Lokaljournalisten aus dem einstigen Hüben und Drüben diskutierten in Potsdam über ihr Berufsleben in der letzten Dekade
Es war am letzten Tag, kurz vor dem abschließenden Mittagessen, nach dem die 35 Journalistinnen und Journalisten wieder in ihre östlichen und westlichen Heimatorte zurückkehren würden, um dort in ihren Lokalredaktionen zu berichten über die Tage in Potsdam, über das Seminar der Bundeszentrale für politische Bildung, an dem sie teilgenommen hatten, um sich auszutauschen über das Thema „Lokaljournalisten zehn Jahre danach“.
Kurz vor dem Mittagessen, bei den Berichten aus den verschiedenen Arbeitsgruppen, hatte einer der Berichterstatter „Solidarität“ gefordert und einer aus dem Rund flink gekontert: „Das konnte nur von einer Ostgruppe kommen.“ In diesem Moment schien zehn Jahre danach wie zehn Jahre davor.
Doch die vermeintliche Häme des Einwurfes fand sich in den Diskussionen während des Seminars zwar häufiger – Häme ging auch in die umgekehrte Richtung -, aber sie war mehr aus eigener Verzweiflung denn aus Bösartigkeit gespeist.
Denn während dieser zehn Jahre seit dem Anschluss der DDR an die BRD ist nicht nur die Zeitungslandschaft in den neuen Ländern kräftig umgekrempelt worden (siehe nebenstehender Bericht), vor allem haben sich die Methoden und die handwerklichen Mittel, mit denen Lokaljournalismus betrieben wird, in einem Maße verändert, wie das vor zehn Jahren vielen, ganz gleich ob sie aus den alten oder den neuen Ländern kamen, ganz sicher unvorstellbar erschien.
Erlebt haben die Journalistinnen und Journalisten in den neuen Ländern, dass unter Federführung eines Managements, das immer aus den alten Bundesländern kam, neue Techniken, neue Strukturen, neue Gesellschaftsformen und neue Ansprüche an die Leistungsfähigkeit der Redakteure in einer Weise definiert wurden, die lange bloß als „Modernisierung“ verstanden wurde, ehe man in den Lokalredaktionen selbst begriff, dass man bloß Mitspieler in einem riesigen Feldversuch war, in dem, so Günther Knoll von den „Fürstenfeldbrucker Neuesten Nachrichten“, „im Osten ausprobiert wurde, um zu sehen, was für den Westen geht.“
Outsourcing, jenes modernistische Schlagwort für Ausgliederung, ist denen, die einem solchen unternehmerischen Angebot unmittelbar ausgesetzt sind, in der Tat eine existenzielle Bedrohung. „Wir sitzen da wie die Schafe“, sagte Werner Stöhr, der für die Magdeburger „Volksstimme“ in der Lokalredaktion Haldensleben arbeitet: „Es werden Agenturen gegründet und wir stehen allein in der Lokalredaktion.“
Neue Abhängigkeiten, neue Bevormundung
Doch nicht nur das: Neue Abhängigkeiten, neue Bevormundungen gebe es, deren man sich nicht erwehren könne. „Was sollen wir denn tun unter diesem neuen Druck?“, fragte eine Redakteurin aus der Lausitz.
Die Antworten auf diese Frage konnten unterschiedlicher nicht sein: Der DJV-Hauptgeschäftsführer Hubert Engeroff, sachkompetentester Gast des Seminars – Manfred Stolpe schaute kurz rein, Heinz Eggert redete reichlich, Cornelius Riewerts („Oldenburgische Volkszeitung“) rief zur Zivilcourage auf, Jana Simon, Frank Rothe und David Wagner lasen aus ihren Werken -, ließ keine Zweifel daran, dass man dem Druck der Verleger nur mit organisiertem Widerstand begegnen könnte, dass man allein vor der Alternative stehe, sich dem Druck zu beugen oder zu streiken. Dabei ginge es nicht allein um die Ausgliederung unterschiedlicher redaktioneller Ressorts, sondern vor allem auch um die Beibehaltung des Flächentarifvertrages, den gerade die Verleger in den neuen Bundesländern durch Verweigerung aufzusprengen beabsichtigten.
Keinen Eindruck hinterließ dieser Appell bei dem hemdsärmligen Chefredakteur des „Hanauer Anzeigers“, Dieter Schreier. Er sang das hohe Lied der Aufbruchstimmung, plädierte für Partnerschaft, forderte die Lokalredaktionen auf, aus der Schmollecke herauszukommen, beschwor Lokalredaktionen als Kompetenz-Zentren, mäkelte am Arbeitseifer seiner Kollegen mit der schmissigen Sottise „Redakteure in die Produktion“ und forderte Qualität ein. Allein sie sei gefragt. Denn es sei kein Unterschied, ob es sich „um eine Zeitung oder eine Bockwurst“ handele.
… oder Aufbruchstimmung ohne echten Aufbruch
Nun kann sich wohl kaum jemand ernsthaft vorstellen, mit Bockwürsten feuchte Schuhe auszustopfen, aber diese Sturm-und-Drang-Attitüde des Westjournalisten gegenüber der Verzweiflung der Ostjournalisten mag man als Ignoranz oder Verlegerhörigkeit abtun. Das trifft es jedoch nicht. Eher ist es einfach so, dass die stürmischen Westjournalisten in Aufbruchstimmung wenig Kenntnisse davon haben, wie der Aufbruch Ost im Bereich der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage tatsächlich verlaufen ist für die hier Beschäftigten, die weiterhin niedrigere Tarifgehälter beziehen, obwohl sie doch schon die Neuerer sind oder – was auch in der Logik dieser Neuerungen liegt – waren.
Wenn heute einigen „Solidarität“ zu sehr nach Solidarnost (russ.) oder Solidarnicz (pol.) klingt, der mag, wenn es denn dazu beiträgt, von solidarity (engl.) reden. Klingt zwar zeitgemäßer, bedeutet aber auch: Zusammengehörigkeitsgefühl oder auch: Gemeinsinn.