Marketingfragen im E-Business der Verlage beherrschten im Oktober die 30. IFRA-Messe in Amsterdam samt ihren Kongressveranstaltungen
Die Tageszeitungen stellen sich den Herausforderungen der neuen Medien. Was zunächst als Bedrohung des wirtschaftlichen Erfolgs der Nachrichtendistribution auf Papier aussah, wird jetzt als Chance erkannt und soll schon bald in klingende Münze umgesetzt werden. In vielen Ländern der Welt haben sich Negativtrends im Absatz der Tageszeitung umgekehrt oder zumindest abgeschwächt. Zum Teil wird das auch auf das zunehmende Engagement der klassischen Zeitungshäuser in elektronischen Medien zurückgeführt.
Marketingfragen im E-Business der Zeitungsverlage beherrschten folgerichtig auch die 30. IFRA-Messe im Oktober in Amsterdam samt ihren Kongressveranstaltungen, den Seminaren der IFRA selbst, des weltweiten Dachverband der Zeitungsverleger-Verbände also, wie auch den gemeinsam mit der World Association of Newspapers (WAN) veranstalteten Kongress „Beyond the Printed Word“. Zwar steht den meisten Zeitungshäusern die Ausrichtung ihrer Unternehmen auf das Webgeschäft noch bevor, doch erste Schritte sind vielfach getan. Heute gib es kaum mehr ein Blatt mit Namen, das nicht im Internet vertreten wäre.
Feinere Marketinginstrumente
Allerdings reicht einfache Internet-Präsenz nicht aus. In den letzten Jahren hat sich – häufig von Vorreitern der Branche schon einmal angetestet – eine ganze Reihe neuer Instrumente entwickelt, mit denen Zeitungen ihr Geschäft anreichern können. Im Reflex auf die mögliche Konkurrenz durch Quereinsteiger bei der Nachrichtendistribution im Internet sind auch neue Vertriebs- und Werbeformen entstanden, die mit dem Web zwar nichts zu tun haben, aber auf Instrumente der digitalen Technologien zugreifen.
Personalisierung, Print on Demand (PoD), Fine Zoning sind einige der Schlagworte, mit denen das Instrument Tageszeitung den Bedürfnissen des Konsumenten und der werbetreibenden Wirtschaft näher gebracht werden soll. Angefangen von verbesserten Zeitungspapieren, die – bei mehr Farbe – ein optisch hochwertigeres Produkt erzeugen sollen, bis zu Methoden der gezielten Ansprache des Zeitungslesers gehen die Überlegungen der Marketingstrategen. Fine Zoning etwa bezeichnet Methoden, die Zeitung samt entsprechender Werbebeilagen zielgruppengenau, nach demografischen Kriterien selektiert, zu verbreiten. Das kann derzeit bis zur Ebene einzelner Straßenzüge gehen. Für Print on Demand bot die „Bild-Zeitung“ während der Olympischen Spiele in Australien mit einer vor Ort gedruckten Ausgabe für die deutschen Fans ein anschauliches Beispiel.
Was das Internet betrifft, so weiß die Zeitungsindustrie mittlerweile, dass sie sich dort selbst keine Konkurrenz zu machen braucht. Ausgestattet mit den Kernkompetenzen bei der Sammlung und Verteilung von Informationen – mit klarem Vorsprung vor Quereinsteigern, die sich erst einen (Marken-)Namen machen müssen -, kann im Web das aktuelle Angebot der Printmedien mit vielfältigen Onlinediensten ergänzt werden, von Hintergrundberichten zu politischen Themen über Spezialthemen für kleine Gruppen, auch Lokales, bis hin zum Kleinanzeigenteil für Immobilien, Kraftfahrzeuge etc., der die Objekte für den Informationssuchenden wesentlich besser strukturiert aufbereiten kann.
Über Content Management Systeme, die es den Zeitungshäusern ermöglichen sollen, redaktionelle Inhalte im sogenannten Cross-Media-Publishing gleichzeitig für Print- und Webausgaben aufzubereiten (möglich z.B. auch für die Informationsverteilung via CD-ROM oder – noch aktueller – per SMS-Kurznachricht aufs Handy), berichtete die IG Medien-Zeitschrift „Druck+Papier“ (11/99) bereits vom letztjährigen IFRA-Event. Diese Systeme, mit zahlreichen Weiterentwicklungen auch auf der IFRA-Expo dieses Jahres präsentiert, stehen be-reit, haben aber noch nicht in nennenswertem Umfang Eingang in die Verlagshäuser gefunden.
Sehr komplex ist der Umstellungsprozess, der riesige Datenbanksysteme erfordert, die absolut störungsfrei arbeiten müssen, soll die sensible Nachrichtenproduktion nicht gefährdet werden. Die Systeme sind aber auch in der Lage, die Mediennutzung im Internet genau zu verfolgen und der Werbewirtschaft die entsprechenden Links zu „ihren“ Konsumenten anzubieten.
Infos per Scanner
Eine weitere Variante, Zeitung und Web miteinander zu verknüpfen, stellte in Amsterdam Frank Volmer von der noch jungen Tageszeitung „Spits“ (Niederlande) vor. Ein Strich- und Zahlencode in der Zeitung ermöglicht es dem Leser, mit Hilfe eines kleinen Scanners – ähnlich dem an der Ladenkasse – via PC weitere Informationen zu einem bestimmten Artikel oder einem Inserenten abzurufen. Der kleine Scanner kann – auch bei der Lektüre unterwegs – mehrere Links speichern und dann z.B. am Abend zu Hause – eingeführt in die Docking-Station – automatisch die Verbindungen im Internet aufbauen. Zur Zeit läuft der Feldversuch bei „Spits“ mit 1000 Scannern unter der Leserschaft, im Dezember soll er auf weitere 15000 Probanden ausgeweitet werden.
Volmer, der auch die Probleme des Datenschutzes nicht ausließ (es sollen keine persönlichen Daten, vielmehr Profile an die Werbewirtschaft weitergegeben werden), kann sich vorstellen, dass der Scanner, derzeit noch teuer, in wenigen Jahren für wenige Dollar abgegeben werden könnte. Allerdings sieht er Standardisierungsbedarf, damit der Zeitungsleser künftig nicht mit „den Taschen voller Scanner“ durch die Welt laufen muss. Wer keinen Scanner besitzt, ist dennoch in der Lage, die Informationen im Internet abzurufen, muss dafür dann den Zahlencode eintippen, der automatisch in den entsprechenden Link gewandelt wird. Für Volmer scheint es unerlässlich, dass dieses System, soll es dauerhaften Erfolg haben, zunächst hauptsächlich für redaktionelle Inhalte einzusetzen sei. Zwar komme das Geld von den Werbekunden, die Leser akzeptierten es aber eher über redaktionelle Inhalte.
Unterhaltung pur
Ähnlich strukturiert sind die Überlegungen der Verlagsmanager hinsichtlich eines Engagements der Zeitungen mit Radio-, Video- oder Fernsehangeboten. Die großen Medienunternehmen haben die besten Voraussetzungen dafür, die kleinen Zeitungshäuser entwickeln lokale Radio- und Fernsehangebote. Wie einst beim Hörfunk- und TV-Reporter, der technische Aufgaben übernehmen musste, denken die Verleger an den Allround-Journalisten, der zugleich schreibt und filmt.
Im Hause Bertelsmann hat man bereits weitreichende Überlegungen angestellt, wie der interaktive Medienkonsum der nahen Zukunft aussehen könnte. Mittels Breitbandkanälen und Settopbox stellt sich der Konsument sein eigenes Programm zusammen, sei es den Musik- oder Filmabend einschließlich der zielgruppen-adäquaten Werbespots (unter denen er ebenfalls Varianten bevorzugen kann), sucht gleichzeitig in den Datenbanken (von Bertelsmann oder im Internet) nach Hintergrundinformationen zu den Interpreten und tauscht sich darüber dann auch noch mit Freunden aus (per Chatten oder eMail).