Berlinale von morgen statt Festivals heute

Moderatorin Anke Engelke bei der Eröffnungsgala der Berlinale 2017
Foto: Sandra Weller/Berlinale 2017

Eigentlich sollte es auf der mit „Filmfestivals heute“ übertitelten Veranstaltung im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ (HKW) um die Aufgaben, Chancen und Herausforderungen für Filmfestivals gehen. Stattdessen wurde lebhaft über die Zukunft der Berlinale und vor allem die Nachfolge ihres noch bis 2019 amtierenden Chefs Dieter Kosslick diskutiert. Grund: Ein kurz zuvor veröffentlichter Brief von 81 namhaften Regisseurinnen und Regisseuren.

Veröffentlicht wurde der Offene Brief am 24. November, war allerdings nicht der erste seiner Art. Bereits am 1. Mai dieses Jahres hatten sich rund 80 Regisseur_innen, darunter Fatih Akin und Maren Ade, mit einem Schreiben an Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) gewandt. Denn: In ihrer Funktion ist diese auch zuständig für die Auswahl der Berlinale-Leitung. Kernforderungen des Offenen Briefes sind: Die Einrichtung einer „internationalen, zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzten Findungskommission“, deren Ziel es sein soll, für die Leitung der Berlinale „eine herausragende kuratorische Persönlichkeit zu finden, die für das Kino brennt, weltweit bestens vernetzt und in der Lage ist, das Festival auf Augenhöhe mit Cannes und Venedig in die Zukunft zu führen“. Außerdem fordern die Unterzeichner_innen, die Berlinale „programmatisch zu erneuern und zu entschlacken“, sowie „ein transparentes Verfahren und einen Neuanfang“.

In den Medien war die Petition anschließend vor allem als eine Kritik an der Arbeit Dieter Kosslicks interpretiert worden, eine kleine Kampagne gegen den Berlinale-Chef entbrannte. Mit dem Brief zögen die Filmschaffenden „eine klägliche Bilanz“ der Ära Kosslick, formulierte etwa Hannah Pilarczyk im Spiegel. Eifrig spekuliert wurde auch über mögliche Kandidat_innen für die Nachfolge. „Die Kulturstaatsministerin will eine Frau für den Posten, möglichst eine aus den Chefetagen der deutschen Filmförderung oder der kleineren Festivals“, wusste dazu Andreas Kilb in der FAZ zu berichten. Und Pilarczyk nannte sogar Namen, nämlich den von Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin der Filmförderung beim Medienboard Berlin-Brandenburg.

Im Programm zu der schon länger, vor Veröffentlichung des Briefes, geplanten Podiumsdiskussion am 4. Dezember, zu der Monika Grütters eingeladen hatte, standen dann passenderweise nicht nur Niehuus, sondern auch die Regisseure Volker Schlöndorff und Christoph Hochhäusler, beide Unterzeichner des Offenen Briefes. Wer gestern auf den vor dem Veranstaltungssaal ausliegenden Programmflyer schaute, wurde allerdings enttäuscht. Niehuus fehlte, stattdessen sollte die Präsidentin der HFF München, Bettina Reitz, auf dem Podium sitzen. Nach Grütters Aussage in ihrer Eröffnungsrede habe Niehuus am selben Tag kurzfristig „aus familiären Gründen“ absagen müssen. Ob das stimmt oder nicht, wäre Spekulation, klar ist, dass die Anwesenheit von Bettina Reitz eine Bereicherung für das Podium war.

„Wenn der Postbote zwei Mal klingelt“, eröffnete Grütters die Veranstaltung – natürlich in Anspielung auf die zwei besagten Briefe. Nach einer ausführlichen Würdigung des Wirkens von Dieter Kosslick war es ihr dann auch ein dringliches Anliegen, mit den durch die Medien wabernden Gerüchten aufzuräumen. Im Zusammenhang mit dem Offenen Brief habe es „gravierende Missverständnisse“ gegeben, räumte sie ein. „Falsch ist das Gerücht, gesucht würde eine deutsche Frau“, es gebe keine Vorfestlegungen auf Geschlecht oder Nationalität der Nachfolge für die Berlinale-Leitung. Zum weiteren Prozedere erklärte Grütters, dass sie dem am 5. Dezember tagenden Aufsichtsrat der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) vorschlagen werde, zur Suche einer neuen Berlinale-Leitung eine Findungskommission einzusetzen, die auch von Expert_innen aus der Filmbranche beraten werden soll. Diese sollen Vorschläge für eine künftige Berlinale-Struktur und die damit verbundenen Personalia machen. Die Entscheidung für die neue Leitung solle dann Mitte nächsten Jahres fallen.

Das sei jedoch nach einhelliger Meinung auf dem Podium viel zu spät, werde doch ein knappes halbes Jahr danach schon die letzte Berlinale Dieter Kosslicks stattfinden. Mehr oder weniger einig war man sich unter den Gästen, zu denen neben Schlöndorf, Hochhäusler und Reitz auch der Produzent Thomas Kufus sowie die Leiterin des Kulturressorts im Tagesspiegel, Christiane Peitz, gehörten, zudem darüber, dass die künftige Berlinale-Leitung am besten gesplittet werden sollte. Von „einer künstlerischen Leitung und einem Manager“ sprach in diesem Zusammenhang etwa Schlöndorf. Und auch Peitz glaubt, dass die wirtschaftlichen Anforderungen der immens gewachsenen Berlinale den künstlerischen Aufgaben zu viel Zeit raubten – was letztlich dem Wettbewerb schade. Was den Offenen Brief betrifft, schlossen sich dann auch Kufus und Reitz der Forderung nach einer stärkeren inhaltlichen Profilierung der Berlinale an. Vor allem Reitz verband dies aber mit der Mahnung, die Debatte nicht in einem persönlichen Bashing zu kanalisieren, wie es derzeit teilweise den Anschein habe.

Vieles kam in der Diskussion unter diesen Voraussetzungen leider zu kurz. Interessante Fragen, wie die nach dem Umgang mit Eigenproduktionen von Streaming-Anbietern etwa, wurden lediglich aufgeworfen. Wer wollte, konnte die Diskussion anschließend allerdings noch bei einem Get Together mit Wein und Häppchen fortführen. Diese Chance hat auch Grit Lemke genutzt, ehemalige Programmchefin des Dokumentarfilmfestivals DOK Leipzig und Mitgründerin der Initiative Festivalarbeit, aus der im vergangenen September die Gruppe Festivalarbeit in der Gewerkschaft ver.di hervorgegangen ist. Mit Monika Grütters selbst konnte sie zwar nicht mehr sprechen, hatte aber Gelegenheit, den Infoflyer der Initiative, „Festivalarbeit gerecht gestalten“, an deren Mitarbeiter_innen zu übergeben. Denn auch das ist eine Debatte, die man führen muss, redet man über die Zukunft von Filmfestivals: Wie können die Arbeitsbedingungen in dieser von Prekarität gezeichneten Branche verbessert und langfristig Tarife für den Bereich der Festivalarbeit etabliert werden?

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Wie ethisch kann KI berichten?

Ein ethischer Kompass ist angesichts zunehmender Desinformation immer wichtiger – für Journalist*innen, aber auch Mediennutzende. Positivbeispiele einer wertebewussten Berichterstattung wurden jüngst zum 20. Mal mit dem Medienethik Award, kurz META, ausgezeichnet. Eine Jury aus Studierenden der Stuttgarter Hochschule der Medien HdM vergab den Preis diesmal für zwei Beiträge zum Thema „Roboter“: Ein Radiostück zu Maschinen und Empathie und einen Fernsehfilm zu KI im Krieg.
mehr »

VR-Formate im Dokumentarfilm

Mit klassischen Dokumentationen ein junges Publikum zu erreichen, das ist nicht einfach. Mit welchen Ideen es aber dennoch gelingen kann, das stand auf der Sunny Side of the Doc in La Rochelle im Fokus. Beim internationalen Treffen der Dokumentarfilmbranche ging es diesmal auch um neue Erzählformen des Genres wie Virtual Reality (VR).
mehr »

Erneute Streiks bei NDR, WDR, BR, SWR 

Voraussichtlich bis Freitag werden Streiks in mehreren ARD-Sendern zu Programmänderungen, Ausfällen und einem deutlich veränderten Erscheinungsbild von Radio- und TV-Sendungen auch im Ersten Programm führen. Der Grund für den erneuten Streik bei den großen ARD-Rundfunkanstalten ist ein bereits im siebten Monat nach Ende des vorhergehenden Tarifabschlusses immer noch andauernder Tarifkonflikt.
mehr »

krassmedial: Diskurse gestalten

Besonders auf Social-Media-Plattformen wie TikTok und Telegram verbreiten sich rechtsextreme Narrative, die zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen. Wie Journalist*innen dem entgegen wirken und antidemokratische Diskursräume zurückgewinnen können, diskutierten und erprobten etwa 70 Teilnehmende der diesjährigen #krassmedial-Sommerakademie von ver.di am Wochenende in Berlin-Wannsee.
mehr »