Eine Bewertung des tarifpolitischen Ergebnisses des Streiks bei der „Sächsischen Zeitung“ durch Frank Werneke, den Verhandlungsführer der IG Medien
Der Streik in Dresden war mehr als ein einzelbetriebliches Ereignis. Schließlich sollte mit der Ausgliederung der Regionalredaktionen und Anzeigentreffpunkte der „Sächsischen Zeitung“, die erklärtermaßen der Tarifflucht und Absenkung des Einkommensniveau in den von der Ausgliederung betroffenen Regionalgesellschaften dienen sollte, nicht nur ein Maßstab für den Gruner + Jahr, bzw. den Bertelsmann-Konzern, zu dem die „Sächsische Zeitung“ mehrheitlich gehört, geschaffen werden. Es ging bei der Dresdener Auseinandersetzung auch darum, für die Entwicklung bei den (Zeitungs)verlagen insgesamt eine Vorentscheidung zu treffen. Dresden war ein Testfall.
Erstmals Tarifvertrag zur Ausgliederung
Positiv ist dazu sicher festzustellen, das in dieser Form erstmals eine tarifvertragliche Antwort zum Problem Ausgliederung erzielt wurde. Die dauerhafte Absicherung der von der Ausgliederung betroffenen Kolleginnen und Kollegen geht weit über das hinaus, was durch das Umwandlungsgesetz oder den § 613a des BGB möglich ist.
Praktisch gelten die Tarifverträge für den Kreis der Betroffenen dauerhaft und unveränderbar weiter und dieses einschließlich aller zukünftigen tariflichen Entwicklungen, insbesondere der Gehaltssteigerungen. Die besondere Qualität liegt zudem darin, das es sich hierbei nicht um eine einzelvertragliche Zusage handelt, von der wir leidvoll wissen, wie wenig bestandskräftig diese im Zweifelsfall ist, sondern eben um eine tarifvertragliche Regelung, die damit auch kollektiv verteidigt werden kann – einschließlich aller Arbeitskampfmittel.
Im konkreten Fall „Sächsische Zeitung“ macht diese Tarifregelung das ökonomische Ziel der Ausgliederung: die Personalkostenabsenkung durch massive Gehaltsreduzierungen und andere Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, wohl unerfüllbar. Auch deshalb hat sich Gruner + Jahr darauf eingelassen, über die drei bereits realisierten Ausgliederungen hinaus alle weiteren vorgesehenen zu stoppen und das ganze Prozedere in eine Testphase zu kleiden.
Dieser Kern des Tarifergebnisses bildet einen sehr weitreichenden tarifvertraglichen Schutz für die von Ausgliederung betroffenen Beschäftigten und kann wohl als Erfolg gewertet werden. Auch bezogen auf die Wirkung auf zukünftige Ausgliederungsversuche in anderen Betrieben.
Journalistische Unabhängigkeit im Tarifvertrag verankert
Ein weiteres wichtiges positives Element des Abschlusses in Dresden ist die Verankerung eines Kodex zur Sicherung der journalistischen Unabhängigkeit (siehe Kasten).
Auch hier liegt die besondere Qualität der Regelungen zur Sicherung der journalistischen Unabhängigkeit darin, dass es gelungen ist, diese im Tarifvertrag abzusichern und damit bestandskräftig zu machen. Man wünschte sich einen solchen Kodex als Grundlage für redaktionelle Arbeit hier und da auch bei Zeitungsverlagen, die aktuell nicht vom Thema Ausgliederung betroffen sind.
Schwachpunkte
Es gibt einen Schwachpunkt im Tarifergebnis bei der „Sächsischen Zeitung“: Über die Qualität der tarifliche Absicherung der zukünftig in den Regionalgesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wird erst nach dem Ende der jetzt vereinbarten Testphase, also in einem Jahr entschieden. Wobei bis zu diesem Zeitpunkt der Haustarif von DD+V Grundlage für Neueinstellungen ist.
Im Klartext bedeutet das, dass die Qualität dieser zukünftigen tariflichen Regelung von dem im kommende Jahr zu entwickelnden Kräfteverhältnis abhängig sein wird. Dafür spielt übrigens der Erhalt des einheitlichen Betriebsratsmandats für DD+V und die ausgegliederten Gesellschaften eine wichtige Rolle.
Ein Grund dafür, dass letztendlich die Kraft nicht gereicht hat, auch dieses Streikziel – die gleiche tarifliche Absicherung für alle jetzigen und zukünftigen Beschäftigten in den von der Ausgliederung betroffenen Regionalgesellschaften – durchzusetzen, war die ungleiche Beteiligung am Arbeitskampf. Es war nicht gelungen, im ausreichenden Umfang Beschäftigte aus den drei unmittelbar vom ersten Schritt des Ausgliederungskonzeptes betroffenen Regionalgesellschaften am Arbeitskampf zu beteiligen. Genau sie wären jedoch notwendig gewesen, um bereits jetzt für diese Regionalgesellschaften Tarifregelungen durchzusetzen, die auch dort zukünftig Beschäftige umfassen.
Ein generelles Manko des Streiks in Dresden war, dass es nicht gelungen ist, die mit der technischen Herstellung der Zeitung in der Druckerei (rechtlich getrennt mit eigenem Betriebsrat) beschäftigten Kolleginnen und Kollegen am Konflikt zu beteiligen. So konnte die „Sächsische Zeitung“ über die ganze Zeit des Arbeitskampfes hinweg erscheinen.
Wichtig für den Erfolg:
Offensive Öffentlichkeitsarbeit
Was aber waren nun die Bedingungen, die trotz dieser nicht gerade idealen Ausgangsbedingungen dazu geführt haben, ein in der Gesamtwertung doch zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen? Zuerst gilt es dabei auf die Streikaktivitäten selbst hinzuweisen. Sie waren hochgradig öffentlichkeitswirksam! Durch die täglich in tausendfacher Auflage, auch in den Regionen verteilte Streikzeitung, die Streikkonzerte und vor allem die Präsenz der Streikenden bei öffentlichen Ereignissen, seien es Ratssitzung, die Eröffnung von Geschäftsstellen, Pressekonferenzen, Weihnachtsmärkte… fand der Arbeitskampf bei der „Sächsischen Zeitung“ nie im Verborgenen statt und gerieten so die Verlagsleitung und Gruner + Jahr unter Rechtfertigungsdruck. Besondere Höhepunkte waren dabei sicherlich die Aktionen auf dem SPD-Parteitag und bei der Betriebsversammlung in der Gruner + Jahr-Zentrale in Hamburg.
Der Streik war auch überregional, bei nahezu allen Zeitungsbetrieben gegenwärtig. Die hohe Anteilnahme durch Unterstützungserklärungen, Besuchen in Dresden und Spenden von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Betrieben sind ein Beleg dafür. Zu Herstellung dieser Öffentlichkeit wurde in dieser Form erstmals recht professionell und zeitnah das Internet eingesetzt. So waren beispielsweise die täglichen Streikzeitungen immer unmittelbar bundesweit über das Netz abrufbar, was viel genutzt wurde.
So lag der Informationsvorsprung während des gesamten Arbeitskampfes bei den Streikenden – und das bei einem Gegenüber, das Gruner + Jahr/Bertelsmann heißt.
Gute Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Betriebsrat
Ein weiterer wesentlicher Faktor für den Erfolg war die reibungslose Kooperation zwischen Betriebsrat und Gewerkschaften. Denn an Spaltungsversuchen zwischen Streikenden, Betriebsrat und Gewerkschaften durch Gruner + Jahr hat es nicht gemangelt. Auch der Versuch, Streikziele durch eine Einstweilige Verfügung zu illegalisieren, war Teil dieser Strategie. Ebenfalls von Bedeutung: Nicht nur in der Verhandlungsführung, auch in der Begleitung des Arbeitskampfes, etwa durch eine Anzeigenkampagne und eine gemeinsame Sonderausgabe der Magazine „Journalist“ und „M – Menschen Machen Medien“ (lag u.a. einer Teilauflage von M 12/1999 bei!), hat die Zusammenarbeit zwischen DJV und IG Medien sehr gut funktioniert.