Journalismus unter populistischem Druck

Ohne Berichterstatter*innen gäbe es diese Bilder nicht. Minsk 13. Dezember 2020: Anhänger der Opposition tragen historische weiß-rot-weiße Flaggen von Belarus, als sie an einer Kundgebung teilnehmen, um gegen die Präsidentschaftswahlen in Weißrussland zu protestieren. Foto: pictures alliance/Reuters

Journalismus steht unter Druck. Das machte auch die Würdigung von Maria Kalesnikawa mit dem „Günter-Wallraff-Preis für Pressefreiheit und Menschenrechte“ deutlich. Dieser wurde im Rahmen des „Kölner Forum für Journalismuskritik“ an sie verliehen. Klar wird auch hier: die Branche hadert generell mit ihrer Identität.

Politikformate sollten angepasst werden, soziale Medien mehr Regulierung erfahren: Das waren wichtige Schlussfolgerungen beim „Kölner Forum für Journalismuskritik 2025“. Hier sollte geklärt werden, was klassische Medien dem allgegenwärtigen Populismus heute noch entgegensetzen können. Das Panel „Digitale Plattformen und das Freiheitsversprechen Internet: Zeit für ein Update?“ nahm die Kernfragen ins Visier: Was machen Hass und die Desinformation im Netz mit unserer Gesellschaft? Wie bedrohlich sind sie für unsere Demokratie?

Journalismus gegen Social Media

Renate Künast stufte vor allem die sozialen Medien als Gefahrenherd ein, weil hier „definitiv sehr viel Schaden angerichtet wird“. Die Bündnis90/Grünen – Politikerin und Diskussionsteilnehmern bezeichnete die aktuellen Vorgänge in der digitalen Welt mit „Zeitenwende“: „Heute hast Du entweder das Netz oder Social Media Plattformen, Suchmaschinen, die Algorithmen dahinter, und ich setze hinzu, Leute, die damit Geld verdienen wollen und inhaltliche Vorstellungen haben.“ Akteure wie Elon Musk und Mark Zuckerberg würden 80 Prozent aller Werbegelder „abziehen“, so dass der „wirkliche Journalismus“ der Regeln hat, beispielsweise das Zwei-Quellen-Prinzip, regelrecht „austrocknet“.

Der „wirkliche Journalismus“ erhielt im Rahmen des Forums mit der Verleihung des „Günter-Wallraff-Preises für Pressefreiheit und Menschenrechte“ eine passende Würdigung: Die Auszeichnung ging diesmal an die seit fünf Jahren in Belarus inhaftierte Menschenrechtsaktivistin Maria Kalesnikawa und die belarussische Journalistenvereinigung. Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien würdigte die Preisträger als „mutige, ja mutigste Menschen in Europa“. Sie seien „Geiseln eines menschenverachtenden Regimes, das mit unserer Vergesslichkeit rechne“. Die 43-jährige Flötistin Kalesnikawa lebte früher in Stuttgart, war aber in ihre Heimat zurückgekehrt, um einen Wandel in ihrem Heimatland anzustoßen. 2020 wurde sie in Minsk entführt und inhaftiert. Lange gab es kein Lebenszeichen von ihr, im vergangenen November durfte sie nach 600 Tagen Einzelhaft ihren Vater sehen. „Amnesty International“ zufolge war sie kurz zuvor stark abgemagert und in Lebensgefahr.

„Der Aufbau eines Narrativs – wir gegen die“

In einem weiteren Panel stellten sich die Teilnehmenden dann wohl eine der zentralen Fragen zurzeit: „Sind Medien gegen Populisten wehrlos?“ Oder verstärken sie populistische Strömungen, indem sie extreme Äußerungen der verschiedenen Akteure verbreiten, um die größtmögliche Aufmerksamkeit beim Publikum zu erhalten? Dass dafür erstmal der gängige Begriff „Populismus“ definiert werden muss, darauf machte Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger aufmerksam. „Es geht darum, Differenzen herzustellen, etwa zwischen gesellschaftlichen Eliten und dem ‚gutgläubigen Volk‘“, so der Professor der FU Berlin, „das Ziel ist immer die Spaltung.“

Dabei sei die Strategie der Populisten klar erkennbar, ergänzte die Medienkritikerin Nadia Zaboura: „Der Aufbau eines Narrativs – wir gegen die“. Und das mit dem Ziel, eine valide, faktenbasierte, wohlwollende und deliberative öffentlichen Debatte zu zerstören: „Wenn wir uns das Kommunikationsziel des Journalismus einmal vor Augen halten, – mit seiner fragestellenden Haltung, eine Haltung der Wertschätzung, eine Haltung der Aufklärung, die möglichst viele Gruppen einschließt -, dann ist das komplett konträr dazu.“ Mit Blick auf diese verschiedenen Kommunikationsziele war nicht nur für Zaboura klar, warum die bisherigen Medienformate nicht funktionieren können, um Populisten etwas entgegenzusetzen. Bereits seit 2015 wird gefordert, dass man autoritäre Demokratiegegner inhaltlich stellen müsste. Gelungen ist das bis heute wohl nicht, wenn man auf die aktuellen Erfolge der AfD schaut. Die zahlreichen Politikformate müssten daher aus Sicht von Zaboura „differenziert“ betrachtet und ebenso neue formatiert werden, um sie an die jetzige Kommunikationsdynamik anzupassen.

„Erzieherisches Moment“ in der Berichterstattung

Alt-Polit-Talkmaster Frank Plasberg wiederum kritisierte den Weltverbesserungsdrang vieler Journalisten: „Haltung ist etwas für Orthopäden.“ Sagen was ist, darstellen wie die Welt ist und nicht wie sie sein sollte – das pries der prominente Diskussionsteilnehmer als Rezept, um wieder mehr Menschen, die sich offenbar von der Berichterstattung ausgeschlossen fühlten, mitzunehmen.
Plasberg spricht von einem „erzieherischen Moment“ in der Berichterstattung, das heute aber überwunden sei, gab der Panelteilnehmer zu, und verwies auf seine eigenen Erfahrungen mit Anweisungen von „oben“: „Ja, ich habe das selbst erlebt.“ Eine „WDR-Hierarchin“ habe ihm selbst seinerzeit untersagen wollen, das Attentat auf die französische Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo in seiner Sendung „Hart aber Fair“ zu thematisieren. Ihre Begründung, so der Ex-Moderator: Das sei Wahlkampfhilfe für die AfD. Dennoch habe er durchgesetzt, dass ein Talk dazu stattfinden konnte.
Zaboura jedenfalls riet dazu, „nicht über jedes Stöckchen zu springen“, um populistischen Akteuren nicht unnötig Raum für Agitation zu bieten. Der Nachrichtenwert sollte entscheiden, nicht die Klickzahlen. Christoph Neuberger ermahnte die öffentlich-rechtlichen Sender, mehr „Selbstreflexion“ bei „elitären Talkshows“ zuzulassen.

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