Als „Kollateralschaden für die Pressefreiheit“ sieht ein Interessenbündnis, dem netzpolitik.org, Reporter ohne Grenzen (ROG), die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sowie mehrere Journalisten, Blogger, Juristen und IT-Experten angehören, den seit einem Jahr geltenden Straftatbestand der Datenhehlerei. Deshalb wurde eine Verfassungsbeschwerde gestellt.
Die im Dezember eingereichte Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht greift den von der Großen Koalition Ende 2015 geschaffenen Straftatbestand der Datenhehlerei (§ 202d StGB) an. Ein wichtiger Teil der Arbeit investigativer Journalisten, aber auch von Bloggern sowie ihrer Informanten oder von Fachexperten werde damit kriminalisiert, erklärte das Interessenbündnis. Da eine solche Norm nach Kenntnis von Reporter ohne Grenzen „weltweit einzigartig“ sei, sieht Geschäftsführer Christan Mihr darin auch ein „verheerendes Signal für die internationale Pressefreiheit“ und Grund genug, „vor der eigenen Haustür zu kehren“. Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte, befürchtet „weniger, dass es auf Basis des Datenhehlerei-Paragrafen zu tatsächlichen Verurteilungen von Journalisten kommt“. Er sieht jedoch die Gefahr, dass der Vorwurf als „Rammbock“ für Ermittlungsverfahren dienen könne, „die Eingriffe in Redaktionsgeheimnisse ermöglichen“. Auch NDR-Journalist Peter Hornung sah die „Brisanz weniger in der Anwendung als in der reinen Existenz“ dieses Straftatbestandes, durch den Whistlebower eingeschüchtert und Experten verunsichert werden können. Markus Beckedahl, Chefredakteuer von netzpolitik.org, sprach von einem „Damoklesschwert“ vor allem über Nichtregierungs-, Verbraucherschutz- und Umweltorganisationen, die auf ehrenamtliche Unterstützer angewiesen seien. Er forderte ein „Update zur Pressefreiheit“, um im öffentlichen Interesse auch Nicht-Journalisten gegen den möglichen Datenhehlereivorwurf zu schützen.
Die juristischen Hintergründe erläuterte Katharina de la Durantaye, Rechtsprofessorin an der Berliner Humboldt-Universität, die die Verfassungsbeschwerde ausgearbeitet hat. Aus ihrer Sicht wurde die Norm in § 202d wesentlich weiter gefasst, als der Gesetzgeber es im Kampf gegen Kreditkartenbetrug und Handel mit Passwörtern eigentlich beabsichtigt hatte. In der jetzigen Formulierung greife der Paragraph ohne Not in Grundrechte wie die Pressefreiheit, aber auch in allgemeine Persönlichkeitsrechte ein. Da § 202d sämtliche Daten schützt, riskierten Journalisten, die mit geleaktem Material umgehen, sich selbst strafbar zu machen. Noch stärker beträfe das aber Dritte, die etwa um fachliche Expertise gebeten werden. Ein im Gesetzgebungsverfahren eilig noch eingefügter Ausschlussgrund privilegiere zwar Journalisten – doch auch diese unzureichend, nämlich ausschließlich in Bezug auf deren berufliche Pflichten. Quellenschutz werde so nicht gewährleistet, vielmehr böte der Paragraf eine mögliche juristische Begründung für Ermittlungen auf Basis eines Anfangsverdachts. Die Juristin wollte dem Gesetzgeber „keine Absicht unterstellen“, befand jedoch, dass man die Reichweite der so gesetzten Norm „offenbar nicht begriffen“ habe. Ansonsten hätte die Möglichkeit bestanden, sowohl den Begriff der „Daten“ präziser einzuschränken als auch Ausschlusskriterien deutlich weiter zu fassen.
ROG-Vertreter Mihr wies zudem darauf hin, dass die beanstandete Regelung im Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung quasi „versteckt“ sei, kaum öffentlich debattiert wurde und wohl „unter dem Radar durch den Bundestag“ gekommen sei.
Ziel der Verfassungsbeschwerde, so GFF-Vorsitzender Buermeyer, sei es, den Strafgesetzparagrafen zur Datenhehlerei wegen zahlreicher Mängel für nichtig erklären zu lassen. Alternativ möge das Bundesverfassungsgericht die Norm verfassungsgemäß auslegen. Christian Mihr erhofft sich auf diese Weise auch eine „höchstrichterliche Klarstellung zum Journalismusbegriff“, da es nötig sei, die Pressefreiheit in ihrer gesamten Breite zu schützen. Das schließe auch Blogger oder Bürgerjournaisten ein.
Das Interessenbündnis informierte, dass die in Karlsruhe eingereichte Klageschrift das Aktenzeichen 1 BvR 2821/16 erhalten und dem ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts zugewiesen worden sei, der auch für Fragen der Pressefreiheit zuständig ist. Mit einer Entscheidung sei kurzfristig nicht zu rechnen. Die abschreckende Wirkung des neuen Gesetzes vor allem auf Whistleblower und externe Experten bleibe also bestehen.