Zuspruch für Internetmedien

Spaniens entlassene Journalisten gründen „Zeitungen” im Netz

Spaniens Medienlandschaft befindet sich im Umbruch. Die großen Zeitungen des Landes büßen Jahr für Jahr Leser ein. Eine Entlassungswelle nach der anderen soll die Verluste wettmachen. Über 12.000 Medienschaffende verloren seit 2005 ihren Job. Gleichzeitig entstanden über 300 neue Medien. Die meisten von ihnen im Internet. Einige stoßen auf großen Zuspruch beim Publikum.


Die Nachrichtenseite eldiario.es ist das bekannteste Beispiel. Wie viele der neuen Titel speist sich die 26-köpfige Belegschaft der online-Tageszeitung aus den Entlassenen traditioneller Medien. In diesem Falle aus der Redaktion der 2012 geschlossenen Tageszeitung El Público. „Wir haben mittlerweile zwei bis drei Millionen Besucher pro Monat”, erklärt Chefredakteur Ignacio Escolar zufrieden. Damit liegt eldiario.es mit der spanischen Huffington Post, die zum Verlagshaus der größten spanischen Tageszeitung El País gehört, gleich auf.
„Journalismus trotz alledem” heißt das Motte von eldiario.es. „Wir erleben eine Repolitisierung der Gesellschaft”, erklärt Escolar. In Zeiten der Sozialkürzungen und Proteste steige das Interesse an einem anderen, mehr der sozialen Nachricht verpflichteten Journalismus. eldiario.es berichtet über Zwangsräumungen, Sparpolitik, Polizeirepression, Einschränkungen der Bürgerrechte, Korruption, Flüchtlingsbewegungen an der Südgrenze, und hat dabei immer wieder exklusive Nachrichten. eldiario.es schreibt im zweiten Jahr bereits schwarze Zahlen. 70 Prozent der Einnahmen stammen aus Werbung, 30 Prozent von bezahlenden Premiumlesern, die für 5 Euro im Monat bereits abends lesen, was am nächsten Morgen kostenlos online steht.
Die traditionellen Publikationen haben in den letzten Jahren stark an Glaubwürdigkeit verloren. Allen voran El País”, erklärt der Medienwissenschaftler der Madrider Universität Complutense, Rafa Díaz. Die größte Zeitung des Landes, die in den 1970er Jahren entstand, als sich Spanien auf den Weg von der Diktatur zur Demokratie machte, war Referenz für ein breites Spektrum von mitte-links bis links. In den letzten Jahren sei, so Díaz, ein Wechsel in der Blattlinie zu verzeichnen. El País entwickle sich hin zu einem wirtschaftsliberalen Blatt, verteidigt immer wieder die Sparrezepte aus Brüssel. Über 300 Redakteure wurden entlassen. Ein neuer Chefredakteur nähert das Blatt jetzt an die regierenden Konservativen an. Teile der Leserschaft suchten enttäuscht nach neuen Medien und finden sie bei Titeln wie Escolars eldiario.es.
Gonzalo Boye, Anwalt aus Madrid und Herausgeber des Satiremagazins Mongolia, beobachtet diese Entwicklung und hat eine Erklärung parat: „Prisa, das Verlagshaus von El País, schuldet 3,5 Milliarden Euro unter anderem den Großbanken Santander und Caixa und hat Aktien an den deutsch-amerikanischen Investor Nicolas Berggruen verkauft. Seither sitzen Bankenvertreter in den Gremien, die mit über die Linie der Medienholding und damit der El País entscheiden”, sagt Boye. Seine vor zwei Jahren entstandene Mongolia ist eines der wenigen neuen Medien auf Papier. Neben dem „Humor für gut informierte Leser”, enthält das Blatt „Reality News”. Mit monatlich 40.000 Exemplaren schreibt es schwarze Zahlen. Dort wird immer wieder die Verflechtung von Finanzwelt und Medien untersucht. „Alle großen Tageszeitungen, sind in den Händen der Banken und der Politik”, erklärt sich Boye den Wechsel der Chefredaktionen bei den drei wichtigsten Blättern Spaniens. Nicht nur El País ersetzte den Chef. Bei der in Barcelona erscheinenden La Vanguardia wurde wohl auf Druck des Königshauses der einstige Pressesprecher des Innenministeriums zum Chefredakteur. Sein Vorgänger hatte mit Sympathie über die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens berichten lassen. Und bei El Mundo in Madrid musste Gründer Pedro J. Ramírez gehen. Der Druck von Regierung und Geldgebern war unerträglich geworden, nachdem das Blatt Korruptionsfälle aus dem Umfeld der regierenden Partido Popular und dem Königshaus veröffentlichte.
Die Repolitisierung, von der eldiario.es-Chef Escolar spricht, hat auch so manche Redaktion erfasst, was den Herausgebern nicht immer gefällt. So zensierte die Satirezeitschrift El Jueves ein Titelblatt zur Krönung von Felipe VI vergangenen Juni. 18 Zeichner verließen das Blatt und gründeten unter dem Titel „Orgullo y Satisfacción” – „Stolz und Zufriedenheit” – einer Floskel, die Alt-König Juan Carlos immer in seine Reden einbaute – ihr eigenes Projekt im Netz. Die Publikation stößt auf Interesse. Die erste Ausgabe verkaufte 35.000, die zweite 9.000 PDF zum Mindestpreis von 1,50 Euro. 2.000 Leser haben ein Abo gezeichnet. „Ob wir davon leben können? Nein. Aber zusammen mit anderen Aufträgen, die hier und da hereinkommen, ja. Das schöne Leben eines Freelance: Emotionen! Überraschungen! Und Bibbern am Monatsende!” lautet das Resümee im ersten Bilanzbericht in Form eines Comics, gefolgt von einem Aufruf, mehr Abos zu zeichnen.
Auch ein Radioprogramm versucht es mittlerweile per Hörerfinanzierung. „Carne Cruda” – „Rohes Fleisch” – strahlte seinen sarkastischen Humor zur tagesaktuellen Politik erst im staatlichen Hörfunk RNE aus. Nachdem die Konservativen 2011 die Wahlen gewannen, war Schluss damit. „Carne Cruda 2.0” schlupfte beim Privatsender Cadena Ser aus dem Hause El País unter, wurde gar preisgekrönt. Aber schnell war das Programm auch den neuen Herren unbequem. Seit Anfang Oktober ist es nun im Netz bei eldiario.es zu hören. Ein Crowfunding brachte rund 60.000 Euro ein. Das reicht für ein Programm in der Woche bis zur kommenden Sommerpause. Das Team sammelt weiter. Das Ziel: Wie früher jeden Werktag auf Sendung gehen.

 

 

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