Endspurt zum Handy-Rundfunk

Mit Mobile 3.0 soll der Durchbruch bis zur Fußball-EM im Juni gelingen

Die Würfel sind gefallen: Zur Fußball-EM im Juni 2008 soll in Deutschland der Handy-Rundfunk starten. Ob damit ein zusätzlicher, attraktiver Verbreitungsweg für Fernsehen und Radio entsteht, muss sich allerdings erst noch zeigen.

Stolz verkündete die Gesamtkonferenz der 14 deutschen Landesmedienanstalten Mitte Januar die Entscheidung: Das Konsortium Mobile 3.0 erhält den Zuschlag als Plattformbetreiber für Handy-Rundfunk. „Wir haben an einem Strang gezogen, um in kürzester Zeit DVB-Handy-Fernsehen in Deutschland möglich zu machen“, sagte Thomas Langheinrich, Chef der Landesanstalt für Kommunikation (LfK) Baden-Württemberg: „Jetzt sind die Marktteilnehmer am Zug und müssen durch gute Vermarktung und attraktive Programme das Projekt zum Erfolg führen“.
Dafür sind nur drei Jahre Zeit, denn der Versuch zur Etablierung eines neuen Verbreitungsweges für Fernsehen und Radio ist als „Pilotprojekt“ zunächst nur befristet. Und: Der Weg dahin ist steinig! Vor anderthalb Jahren liefen zur Fußball-WM in Deutschland noch Handy-Ruckelbilder als Tests in den zwei verschiedenen Formaten DMB und DVB-H (s. Kasten) in einigen Spielzentren. Übrig geblieben sind zwei Handy-Rundfunk-Rudimente: Ein DVB-H-Testprojekt im Ballungsraum Berlin mit 16 TV- und neun Radioprogrammen und das DMB-Angebot „watcha“. Bei dem werden fünf TV- und ein Radioprogramm in einem Dutzend deutscher Ballungszentren ausgestrahlt – allerdings waren bisher nur rund 20.000 Kunden bereit, außer den Kosten für neue Handys auch fünf Euro monatlich dafür zu zahlen.
Neben der größeren Kapazität, möglicher Programmvielfalt und der besseren Frequenzökonomie dürfte den Ausschlag für die nun bundesweite Einführung von DVB-H in Deutschland auch die EU-Kommission gegeben haben. Sie erklärte vor wenigen Wochen diesen Handy-Rundfunk-Standard zur europaweiten Norm, die alle 27 Mitgliedsländer verpflichtet sind, zu unterstützen. Ihre Hausaufgaben hatte vor den Landesmedienanstalten in Deutschland schon die Bundesnetzagentur erledigt: Sie gab Media & Broadcast, der inzwischen von der Telekom-Firma T-Systems an den französischen Sendenetzbetreiber TDF verkauften Tochter, den Zuschlag für das DVB-H-Sendenetz. Das soll ab Frühjahr 2008 zunächst alle Landeshauptstädte, 2009 alle deutschen Städte mit mehr als 150.000 Einwohnern und mindestens die vier einwohnerstärksten Städte in jedem Bundesland mit mehr als 100.000 Menschen versorgen.

Konkurrenz zu Mobilfunkern

Genau so ehrgeizig sind nun die Auflagen für den Plattformbetreiber durch die Landesmedienanstalten. So haben die Privatfunk-Kontrolleure Vorgaben für DVB-H-Programmvielfalt gemacht, die Mobile 3.0 durch Verträge mit Programmveranstaltern erfüllen muss. Bislang steht fest, dass ARD und ZDF mit je einem sowie die zwei großen Privatsendergruppen RTL ­Mediengruppe und ProSiebenSat.1 Media AG mit je zwei Programmen (RTL, VOX, Pro Sieben und Sat.1) bei DVB-H dabei sind. Dazu kommen noch die zwei kommerziellen Nachrichtensender n-tv und N24 und drei neue digitale Radioprogramme: Digital5 ist ein Web-Angebot von ­fünf großen Privatradios (Antenne Bayern, ­Antenne Niedersachsen, Radio Hamburg, FFH, ffn) mit Comedy und Karaoke; bigBuddy ist ein interaktiver, audiovisueller Community-Kanal des Jugendsenders bigFM; KickFM ist ein Angebot der zweitgrößten Privatradiogruppe Regiocast, die sich die Hörfunkrechte an der Bundesliga gesichert hat.
Die restlichen Plätze im DVB-H-Paket werden wohl an regionale Veranstalter gehen, wobei sich im TV-Bereich mit „Deutschland 24“ schon ein Konsortium aus der Frank Otto Mediengruppe und den Springer-Lokal-Sendern TVB und Hamburg 1 einen Platz gesichert hat. Interesse zeigen ebenfalls die UFA und die Bavaria – zwei der großen deutschen Fernsehproduzenten, berichtet der Fachdienst epd ­medien. Insgesamt, so die Landesmedienanstalten, soll Mobile 3.0 auch „speziell auf mobiles Nutzerverhalten zuge­schnit­tene Programmangebote“ verbreiten. Ob dies alles den Erfolg für den neben Kabel, Satellit und Antenne vierten Verbreitungsweg für digitalen Rundfunk bringt, ist noch völlig offen. Denn die Kosten für die Kunden sind nicht unerheblich. Die Rede ist von fünf bis zehn Euro im Monat für das DVB-H-Programmpaket. Dazu kommen noch die Ausgaben für ein passendes DVB-H-fähiges Handy, was je nach Hersteller mehrere Hundert Euro kostet – unsubventioniert durch Netzbetreiber.
Der DVB-H-Netzbetreiber Media & Broadcast kann und will das nicht leisten, wie Chef Helmut Egenbauer sagt: „Finanzierung und Erlösmodelle liegen im Aufgabenbereich des Plattformbetreibers“. Ohnehin hat seine Firma schon dreistel­lige Millionenbeträge aufzubringen, um den Sendenetzauf- und -ausbau vorzu­finanzieren. Um die konkreten Konditionen ringen Media & Broadcast und Mo­bile 3.0 seit Wochen hart – bislang noch ohne Ergebnis. Die Handy-Netzbetreiber T-Mobile, Vodafone und O2 mit ihrer Finanz- und Vertriebskraft wären als Mobile 3.0-Partner prädestiniert, doch deren Bereitschaft hält sich aus zwei Gründen in Grenzen: Einer­seits waren sie beim Wettbewerb um den Plattformbetrieb Mobile 3.0 unterlegen. Andererseits haben sie mit Programmen im konkurrierenden UMTS-Standard selbst eigene TV- / Video-Angebote fürs Handy.
Damit steht Mobile 3.0 als Konsortium verschiedener Firmen vor einer komplizierten Aufgabe, deren Lösung viel (Lehr)Geld kosten kann. Neben der Berliner Firma Neva Media mit den Verlagen Burda und Holtzbrinck ist auch MFD (Mobiles Fernsehen Deutschland) beteiligt. Bei letzterem ist inzwischen der südafrika­nische Medien- und Technologiekonzern Naspers eingestiegen. MFD hat schon viel Geld in das Programmpaket „watcha“ im konkurrierenden DMB-Standard investiert und wird angesichts der geringen Kundenzahlen damit wohl nichts verdienen, denn: Es soll beim Start der DVB-H-Plattform nicht fort­gesetzt werden, hat Mobile 3.0 den Landesmedienanstalten zugesagt. Bleibt die Frage: Woher kommen die Mil­lionen für das riskante DVB-H-Projekt?
Außer dem komplizierten Geflecht Plattformbetreiber-Programmlieferanten-Sendenetzbetreiber sowie ungeklärten Finanzierungs-, Marketing- und Vertriebsproblemen ist noch ein weiterer Punkt unvorhersehbar: die Akzeptanz von mobil-digitalem Rundfunk. Jüngere Befragungen gehen davon aus, dass höchstens ein Viertel der Deutschen daran Interesse hat. Die Zahl sinkt erheblich, wenn auch noch nach der Zahlungsbereitschaft gefragt wird. So rechnen die skep­tischen Berater von CapGemini mit 180 Millionen Euro Jahresumsatz, während optimistische Studien wie die der Beratungsfirma Goldmedia für 2012 ein „beachtliches Umsatzpotenzial von 655 Mio. Euro“ bei über acht Millionen Kunden in Deutschland prognostizieren.
Den wenigen Mobil-Rundfunk-Fans werden die Handynetzbetreiber aber bald Konkurrenzangebote zu DVB-H machen und fahren dabei offenbar eine Dreifachstrategie: Zum einen werden die Video-Portale ausgebaut, wie Vodafone auf der CeBIT im März zeigen wird. Zum zweiten treiben Vodafone und T-Mobile die Entwicklung leistungsstärkerer TV-Übertragungsverfahren für UMTS (MBMS – s. Kas­ten) voran. Außerdem könnten sie ihren Kunden, die oft aller zwei Jahre neue Geräte bei Vertragsverlängerung kaufen, Handys anbieten, mit denen man Fernsehen und Radio als DVB-T empfangen kann. „In drei Jahren könnten beim Handy-TV in Deutschland die Karten neu gemischt werden“, orakelt ein Branchenkenner pessimistisch. Oder schon vorher …


Empfangswege und Standards für Mobilen Rundfunk

Digitaler Mobiler Rundfunk (Radio und Fernsehen) ist prinzipiell auf drei Wegen in Deutschland möglich: entweder empfängt man Programme über das digitale Radiosendenetz, über das digitale Antennenrundfunknetz oder über moderne Mobilfunknetze. Dabei konkurrieren derzeit drei technische Standards – weitere sind in Entwicklung.

DVB-H:  Der digitale Videostandard für „Handgeräte“ (Handheld) strahlt über das Sendenetz für digitalen Antennen-Rundfunk (DVB-T) aus und kann mehr als ein Dutzend TV- und Radio-Programme gleichzeitig in einem Kanal (Multiplex) anbieten. Nur Testbetrieb im Ballungsraum Berlin.

DMB:  Der digital-multimediale Radiostandard strahlt Datenströme über das Sendenetz für Digital-Radio (DAB) aus und kann bis zu fünf Radio- und TV-Programme sowie Dienste in einem Kanal gleichzeitig anbieten. Programmpaket mit TV und Radio in einem Dutzend deutschen Städten.

UMTS:  Der Mobilfunkstandard der 3. Generation ist neben Telefonie und Internet auch zum Empfang von Rundfunk geeignet, jedoch reicht die Kapazität für die gleichzeitige Nutzung von Radio / TV in einer Mobilfunkzelle derzeit nur für zwei Dutzend Nutzer. Alle großen Mobilfunkbetreiber bieten eigene Pakete.

Eine untergeordnete Rolle spielen MBMS (Multimedia Broadcast Multicast Service) und WAP 2.0 (Wireless Application Protocol). Letzteres ist eher ein mobiler Videoabruf von Internetseiten, während MBMS eine Erweiterung von UMTS ist, mit der die stark eingeschränkte Rundfunknutzung durch viele Kunden im Mobilfunknetz überwunden wird.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »