Forum Lokaljournalismus auf der Suche nach Auswegen
Auf dem 19. Forum Lokaljournalismus in Waiblingen Ende Januar sprach sich Uwe Ralf Heer, Chefredakteur der Heilbronner Stimme dafür aus, dass die gedruckte Tageszeitung das Kerngeschäft der Verlage bleibe, dass es auf journalistische Qualität ankäme und darauf, die lokale Kompetenz zu erhalten.
Damit widersprach Heer eher furchterregenden Visionen des niederländischen Journalisten Bart Brouwers über die Zukunft des Lokaljournalismus. Brouwers baut für die Mediengruppe Telegraaf an einem „hyperlokalen Netzerk“, mit dem der künftig alle 16 Millionen Holländer erreichen will: „Dichtbej“ (übersetzt etwa: Nah dran) heißt das Angebot. Dazu will er alles einsetzen, was sich aus einer medialen Kanone abschießen lässt: klassische journalistische Texte, kommerzielle Werbung, beides ununterscheidbar, Blogs, sublokale Infos und Anzeigen, Leserreporter und automatisierte Nachrichtenaggregation. In diesem Medienbild agieren Journalisten als unternehmerische Journalisten. Standards wie die Trennung von journalistischer Leistung und Kommerz spielen keine Rolle mehr. Und notfalls geht schnell vor sorgfältig. Man könne ja, so der flotte Visionär, Fehler oder Irrtümer im Netz schnell korrigieren.
Gleichwohl kann man die gierige Vision eines Bart Brouwer auch werten als Ausdruck für die Krisenstimmung in der Branche und über die Suche nach Auswegen. Lokal- und Regionalblätter verlieren weiterhin an Auflage. Gerade auch die Lokalblätter sehen sich durch Internet, Facebook und Twitter in eine Umbruchsituation gebracht, deren Ausgang niemand wirklich kennt. Insofern war „Die neue Architektur des Lokaljournalismus“ im Titel der Tagung angemessen, wenngleich damit der Lokaljournalismus auch nicht neu erfunden werden muss.
Aber seit zwei, drei Jahren wird in Verlagen und Redaktionen verstärkt experimentiert, mit Online, mit sozialen Netzwerken. Das Lokale als journalistischer Grundstoff bekommt höheren Stellenwert. Zu den Lesern möchten die Verlage nicht nur passive, sondern auch interaktive Beziehungen aufnehmen. Die potentielle junge Zielgruppe treibt sich in Facebook herum und befriedigt ihre Lese- und Informationsbedürfnisse dort. In den Redaktionen setzen sich, keineswegs konfliktlos, neue Formen von Arbeitsteilung durch. Hier die Reporter, die draußen den medialen Stoff und die lokalen Staubkörnchen aufkehren, dort die Editoren, die den Content multimedial auf die verschiedenen Kanäle verteilen.
Auf Social media und mobile Anwendungen richten sich derzeit viele Hoffnungen, aus der Krise der Printmedien herauszukommen. Böblinger und Sindelfinger Zeitung zum Beispiel suchen Kontakt mit Lesern und Nicht-Lesern über Fanseiten auf Facebook. Die Mitarbeiter der Zeitungen wurden dazu angehalten, selbst eigene Facebook-Profile zu unterhalten, was sie angeblich auch mit Begeisterung befolgt haben. Auch als Rechercheinstrument nutzen die Macher die Sozialen Netzwerke. Freilich gibt es auch den Weg über Facebook nicht zum Nulltarif. Beziehungen im Netz müssen gepflegt werden, das macht Arbeit. Wer User zur Antwort auffordert, muss ihnen auch antworten.
Neue Technik noch keine Lösung
Was ist von mobilen Anwendungen, vor allem den Applikationen auf den Smartphones und den Tablets zu erwarten? In Waiblingen versuchte die Medienberaterin Katja Riefler, den Raum der Möglichkeiten im Mobilen abzuschreiten, allerdings mit wenig überzeugenden Ergebnissen. Das meiste hat kaum mit Journalismus, viel mit Verkaufen zu tun. Geschäfte zu betreiben, von Dating bis Shopping, ist erstens keine journalistische Idee und wird zweitens von anderen schon höchst erfolgreich betrieben. Und ob auf die redende Visitenkarte die Welt und der Lokaljournalismus gewartet haben, sei dahingestellt. Dass Redaktionen nicht zu viele Themen in die Apps packen sollten, ist da noch die konziseste Auskunft.
Es ist auch unwahrscheinlich, dass neues technisches Gerät die Probleme des Lokaljournalismus löst, selbst wenn sie so elegant daherkommen wie etwa der Tablet-Auftritt der Frankfurter Rundschau. Darüber können Praktiker sich freuen, Widerspruch aus der Wissenschaft kann da nicht ausbleiben. Lorenz Lorenz-Meyer von der Uni Darmstadt versteht die, wenn auch mediengerecht aufbereitete, Abbildung der Zeitungsausgabe auf dem Tablet als Rückschritt. In Wirklichkeit „löst sich die Produktidentität auf“, die User würden sich künftig ihre News aus verschiedenen Quellen selbst zusammen aggregieren.
Wo bleibt bei dieser unklaren Zukunft der Journalismus? Dass guter Lokaljournalismus dringend gebraucht wird, allein aus demokratiepolitischen Gründen, hatte in Waiblingen Thomas Krüger, der Präsident des Bundeszentrale für politische Bildung, betont: „Nur mit dem vollen Einsatz seiner Stärken wird der lokale Zeitungsjournalismus überleben – mit solider und hartnäckiger Recherche, mit professioneller und glasklarer Analyse, mit profunder und kritischer Meinung“
Auch davon haben Lokalzeitungen natürlich etwas vorzuweisen. So hat der einmal als ziemlich verschnarcht geltende Bonner Generalanzeiger gezeigt, dass auch im Lokalen investigative Recherche möglich ist. Die Zeitung deckte einen Bauskandal um ein Kongresszentrum auf, eine Art „Bonn 21“. Was mit einem Artikel begann, hat sich inzwischen zu einer Serie in zahlreichen Folgen, an die hundert Artikel, ausgeweitet, mit offenem Ende. Auch handwerklich gibt es Nachahmenswertes. So hat etwa die Lokalredaktion der Stuttgarter Zeitung das Genre der lokalen Reportage wiederbelebt und zwar auf einer ganzen Seite: „120 Zeilen ist bullshit“, sagt Redaktionsleiter Michael Ohnewald.
Ohne medialen Sensationszirkus
Frank Nipkau, Leiter der Redaktion des Zeitungsverlags Waiblingen konnte nach dem Amoklauf in Winnenden am Beispiel des eigenen Verhaltens belegen, was Verantwortung im Lokaljournalismus heißen kann: auf die üblichen Rituale verzichten, nicht mitspielen im medialen Sensationszirkus, keine Fotos von Opfern veröffentlichen, nicht einfach an den Türen betroffener Familien klopfen, um Fotos zu bekommen. Und schon gar nicht Fotos aus den Sozialen Netzwerken klauen. Die Diskussion auf der Waiblinger Bühne dazu blieb freilich im Moralischen stecken. Solange sich mit Gefühlstrommelfeuer, Opferfotos und Überfallsfragen Auflage und damit Geld machen lässt, solange werden auch die Mahnungen eines Presserats ins Leere laufen.
Der ökonomische Druck auf Verlage und Redaktionen jedenfalls ist so groß wie die Unsicherheit darüber, welche Rezepte denn helfen könnten. Natürlich ist immer von Qualität die Rede. Aber ob nicht manche den Ausweg im Verzicht auf den Journalismus suchen werden, ist offen. Der Zeitungsdesigner Lukas Kircher etwa trug in einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger Überlegungen vor, die auf der Linie eines Bart Brouwers liegen: „Wo liegen die Umsätze von morgen? Wie kann ich meinen Journalismus finanzieren? Dazu gehört eine Art institutionalisierte Schizophrenie: Auf der einen Seite ein brutaler Wille zum Kommerz und eine Trüffelnase für neue Umsätze, fast unabhängig vom publishen. Auf der anderen Seite eine innovative und kreative Form von Journalismus, die ständig neue Wege sucht, Leser und Nutzer zu binden.“
Keine angenehme Aussicht für Redakteure, den Beruf als institutionalisierte Schizophrene ausüben zu müssen. Freilich auch keine unwahrscheinliche. Das große Sparen in den Verlagen geht weiter, die Tarifflucht hält an und die Arbeitsverdichtung nimmt weiter zu. Der Gegensatz zwischen den öffentlichen Reden über die notwendige Qualität und der Realität in den Redaktionen bleibt anhaltend groß.
„Salto lokale“
Fritz Wolf hat unter dem Titel „Salto lokale“ Ende 2010 für den Mainzer Mediendisput eine Recherche zur Lage des Lokaljournalismus vorgelegt. Der Report ist als PDF-Datei zugänglich über www.drehscheibe.de