit Vertretern anderer Staaten erfährt man nichts. Die Körber-Stiftung ist vergleichsweise transparenter. Über die von ihr organisierten Bergedorfer Gespräche lassen sich Teilnehmerlisten im Internet und Redebeiträge im Protokoll abrufen.
«M»: Versagen im Fall Bertelsmann die Medien als gesellschaftliches Kontrollorgan?
Fischler: Die Medien sollten herausfinden, wie weit die Transparenz bei Bertelsmann geht. Allerdings arbeiten die Journalisten, die regelmäßig Großunternehmen unter die Lupe nehmen, meistens bei Bertelsmann-Medien. Die berichten aber wenig über die politischen Aktivitäten der Stiftung. Für mich ist daher klar, dass Bertelsmann nicht an Transparenz interessiert ist, sondern primär Konzerninteressen durchsetzen will. Die Stiftung ist für Reinhard Mohn vor allem ein großer Transmissionsriemen. Er will die Gesellschaft effizienter gestalten, was für ihn bedeutet: Niedrige Sozialabgaben und niedrige Steuern.
Das Gespräch führte Christiane Schulzki-Haddouti