Durch politisch verordnetes Outsourcing kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Identität verlieren
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland wird zur Zeit marktreif organisiert und läuft dabei Gefahr, seine Identität, ja vielleicht seine Existenzberechtigung zu verlieren.
Unter dem Deckmantel von Wirtschaftlichkeit und Kostentransparenz werden dem demokratischen Rundfunksystem in einigen Sendern betriebswirtschaftliche Rosskuren nach dem „Schlanke-Staat-Modell“ verordnet, die seinen demokratischen Programmauftrag zunehmend missachten. Während sich privatwirtschaftliche Unternehmen langsam wieder von know-how-gefährdenden Managementstrategien verabschieden, macht das Schlagwort „Outsourcing“ späte Karriere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Was treibt einzelne Intendanten zu einer solchen Politik?
Bei allem Verständnis für das Wirtschaftlichkeitsgebot und die sich aus der ökonomischen und technischen Entwicklung ergebenden neuen Anforderungen in den Sendern: Kostentransparenz und Reorganisation lassen sich uneingeschränkt auch in öffentlich-rechtlicher Organisationsform ohne den Verlust der Eigenproduktionsfähigkeit realisieren.
Schließlich gehört der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Bürgerinnen und Bürgern. Er hat gegenüber der Gesellschaft eine dienende, verbindende Funktion. Er muss die Mehrheiten wie die Minderheiten gleichermaßen bedienen. Um diese Grundversorgung zu erfüllen, hat er sich unabhängig von staatlichen und wirtschaftlichen Einflüssen zu organisieren. Ein Garant seiner Unabhängigkeit sind nicht nur die unverwechselbaren Programminhalte, sondern auch die Fähigkeit, frei vom Markt selbst produzieren zu können. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist ein Kulturgut und kein Ramschangebot auf dem Medienmarkt.
Um den aktuellen medienpolitischen Prozess analysieren zu können, ist ein Blick hinter die Kulissen notwendig. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird gezielt in den politi-schen Strudel neoliberalen Umbaus der Gesellschaft gesteuert. Ziel dieser Politik, die längst nicht mehr ausschließlich im konservativ-liberalen, sondern auch im rot-grünen Lager ihre modernen, eifrigen Verfechter hat, ist es, das Shareholder-value-Prinzip auch den demokratischen, humanen und kulturellen Organisationen in der Gesellschaft überzustülpen. „Shareholder democracy“, „shareholder social system“ und „shareholder culture“, statt eine auf Grundversorgung ausgerichtete Politik ist angesagt.
In der Medienpolitik findet dieser Politikansatz seit Jahren seine Entsprechung. Bei der ungehemmten Marktentfaltung für die private Medienwirtschaft ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit nach wie vor hohen Einschaltquoten einigen Strategen aus der Politik und der Wirtschaft ein Dorn im Auge. Deshalb muss er dem gnadenlosen Wettbewerb ausgesetzt werden, nicht nur auf dem Markt, sondern auch bei seiner inneren Organisationsform. Flankiert wird diese Politik durch künstlich geschaffene Geld(Gebühren)knappheit.
Vorreiter MDR
Vorreiter auf Seiten der Senderverantwortlichen bei dieser Entwicklung war der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Prof. Dr. Udo Reiter, der die Zeichen der Zeit am klarsten umgesetzt hat. Sein Modell:
1. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk wird im Gegensatz zu einschlägigen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts nur noch als Programm definiert. Technik ist „betriebswirtschaftlicher Ballast“, der in private Tochterunternehmen ausgelagert werden kann. Bei einem solchen Vorgehen, das freut die Politik, bleibt der politische Einfluss auf die Inhalte gewahrt. In seiner internen Information zur Auslagerung beschrieb Herr Prof. Reiter seine Auslagerungspläne mit folgendem Bild: „In der Mitte ein schlankes Mutterschiff und darum herum eine Flotte von effizienten und beweglichen Schnellbooten. Damit sind wir für die Gefechtslagen auf dem Medienmarkt optimal gerüstet.“ Das sind Begriffe einer aggressiven Marktstrategie. Die IG Medien ist der Auffassung, der MDR und sein Programm gehörten der sächsischen, thüringischen, sachsen-anhaltinischen Zivilgesellschaft.
2. Umwandlung von Personalkosten in Sachkosten, d. h. nichts anderes als klassischer Sozialabbau, denn das beim MDR tätige Unternehmensberatungsinstitut Roland Berger spricht von einem „best case“, wenn durch die Auslagerung 31 Prozent Personalkosten eingespart werden. Langfristig bedeutet dies Umwandlung von geschützten Arbeitsverhältnissen in ungeschützte.
Damit wurden beim MDR Fakten geschaffen und ein Stück düstere Rundfunkzukunft geschrieben, insbesondere weil der Intendant bei seinen Outsourcing-Maßnahmen mit dem Mediengiganten Leo Kirch „kooperiert“. Der freut sich, denn der Deal mit dem MDR hilft dem Medienmogul, den Leipziger Standort zu erobern. Gebührenfinanziert, versteht sich. Wer führt da eigentlich Regie?
Besondere Brisanz
Alle öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten arbeiten bei der Programmherstellung seit jeher in einem Auftragsverhältnis mit freien Produzenten oder mit 100 % vom Sender beherrschten privaten Unternehmen mehr oder weniger stark zusammen. Die IG Medien hat sich nie gegen solche sinnvollen Formen der differenzierten Produktion ausgesprochen. Was aber den Fall MDR medienpolitisch so brisant macht, ist das Vorhaben der fast völligen Abschaffung der Eigenproduktion und der gleichzeitige „Verkauf“ des öffentlich-rechtlichen Produktions-know-hows an einen direkten Konkurrenten und einen bekanntermaßen hervorgehobenen Gegner des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems.
Auch der Westdeutsche Rundfunk hat – freilich nicht unter Infragestellung seiner Eigenproduktionsfähigkeit – diesen Weg eingeschlagen und sein Gebäudemanagement ausgelagert. Anders als beim MDR, wo Existenzangst das Bewusstsein der Menschen prägt, konnte die IG Medien, begleitet von Streiks, Tarifverträge auf gutem Niveau für die draußen vor die WDR-Tür Gesetzten unter dem Motto „wo WDR draufsteht, muss auch WDR drin sein“ sicherstellen. Dieser Arbeitskampf wurde übrigens nicht nur von den direkt Betroffenen, sondern von breiten Teilen der Belegschaft unterstützt. Offensichtlich haben die WDR-Kolleginnen und -Kollegen erkannt: morgen kann jede/r dran sein. Auch bei den von der Abschaffung des Finanzausgleichs gebeutelten kleinen Anstalten wird mehr oder weniger offen über Outsourcing als Wundermittel diskutiert.
All diese Beispiele machen deutlich, dass Outsourcing keine zwangsläufige betriebswirtschaftliche Maßnahme, sondern immer eine politische Grundsatzentscheidung über die Organisationsform ist. Bleibt zu wünschen, dass die Mehrzahl der Intendanten sich ihrer Verantwortung für ein unabhängiges, demokratisches Rundfunksystem bewusst sind und bei der oben bereits erwähnten notwendigen Anpassung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an neue Rahmenbedingungen den rundfunkfremden Plänen der Politik und der Medienwirtschaft trotzen und selbst eine Reorganisation mit und nicht gegen die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen verfolgen.
- Peter Völker, Wirtschaftsjournalist mit langjähriger Berufserfahrung, ist der Bundesfachgruppensekretär der Fachgruppe Rundfunk/Film/Audiovisuelle Medien (RFFU) beim Hauptvorstand der IG Medien Stuttgart.