Buchtipp: Die Macht um acht

Die „Tagesschau“ informiert über die wichtigsten Ereignisse des Tages oder auch nicht, sieht sich als das „Flaggschiff der ARD“. Dabei gibt sich die TV-Nachrichtensendung als verlässlich, seriös und neutral. Aber stimmt das so? Diesen Anspruch hinterfragen die Autoren Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam in ihrem Buch: „Die Macht um acht“.

Uli Gellermann war Journalist und Filmemacher. Nach seinem Jurastudium hat Friedhelm Klinkhammer dreieinhalb Jahrzehnte für den NDR gearbeitet, war Gesamtpersonalratsvorsitzender des Senders und für die IG Medien, später dann ver.di, auch Vorsitzender des Senderverbandes. Auch Volker Bräutigam hat zwanzig Jahre als Redakteur für die Tagesschau und Kulturredaktion von N3 gearbeitet.

Im Vorwort schreibt das Autorenkollektiv: „Seit mehr als 60 Jahren informiert die Tagesschau   Abend für Abend im Ersten Deutschen Fernsehen das deutsche Fernseh-Volk über die wichtigsten Nachrichten des Tages. Rund fünfzehn Minuten lang, scheinbar verlässlich, neutral, seriös. Natürlich ist die Übermittlung von Fußballergebnissen objektiv. Und auch über das Wetter wird so seriös berichtet wie möglich. Auch Unfälle, Ausstellungen und Trauerfeiern werden mit einer gewissen Neutralität ausgesucht. Doch schon, wenn es darum geht, welche Beerdigung es wie in die Nachrichten schaffen soll, bringt dieser Prozess der auswählenden Gewichtung die Redaktion in den Fahrstuhl der Parteilichkeit: Im Nachruf zum Beispiel auf Muhammed Ali wären zwei erklärende Sätze zu dessen Hinwendung zur `Nation of Islam` ein sinnvoller Beitrag zur deutschen Islam-Debatte gewesen.“

Heute sind es im Westen der Republik drei Generationen, die Tag für Tag „ARD-aktuell“, die „Tagesschau“, „Tagesthemen“, das „Nachtmagazin“ und „Tagesschau24“ konsumieren. Seit 1990 gehören auch Zuschauer_innen aus dem Osten dazu, die ihre Informationen aus der öffentlich-rechtlichen Hamburger Nachrichtenquelle beziehen. „Noch immer gilt die Tagesschau als eine Art amtliche Vermittlung von Neuigkeiten. Selbst die Gegner der Sendung müssen das Format beachten. Und nach 15 Minuten weiß man, wie und was die Regierung über dieses oder jenes Ereignis denkt.

Von den Nachrichten-Produkten, die hierzulande auf dem Markt sind, vom heute des ZDF bis zum Springer-Produkt Bild seien die Nachrichtensendungen aus Hamburg noch die ansehnlichsten. Bei RTL aktuell aus Köln seien die Nachrichten im Ausschnitt klein und wie bei der FAZ politisch kräftig gefärbt“, so die Autoren.

Seit Beginn des Ukrainekrieges im Frühjahr 2014 wehren sich die ehemaligen NDR-Mitarbeiter Bräutigam und Klinkhammer gegen die „Schläue“ der „Tageschau“-Redaktion, die sie nicht mehr ertragen konnten, mit Programmbeschwerden. Tagelang hätte die „Tagesschau“ über die angebliche Gefangennahme von „OSZE-Militärbeobachtern“ berichtet, die in Wahrheit nicht offiziell von der OSZE ins Krisengebiet entsandt waren. Für seriöse Journalisten wäre das schnell überprüfbar gewesen. Wer sie mit welchem Auftrag in den Krieg geschickt habe, sei bis heute nicht bekannt. Inzwischen haben Bräutigam und Klinkhammer 200 Beschwerden verfasst. Die Autoren sagen: „Die ARD-Nachrichten sind die Taktgeber für die meisten Medien der Bundesrepublik Deutschland. Wer sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt, der kritisiert den Kern des deutschen Journalismus.“ Ein empfehlenswertes Buch.

 

Uli Gellermann / Friedhelm Klinkhammer / Volker Bräutigam: „Die Macht um acht – Der Faktor Tagesschau“; PapyRossa Verlags GmbH, Köln 2017; 173 Seiten – Broschur; 13,90 Euro

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Quartalsbericht zur Branche liegt vor

Einen detaillierten Blick auf das Geschehen in der Medienbranche wirft der jetzt wieder vorliegende Quartalsbericht. Er speist sich aus den Auswertung von Internetseiten, Zeitungen, Fachzeitschriften, Informationsdiensten, Verbands- und Unternehmenspublikationen. Ein Merkmal des ersten Monate dieses Jahres: Viele Übernahmen und eine Werbekonjunktur. 
mehr »

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »