Hysterie im Haifischbecken

Warum das Klima zwischen Medien und Politik immer rauher wird

Legionen von Leitartiklern zerbrechen sich derzeit den Kopf darüber, warum das Klima zwischen Medien und Politik im hektischen Berlin so viel rauher ist als früher im eher betulichen Bonn. „Verliefe die Berichterstattung über Politik im Allgemeinen und Skandal im Besonderen weniger hysterisch, wenn die Reporter wie einst in Bonn, erstmal an einer Ruhe ausstrahlenden Henry-Moore-Plastik vorbei oder an den Ufer-Auen entlang zu ihren Terminen mit der Politik zu schreiten hätten, anstatt sich in Straßen voll Bauschutt und in provisorischen Konferenzräumen um Beobachtungsplätze balgen zu müssen?“, fragt sich Peter Sartorius, Reporter der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ), bei seinen Beobachtungen „an den Wühltischen der Macht“.

Die Unsitte, politische Statements aus dem Zusammenhang zu reißen, habe in Berlin aufgehört, weil politische Zusammenhänge vielfach gar nicht mehr erkannt würden, spottet der Chef des Berliner „Spiegel“-Büros, Jürgen Leinemann, über den journalistischen Sittenverfall. Der sei gekennzeichnet durch „Hemmungslosigkeit, Grenzenlosigkeit und Regellosigkeit“, echauffieren sich altgediente Hauptstadt-Korrespondenten über das Berliner Haifischbecken. Dort schwimmt nach den Eindrücken von Sartorius „mehr und mehr Exotisches mit, das im Bonner Aquarium keinen Lebensraum gehabt hätte, ihn aber im Großen Berliner Biotop hat, diesem Sammelbecken mit einem knappen Dutzend lokaler Zeitungen und der doppelten Anzahl Rundfunksender.“

Als Klaus Bresser vor zwölf Jahren als Chefredakteur des ZDF antrat, gab er eine respektlose Regierungserklärung ab: „Schluss mit inhaltslosen Aussagen von Politikern. Das Fernsehen ist doch zum Teil kaputt gemacht worden von journalistischen Erfüllungsgehilfen. Je tiefer man sich bückt, desto tiefer kann man getreten werden.“ Viel hat sich nicht geändert im Laufe der Jahre. Heute regiert der Parteien-Proporz immer noch ungeniert den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Doch Bressers Blick auf die Verhältnisse ist milder geworden in seiner medienpolitischen Abendstimmung: „Der Einfluss der Politik auf das Programm hat über die Jahre deutlich abgenommen“, bilanziert der in Pension gegangene ZDF-Chefredakteur. „Gerade auch unsere Gremien haben erkannt, dass es sich nicht lohnt, untereinander zu streiten, wenn uns die private Konkurrenz einen beinharten Wettbewerb liefert.“ Zu seinem Abschied äußerte Bresser einen einzigen Wunsch: „Dass der Proporz nicht bis in die letzte Redaktion durchgesetzt wird.“

Gerne gerieren sich die Grünen als Partei der Aufklärung. Wenige Wochen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen schmückte sich die dortige Ökopartei damit, den SZ-Enthüller Hans Leyendecker für seinen herausragenden Investigativ-Journalismus in der jüngsten Parteispenden-Affäre mit dem Preis für „Aufrechten Gang“ auszuzeichnen. Wenn es indes um eigene Belange geht, halten die NRW-Grünen nicht allzu viel von kritischem Journalismus. Ihren Landtags-Kandidaten gaben sie ein 14-seitiges Regiepapier „als Linienführung für Interviews“ an die Hand – um „ein Maximum an Gemeinsamkeit des öffentlichen Auftritts sicherzustellen“. Für alle heiklen Fragen (Originalton: „Sie wollen die Koalition mit der SPD fortsetzen. Gleichzeitig kritisieren sie die SPD wegen ihres Filzes und mangelnder Aufklärungsbereitschaft. Wie geht das zusammen?“) werden den basisdemokratischen Ökopaxen Sprachregelungen von oben vorgegeben, um hartnäckige Journalisten leerlaufen zu lassen. So haben wir uns politische Aufklärungs-Kampagnen immer vorgestellt: Die Journaillie soll alles erfahren – nur nicht unbedingt die Wahrheit.

Marcel Reif, Mentor des intellektuellen Sport-Journalismus, sieht zukünftig gute Marktchancen für kritische Fußball-Reporter. Die Zeit der Marktschreier, die bei jedem mittelmäßigen Kick schier aus dem Häuschen geraten, sei vorbei. „Die Leute wollen wieder wissen, wie Fußball funktioniert“, sagte Reif gegenüber der „Frankfurter Rundschau“. Deshalb empfehle er jungen Reportern im freien Wettbewerb, sich wieder auf Taktik, Regeln und Analyse zu konzentrieren. Alleine die Trainer, klagte Reif, hätten mit einem kritischen Sportjournalismus bislang überhaupt nichts am Hut. Die verlangten von den Journalisten „eher moralische Unterstützung“.

Ein Greenpeace für die deutschen Medien schlägt SZ-Edelfeder Herbert Riehl-Heyse in Zeiten von „Big Brother“ vor. „Ohne Zweifel gibt es ja auch eine Art von geistiger Umweltverschmutzung, gegen die sich zur Wehr zu setzen durchaus sinnvoll sein könnte“, schreibt Riehl-Heyse in „Publik Forum“, einer Zeitung für kritische Christen. Wenn sich ein Mensch aufgrund einer Schlagzeile der „Bild“-Zeitung über seine psychische Erkrankung das Leben nehme, dann müsse über eine solche „publizistische Katastrophe“ öffentlich diskutiert werden. Am wirkungsvollsten ist eine solche Debatte nach Einschätzung von Rihel-Heyse in den Medien selbst: „Im besten Falle sind die nämlich ihr eigenes Greenpeace.“


  • Der Autor, Johannes Nitschmann (44), ist hauptberuflich als Reporter bei der Zeitung „Die Woche“ tätig.
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