Disput in Berlin über die Rolle der Medien in der Euro-Krise
„Europa ist ja nicht immer eine Umarmung sich liebender Partner, sondern oft auch griechisch-römisch oder Freistil“, konstatierte zu Beginn Rolf-Dieter Krause, langjähriger Brüssel-Korrespondent der ARD. Die Gültigkeit dieser Aussage lässt sich derzeit tagtäglich in den Medien nachvollziehen. Griechen-Bashing, Streit um Eurobonds, Kritik am Merkel-Kurs – kein Projekt bringt in Europa so viel Unfrieden wie der Euro.
Und mittendrin die Medien, die den Bürger informieren und orientieren sollen. Keine leichte Aufgabe. Das geht bereits mit dem Europaparlament los, in dem faktisch eine Große Koalition herrscht. „Das Fehlen eines klaren parteipolitischen Lagergegensatzes führt natürlich dazu, dass jeder Bürger auch erstmal auf der Seite seines Landes steht“, befand Peter Ehrlich, Brüsssel-Korrespondent der Financial Times Deutschland. Was den Regierungen das immer gleiche Spiel erleichtere: „Das sind meine nationalen Interessen, und die sind dann identisch sozusagen mit den Interessen meiner Bürger, und das, was ich will, ist auch das Beste für Europa.“
Extrem gut vernetzte Korrespondenten
Die Bürger aber stehen den EU-Institutionen misstrauisch bis verständnislos gegenüber. Denn diese sind weniger demokratisch eingebunden als die Machtträger in den Nationalstaaten. Die Akteure in der EU-Kommission zum Beispiel sind nicht direkt gewählt, sondern von den Regierungen benannt, resümierte Claudia Huber, Verfasserin der Studie „Zwischen Routine, Ratspräsidentschaft und Gipfel. Interaktionen von Politik und Medien in der EU“. Das europäische Mediensystem sei stark fragmentiert. „Eine gemeinsame Öffentlichkeit existiert faktisch nicht, die nationalen Medien sprechen immer nur die Bürger ihres jeweiligen Landes an.“ Das habe ein bestimmtes Milieu extrem gut vernetzter Korrespondenten in Brüssel erzeugt. Es finde eine „Kultur der Kollaboration statt, die im Nationalstaat eigentlich nicht denkbar wäre“, sagte Huber. Die Medien arbeiteten für unterschiedliche Märkte, stünden sich nicht als direkte Konkurrenten gegenüber. Eine publizistische Konkurrenz, die bekanntlich das Geschäft belebt, gibt es also kaum. Die Folge: Ein gewisser Herdentrieb unter den Korrespondenten. Wer zu viel Kritisches oder Negatives aus Brüssel berichte, werde schnell als „Euro-Skeptiker“ abgewatscht. Dass unter diesen Bedingungen warnende Stimmen bei der Anbahnung von Fehlentwicklungen eher selten sind, verwundert da kaum, meint Peter Ehrlich von der Financial Times. Als Beispiel führte er die Immobilienkrise in Spanien an.
Unabhängig von der Euro-Debatte hätte es mehr Leuten innerhalb wie außerhalb Spaniens auffallen können, dass es irgendwie komisch ist, wenn ein Land, das 100.000 Wohnungen oder Häuser im Jahr brauche, 300.000 baue. „Das kann nicht funktionieren.“ Hinterher wussten es alle besser. Gründe, wieso der Recherchejournalismus in Brüssel nicht besonders ausgeprägt ist, liegen für Claudia Huber auf der Hand. Es fehlten schlicht die Ressourcen. Der Spiegel, so rechnete sie vor, hat in Berlin 36 Leute, in Brüssel sitzen drei. In jeder Berliner Redaktion gebe es Spezialisten für Finanzen, Gesundheit, Sport – in Brüssel dagegen müssten Universalisten ran, die manchmal schlicht selbst von der Komplexität überfordert seien. Das bekennt sogar ein erfahrener Mann wie ARD-Korrespondent Krause. „Wenn Sie da um vier Uhr morgens so einen Gipfel zu Ende gehen haben und haben dann das Vergnügen, gleich um halb sechs im Morgenmagazin erzählen zu sollen, was das bedeutet, dann sehen Sie vor der Kamera oft nicht gut aus.“ Manchmal sacke erst nach ein paar Tagen richtig durch, was da passiert sei. Forderungen nach einfachen, für jeden TV-Konsumenten verständlichen Erklärungen schmetterte Krause ab. „Einfach“ gehe nicht. „Wer in einer komplexen Welt einfache Antworten haben will, der schreit danach, belogen zu werden.“
Wirtschaftlicher Sachverstand gefragt
Zumal auch Wirtschaftswissenschaftler sich schwer damit tun, die Euro-Krise zu erklären. Erschwerend hinzu komme die enorme Zunahme von PR-Agenturen, deren Wirken einen unabhängigen Journalismus vielfach erschwere, klagte der Berliner (und frühere Brüsseler) dpa-Korrespondent Martin Romanczyk. Dagegen hilft nur die Aneignung möglichst umfangreichen wirtschaftlichen Sachverstands.
Hans-Martin Tillack, für den Stern jahrelang in Brüssel tätig, sieht die Journalisten aber nach wie vor in der Pflicht, dem Bürger mehr Durchblick zu verschaffen. Für den Normalo sei die mittlerweile entstandene Euro-Rettungsarchitektur kaum noch nachvollziehbar. Das gelte auch für die Rolle der Europäischen Zentralbank. „Die EZB ist bis heute eine der intransparentesten Organisationen nach dem Vatikan“, warnte Tillack. Dabei sei sie gegenwärtig dabei, sich eine „unglaubliche Machtfülle“ anzueignen: mit kostspieligen Anleihekäufen, mit der Rolle als Bankenaufsicht. Es müsse sehr viel mehr getan werden, die kritische Berichterstattung darüber zu stärken. Europa aber, so sein Fazit, sei viel zu wichtig, um es solchen Geheimbünden zu überlassen.