Erschossen am Mikrofon

Screenshot aus dem auf Facebook live gestreamten Video von der Sendung
Foto: Facebook/Luis Manuel Medina

In San Pedro de Macorís, der drittgrößten Stadt der Dominikanischen Republik, wurden am 14. Februar 2017 zwei Radiojournalisten erschossen, während sie live auf Sendung waren. Mitten am Tag betrat der Mörder José Rodríguez das Einkaufszentrum, in dem die Räume des Radiosenders FM 103,5 liegen, und erschoss erst Leónidas Martínez, den Direktor des Senders, dann den Radiomoderator Luis Manuel Medina.

Der war gerade auf Sendung und hatte obendrein eine Kamera am Computer hängen, die Sequenzen der Sendung live auf Facebook übertrug. Darunter auch die letzten Sekunden seines Lebens, denn auf dem Video sind Schüsse zu hören, dann ruft eine Frau „Schüsse, Schüsse, Schüsse“, bevor die Aufzeichnung abbricht. Die Frau heißt Dayana García, ist die Sekretärin des kleinen Senders und wurde als einzige Überlebende des Massakers mit drei Schussverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Die 32jährige war es auch, die die Polizei auf die Fährte des Mörders führte. Sie habe ihn anhand von Polizeifotos identifizieren können, berichtet die dominikanische Tageszeitung „Listín Diario“.

Gut 24 Stunden später hatte eine Spezialeinheit der Polizei dann den Mörder aufgespürt. In dem Stadtviertel Los Multis wurde das Haus, in dem sich José Rodríguez aufhielt, von der Polizei umstellt. Daraufhin habe der Mörder per Kopfschuss Selbstmord begangen, so ein Polizeisprecher. Ein Umstand, der später von der Gerichtsmedizin bestätigt wurde. Offen ist blieb zunächst jedoch, weshalb José Rodríguez, der ein Baseball-Camp für Nachwuchsspieler betrieb, aber auch als Drogenkonsument mit Kontakten zum Drogenhandel bekannt war, die beiden Radiomoderatoren erschoss. Ein derartiger Mord sei beispiellos in der Geschichte der Medien der Dominikanischen Republik, erklärte Olivo de León, Sprecher des Kollegiums der Journalist_innen des Landes: „Dass Bewaffnete in eine Redaktion stürmen und das Feuer eröffnen, hat es noch nicht gegeben“, so der Journalist, der beide Radiomoderatoren kannte.

Die Radiosendung „Milenio Caliente“, auf Deutsch so viel wie ‚heißes Jahrtausend‘, ist ein politisches Format, in dem über internationale Ereignisse, aber auch über lokale Missstände wie die Verschmutzung des eigentlichen geschützten Sees Laguna Mallen informiert wird. Angriffe auf Journalist_innen seien in der Dominikanischen Republik zwar selten, die Recherche im Kontext von Drogenschmuggel gelte jedoch als riskant, berichten „Reporter ohne Grenzen“. Gleichwohl habe es seit Jahren keinen Mord an einem Journalisten im Kontext beruflicher Recherchen gegeben, so Ramón Santos, Journalist und Korrespondent von „Reporter ohne Grenzen“ in Santo Domingo, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik. „Vieles deutet derzeit darauf hin, dass José Rodríguez allein handelte und keinen Mordauftrag ausgeführt hat, sondern durchdrehte, weil er bei einem Grundstücksdeal übers Ohr gehauen wurde“.

So soll laut Recherchen der Tageszeitung „El Diario“ ein Grundstück, welches der Selbstmörder gekauft hatte, vom staatlichen „Consejo Estatal de Azúcar“ CEA zweimal verkauft worden sein. CEA-Chef José Joaquín Domínguez Peña war daraufhin bei FM 103,5, um sich in der Radiosendung „Milenio Caliente“ den Fragen der Journalisten zu stellen, die Wind von den Widersprüchen beim Verkauf mehrerer Grundstücke bekommen hatten, darunter eben auch von jenem von José Rodríguez. Der hatte auf die Vermittlung des Radiodirektors Leonidas Martínez gesetzt und sei, so die bisherigen Recherchen, unzufrieden gewesen und schließlich im alkoholisierten Zustand durchgedreht. „Die beiden Journalisten sind unschuldige Opfer meines Bruders“, erklärte die Schwester des Mörders, Josy Rodríguez Pérez.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Bundesregierung ohne Exit-Strategie

Vor drei Jahren übernahmen die Taliban die Macht in Afghanistan. Während viele Menschen im Land heute angeben, die Situation sei sicherer, leben Journalisten fast nirgends gefährlicher. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) rutschte das Land mittlerweile auf Platz 178 von 180 Staaten. Ein Hoffnungsschimmer sollte das Bundesaufnahmeprogramm (BAP) für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen sein. Doch nur sechs Journalist*innen konnten darüber gerettet werden. Und das BAP stehe vor dem Aus, beklagt RSF. 
mehr »

Türfent: Rettender öffentlicher Druck

Der internationale Tag der Pressefreiheit ging in Deutschland in diesem Jahr mal wieder zwischen Feier- und Brückentagen unter. Dabei gerät die Pressefreiheit weltweit immer weiter unter Druck. So plante die Türkei ein „Agentengesetz“ nach Vorbild Russlands und Georgiens, mit dem kritische Journalist*innen kriminalisiert werden. Wie wichtig öffentlicher Druck für inhaftierte Journalist*innen ist, verdeutlichte der türkische Kollege Nedim Türfent. Er ist sich sicher: Ihm hat dieser Druck das Leben gerettet.
mehr »

Wieder Journalist in Mexiko getötet

In Mexiko ist der Journalist Alejandro Alfredo Martínez Noguez trotz Polizeischutz erschossen worden. Martínez Noguez wurde am 4. August in Celaya im Bundesstaat Guanajuato angegriffen, obwohl er von Sicherheitskräften in einem Polizeiauto eskortiert wurde. Er wurde zunächst schwer verletzt in ein Krankenhaus gebracht, wo er starb. Der Gründer des Lokalmediums El Hijo del Llanero Solititito stand seit 2023 unter Polizeischutz, nachdem er im November 2022 bereits einen Mordversuch überlebt hatte.
mehr »

Venezuela: Hartes Los für viele Medien

Die Lage für unabhängige Medien und Berichterstatter*innen hat sich in Venezuela nach der Wahl noch einmal verschärft. Der seit 2013 regierende Nicolás Maduro hat sich erneut zum Sieger erklärt, die Opposition und viele Länder glauben weder an eine faire Wahl am 28. Juli noch an den proklamierten Ausgang. Über die Lage der Medien, die Entwicklung der Pressefreiheit seit der Machtübernahme von Hugo Chávez und die Verantwortung der Journalist*innen spricht der venezolanische Medienwissenschaftler Andrés Cañizález mit M.
mehr »