Bedeutsame Übernahmen auf dem deutschen Zeitungsmarkt 2011
Bis Ende 2010 war die Mediengruppe Pressedruck ein weithin unbekannter regionaler Zeitungsverlag im bayerischen Schwaben. Inzwischen gehört sie zur Bundesliga der Branche, denn sie hat 2011 dem Holtzbrinck-Konzern die Main-Post in Würzburg und den Südkurier in Konstanz abgekauft. Im selben Jahr wechselten die Märkische Allgemeine in Potsdam und der Remscheider General-Anzeiger ganz sowie das Westfalen-Blatt in Bielefeld teilweise den Eigentümer. Es war wieder viel los auf dem deutschen Zeitungsmarkt.
Zeitungen sind zwar ein „altes“ Medium, sie genießen aber hohes Ansehen. Einer Studie vom November 2011 zufolge haben Jugendliche auf die Frage, welchem Medium sie bei widersprüchlicher Berichterstattung am ehesten trauen würden, zu 40 Prozent die Tageszeitung genannt. Das Fernsehen kam mit 29 Prozent auf Platz zwei, dem Internet vertrauten nur 14 Prozent.
Das hohe Ansehen der Zeitung nützt den Verlagen aber wenig, denn die Zahl der Leser und der Käufer sinkt, besonders beim jüngeren Publikum. Zwischen 1991 und 2011 ist die verkaufte Auflage von 27,3 auf 18,8 Millionen gesunken. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Neue Medien, soziologische Veränderungen (weniger lokale Bindungen), sinkende Einkommen und andere Faktoren spielen zusammen. Gegen diesen Trend haben die Verlage bislang kein Mittel gefunden.
Hinzu kommt ein schrumpfendes Anzeigengeschäft. Vorbei sind die Zeiten, als die FAZ (im Jahr 2000) rund 80 Prozent ihrer Einnahmen über Reklame erzielte und im Geld schwamm. Zur Jahrtausendwende hatten sich die Abonnementszeitungen durchschnittlich zu 54 Prozent aus Werbung finanziert, 2010 nur noch zu 40 Prozent.
Keine Frage: Die Zeitungsverlage stehen wirtschaftlich unter Druck. Das heißt freilich nicht, dass sie auch Verluste schreiben. Zwar hatte es 2009 bei einigen überregionalen Blättern, wie der Süddeutschen Zeitung (SZ), der Frankfurter Allgemeinen (FAZ) und der Frankfurter Rundschau (FR) rote Zahlen gegeben, aber außer der FR sind alle längst wieder über dem Berg. Bestes Beispiel ist die Bild-Zeitung: Deren Auflage ist seit 1998 von 4,5 Millionen auf 2,7 Millionen gesunken. Trotzdem ist sie hoch profitabel, unter anderem weil im gleichen Zeitraum der Stückpreis von 30 auf 70 Cent gestiegen ist. Auch mit den meisten anderen Zeitungen wird reichlich Geld verdient.
Aufstieg der Regionalverlage
Bis zum Untergang der DDR gab es in Deutschland nur einen Zeitungskonzern, der bundesweit agierte: Axel Springer mit Bild und Welt. Daneben existierten regionale Großverlage wie M. DuMont Schauberg (MDS), VG von Holtzbrinck, Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ-Gruppe), Südwestdeutsche Medienholding (SWMH) sowie unabhängige überregionale Zeitungen (z.B. FAZ, SZ, FR). Nach 1989 verschleuderte die Treuhandanstalt die DDR-Zeitungen. Dadurch bekamen Regionalverlage die Gelegenheit, über ihr Verbreitungsgebiet hinaus zu expandieren. Außerdem traten Zeitschriftenverlage (Bauer, Burda, Gruner+Jahr) auf den Zeitungsmarkt.
Im Sommer 2000 platzte die Internet- und Medienblase, was zu schrumpfenden Werbeetats führte. Etliche Zeitungsverlage kamen ins Trudeln. Was folgte, war ein Feuerwerk an Sparideen, vorrangig beim Personal und speziell in den Redaktionen: Tarifflucht, Ausgliederung, Redaktionsgemeinschaften, Schließung von Redaktionen und Büros, Abbau von Personal und von journalistischen Standards. Dazu kam eine Welle von Übernahmen von und Beteiligungen an Zeitungsverlagen. Die spektakulärsten Fälle waren:
- 2001 die Übernahme der Hessisch-Niedersächsische Allgemeinen durch Ippen.
- 2002 der Verkauf des Berliner Zeitungsverlags von Gruner+Jahr (G+J) an Holtzbrinck, dann 2005 an Mecom und 2009 an MDS.
- 2003 und 2007 die schrittweise Übernahme des Süddeutschen Verlags durch die SWMH.
- 2004/06 die Übernahme der FR durch die SPD-Holding DDVG und MDS.
- 2005 der Verkauf der Schweriner Volkszeitung durch Burda an den Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag.
- 2007 die Übernahme der Braunschweiger Zeitung durch die WAZ-Gruppe und die Übernahme des Schwarzwälder Boten durch die SWMH.
- 2009 der Verkauf mehrerer Regionalzeitungsbeteiligungen von Springer an Madsack
- 2011 der Verkauf der Main-Post und der Mehrheit am Südkurier durch Holtzbrinck an Pressedruck und der Verkauf der Märkischen Allgemeinen durch die FAZ-Gruppe an Madsack.
Im Ergebnis sieht der Zeitungsmarkt heute anders aus als vor 20 Jahren. Zwar steht Axel Springer weiterhin mit Abstand an der Spitze, seine Dominanz beschränkt sich aber auf das Segment der Boulevardzeitungen. Ansonsten ist er ein Regionalverlag in Hamburg und Berlin, der sich eine überregionale Abozeitung (Die Welt) leistet. Gleichzeitig haben sich mehrere regionale Zeitungsgruppen (SWMH, MDS, Madsack, Ippen, Pressedruck) zu überregionalen Konzernen aufgeschwungen. Die SWMH bildet außerdem zusammen mit der Neuen Pressegesellschaft in Ulm und der Medien-Union in Ludwigshafen ein Verlagskonglomerat (Südwest-Gruppe). Die WAZ-Gruppe, bis 2006 noch der zweitgrößte Zeitungsverlag, verliert Marktanteile. Holtzbrinck ist dabei, sich ganz aus dem Zeitungsgeschäft zu verabschieden.
Das deutsche Zeitungskapital bleibt unter sich: Übernahmen und Beteiligungen erfolgen ausschließlich durch andere Verlage. Zwei Versuche ausländischer Konzerne, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen, sind gescheitert: 1999/2000 wollte der norwegische Schibstedt-Verlag seine Gratiszeitung 20 Minuten im Raum Köln und später bundesweit einführen. Das verhinderten MDS und Springer gemeinsam im „Kölner Zeitungskrieg“. Nach 2005 wollte der britische Finanzinvestor Mecom einen neuen Zeitungsverlag (die BV Deutsche Medienholding) schaffen. Er scheiterte 2009 an finanziellen Schwierigkeiten.
Die Vielfalt trügt
Axel Springer hat Anfang 2011 fast ein Fünftel der Auflage von Tageszeitungen verkauft, die zehn größten Verlage kamen auf fast 60 Prozent. Seither dürfte sich deren Anteil noch gesteigert haben. Bei der Boulevardpresse, die wegen ihres Kampagnenjournalismus politisch besonders brisant ist, liefert Springer 80 Prozent der Gesamtauflage, vor allem wegen der Bild-Zeitung (2,9 Millionen Auflage, knapp zehn Millionen Leser). MDS deckt weitere 8,5 Prozent ab, den Rest teilen sich Ippen, die Abendzeitung und G+J. (Vgl. Grafik „Deutscher Zeitungsmarkt 2011“)
Der deutsche Zeitungsmarkt Anfang 2011
Überregionale Konzerne | 8 |
Andere Verlage | 59 |
Zeitungsunternehmen gesamt | 67 |
Zeitungen mit Vollredaktion | 133 |
Zeitungsausgaben | 1.509 |
Quelle: BDVZ, Zeitungen 2011/12;
eigene Recherchen
Trotzdem: Wenn man die Statistik des Zeitungsverlegerverbands BDZV betrachtet, dann sieht es so aus, als sei der Zeitungsmarkt recht vielfältig strukturiert. 2011 hatte es 347 Verlage gegeben. Zwar waren es 1995 noch 381 – ein Rückgang um 8,9 Prozent – aber immerhin. Doch diese Zahl ist trügerisch, denn viele Zeitungen übernehmen ihren „Mantel“ (Politik-, Kultur- und Wirtschaftsseiten) von anderen Blättern. Die Zahl der Vollredaktionen, die alle wesentlichen Teile der Zeitung selbst erstellen („publizistische Einheiten“) beträgt nur noch 133. Und auch das gilt nicht mehr durchgängig, seit Konzernverlage Zentralredaktionen oder Ressortgemeinschaften für mehrere Zeitungen eingeführt haben.
Je genauer man hinsieht, desto dünner wird die Suppe. Die 133 Zeitungen mit eigener Vollredaktion sind teilweise nur de jure unabhängig, nicht de facto. Als z.B. die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau aufgekauft wurden, blieben sie zwar als eigenständige Verlage erhalten. In Wirklichkeit wurden sie aber Bestandteile von Konzernen (der SWMH bzw. von MDS und DDVG) und in deren Geschäftspolitik eingebunden. (Vgl. Grafik „Marktanteile“)
Marktanteile bei Zeitungen in Prozent
1991 | 2006 | 2010 | |
Axel Springer | 23,9 | 22,5 | 19,6 |
5 Größte | 41,6 | 41,3 | 43,7 |
10 Größte | 54,4 | 55,7 | 58,1 |
Quelle: Horst Röper in
Media Perspektiven 5/2010, S. 222
Berücksichtigt man diese Strukturen, dann bleiben acht überregionale Zeitungskonzerne (Springer, Südwest-Gruppe, Madsack, WAZ-Gruppe, MDS, Ippen, DDVG und seit 2011 die Mediengruppe Pressedruck). Sie verkaufen zusammen rund 57 Prozent der Gesamtauflage. Die restlichen 43 Prozent kommen von 59 regionalen und lokalen Verlagen, die häufig in ihrem Verbreitungsgebiet mächtig sind (z.B. der Verlag Nürnberger Presse, die Rheinische Post oder der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag). Alle 67 Zeitungsunternehmen zusammen produzieren 133 Zeitungen mit eigener Vollredaktion und rund 1.500 regionalen oder lokalen Ausgaben. Wobei „mit eigener Vollredaktion“ nicht mehr ausschließt, dass Teile der Zeitung von einer Gemeinschaftsredaktion geliefert werden.
Immerhin: 67 unterschiedliche Zeitungsverlage sind nicht wenig. Diese relative Vielfalt gilt aber nur für Westdeutschland. In den fünf neuen Bundesländern gibt es keinen einzigen Verlag in einheimischem Besitz. Gerade mal 16 eigenständige Zeitungen (mit diversen Ablegern und Lokalausgaben) erscheinen dort. Davon gehören je drei zu Madsack und zur WAZ-Gruppe, je zwei zur SWMH und zur Medien-Union (die beide miteinander verflochten sind), die übrigen sechs zu anderen westdeutschen Verlagen.
Übernahmen: Das Tempo beschleunigt sich
Seit 2000 sind mehr als 40 Fälle bekannt geworden, in denen Zeitungen ganz oder teilweise aufgekauft oder weiterverkauft worden sind. Das alles war möglich, obwohl es in Deutschland ein spezielles Fusionskontrollrecht für Presseerzeugnisse gibt. Nur in wenigen Fällen hat das Bundeskartellamt (BKA) die Übernahme von Zeitungsverlagen verhindert. Trotzdem fordern die Verleger seit Jahren eine Aufweichung der Regeln. Sie fanden schon bei Kanzler Schröder ein offenes Ohr, bei Kanzlerin Merkel ein noch offeneres. Die Bundesregierung hat im Herbst 2011 einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. Würde er Gesetz, dann darf als sicher gelten, dass sich die Zentralisation des Zeitungskapitals weiter beschleunigt. (Auf den Entwurf wurde in „M“12/2011 ausführlich eingegangen.)
Ein ähnlicher Effekt könnte von einem Urteil ausgehen, das demnächst vom Bundesgerichtshof zu erwarten ist. Dort geht es darum, dass das BKA der Medien-Union (Südwest-Presse) verboten hat, das Haller Tagblatt zu kaufen. Das BKA hat bisher in allen Instanzen verloren und auch beim BGH sieht es nicht gut aus. Kern des Verfahrens ist die Frage, ob Nachbarverlage potentielle Wettbewerber sind. Das BKA bejaht das. Sollte dieses Argument entfallen, dann würden einige Altfälle neu aufgerollt, und es könnten künftig kleinere Zeitungen leichter an benachbarte Großverlage verkauft werden. Die reiben sich schon die Hände. Es käme auch den Wünschen vieler Eigentümer entgegen, denn die Erben der Altverleger haben nicht selten andere Lebensplanungen, als den elterlichen Betrieb fortzuführen.
Die Folgen liegen auf der Hand: Mehr Macht für die Großverlage, weniger Vielfalt. Die Konzerne haben den Reiz von Gemeinschaftsredaktionen und Ausgliederungen erkannt. Jede neu erworbene Zeitung wird in solche Strukturen gepresst werden. Der Abbau von Arbeitsplätzen und von Gehaltsstandards betrifft zuerst die unmittelbar Betroffenen, darüber hinaus – weil die Zahl der verfügbaren Stellen sinkt – alle Redakteure und Journalisten.
Bei den Lesern muss sich das nicht gleich bemerkbar machen, mittelfristig aber schon. Wenn die Redaktionen ausgedünnt werden, leidet die Qualität der Berichterstattung. Wenn Lokal- und Regionalredaktionen geschlossen werden, braucht man das Blatt irgendwann nicht mehr. Noch hat die Zeitung als Gattung zwei Pluspunkte: ihren Glaubwürdigkeitsbonus und die lokale Verankerung. Regionalfernsehen, Lokalradio und lokale Onlineportale können sie bislang nicht ersetzen. Die Verleger sind dabei, diese Vorteile aufs Spiel zu setzen. Im Ergebnis könnte die wirtschaftliche Grundlage der Zeitungen insgesamt ins Rutschen kommen.
Ausweg durch das Netz?
Ob das Internet einen Ausweg bietet, ist ungewiss. Wenn überhaupt, dann werden die Großverlage wirtschaftlich erfolgreich sein. Die Verlagerung des Geschäfts ins Internet wird den Druck auf die kleineren Zeitungsverlage erhöhen. Derzeit ist Axel Springer am aktivsten. In der Rangliste der Nachrichtenportale besetzt er mit bild.de und welt.de die Plätze eins und vier. Die publizistische und politische Macht des Konzerns wird dadurch noch größer (zumal er auch der drittgrößte Zeitschriftenverlag ist).
Nutzerzahlen allein bedeuten aber noch keine Erlöse. Nach wie vor fehlt ein überzeugendes Geschäftsmodell für Zeitungsverlage im Internet. Es ist bisher nirgends gelungen, die Kosten eines Medienportals auch nur näherungsweise über Abogebühren hereinzuholen. Auch nicht in den USA: Rupert Murdoch zahlte 2011 bei The Daily, der ersten nur fürs iPad entwickelten Tageszeitung, mindestens 40 Millionen Dollar drauf.
Überhaupt das iPad: Auf den neuen „intelligenten“ Handys und Tablet-Rechnern ruhen viele Hoffnungen der Verleger. Es sieht so aus, als wäre hier die Bereitschaft der Nutzer, für Inhalte zu bezahlen, höher als im stationären Internet. Axel Springer investiert viel. bild.de wurde Anfang 2011 für Smartphones und Tablets kostenpflichtig gemacht, musste aber Ende des Jahres wieder freigeschaltet werden. Trotzdem setzen Springer ebenso wie andere Verlage (SZ, FAZ, FR) weiter auf diesen Markt. Nur hat der den Nachteil, dass die Gerätehersteller die Hand aufhalten. Apple verlangt bei Verkäufen über Apps 30 Prozent des Verkaufsumsatzes und weigert sich, die Kundendaten an die Verlage herauszugeben. Dieser Machtkampf ist noch längst nicht entschieden. Die Verlage führen ihn auch nicht, sie reiten lieber Angriffe auf die „Tagesschau-App“ der ARD, die ihnen angeblich das Geschäft verdirbt.
Vielleicht setzt sich aber auch ein anderes Geschäftsmodell durch. Holtzbrinck praktiziert es derzeit am konsequentesten: der Kauf oder die Gründung von Plattformen für Versandhandel, Preisvergleich, Wohnungsvermittlung oder Karriereförderung – mit dem Ziel, sie profitabel weiterzuverkaufen. Aus dem digitalen Verleger wird ein Portfolio-Manager. Das kann allerdings schnell in die Hose gehen, wie Holtzbrinck gerade bei „StudiVZ“ erleben muss.