Zossener Nahaufnahme

Jutta Abromeit und ihr Arbeitsplatz in der Lokalredaktion der MAZ Ludwigsfelde, wo die Zossener Rundschau produziert wird
Foto: Ines Glöckner

MAZ: Schneller, besser, digital – aber 20 Jahre keine Gehaltserhöhung

Eigentlich hat Jutta Abromeit heute frei. Trotzdem steht sie unter Zeitdruck, muss spätestens in einer Stunde wieder los. Die ehemalige Weltmeisterin der DDR im Ruder-Vierer arbeitet seit 31 Jahren als Redakteurin, erst bei der Märkischen Volksstimme, seit der Wende bei der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ).

Zusammen mit einem festangestellten Kollegen und einem Pauschalisten stemmt sie die Redaktion der Zossener Rundschau, eine der 15 Lokalausgaben der reichweitenstärksten Tageszeitung in Brandenburg. „Ich bin nach wie vor neugierig auf alles, was der digitale Wandel mit sich bringt“, sagt sie. „Aber inzwischen muss ich des Öfteren sagen: bitte erklärt mir doch mal, wie es geht!“

Seit 2012 gehört die Herausgeberin der MAZ, die Märkische Verlags- und Druck-Gesellschaft mbH in Potsdam, zur Madsack Mediengruppe. Knappe zwei Jahre später, Anfang Oktober 2013, hatte die Konzernspitze um Vorstand Thomas Düffert und die Geschäftsführer Sven Fischer und Christoph Rüth das Rationalisierungsprogramm „Madsack 2018“ verkündet. Damit sollten innerhalb von fünf Jahren rund 44 Millionen Euro eingespart werden. Im März dieses Jahres verkündete Unternehmenschef Düffert dann erstmals schwarze Zahlen für das Jahr 2015, auch für 2016 rechne man mit einem deutlichen Gewinnzuwachs.

Auf wessen Kosten diese offenbar ertragreiche Schlankheitskur auch finanziert worden ist, zeigt sich in der Redaktion von Jutta Abromeit. In dem hellen Redaktionsbüro direkt über der Potsdamer Straße, Hauptader der 25.700 Einwohner zählenden Stadt Ludwigsfelde, befinden sich zwar sechs Arbeitsplätze plus ein Konferenztisch. Dauerhaft tätig sind hier aber nur zwei festangestellte Redakteur_­innen der MAZ und ein Wochenspiegel-Redakteur. „Bevor unsere Redaktion mit dem Übergang an Madsack von Zossen nach Ludwigsfelde gezogen ist, waren wir fünf Redakteur_innen“, erzählt Abromeit. Weggefallen sei auch das Sekretariat. Ein Grund, warum sich der Pauschalist, der vorher ebenfalls in der Redaktion arbeitete, ins Home Office verabschiedet hat. Denn: Bezahlt bekomme der nur Texte und Fotos, nicht die Extra-Arbeit, die in der Redaktion nun mal eben anfalle mit dieser Personaldecke. Anrufe, Besuche, E-Mails und auch noch Briefe von Leser_innen müssten Abromeit und ihr Kollege allein, zusätzlich zu ihrer eigentlichen Arbeit, bewältigen. Im Durchschnitt komme sie somit auf 20 bis 45 Überstunden im Monat, rechnet die gebürtige Ludwigsfelderin vor. Hinzu kommt, dass dem Mehr an Arbeit kein Mehr an Gehalt entspricht. Dem Bundestarif hinken wir zwischen 600 und 1.200 Euro brutto hinterher, sagt Abromeit. Und ergänzt mit einem ironischen Lächeln: „In diesem Jahr feiern wir übrigens ein trauriges Jubiläum, nämlich 20 Jahre keine Gehaltserhöhung, abgesehen von einer Einmalzahlung 2012.“

Mit „Madsack 2018“ war vor vier Jahren auch die Reduzierung der bisherigen Einzelverlage auf regional und lokal ausgerichtete Medienhäuser beschlossen worden. Schon damals vermutete der Betriebsrat, dass diese wahrscheinlich so aufgestellt werden sollten wie es die Märkische Verlags- und Druckgesellschaft bereits war, nämlich weitgehend tariffrei. Lokalredaktionen und die Druckerei der Zeitung waren in tariflose Tochtergesellschaften ausgegliedert worden. Die Zossener Rundschau etwa in den MAZ-Regionalverlag Dahmeland-Fläming GmbH.

Jutta Abromeit, Redakteurin und Betriebsrätin beid er Märkischen Allgemeine Zeitung
Foto: Ines Glöckner

Für Jutta Abromeit und ihren Kollegen heißt das, dass die Endproduktion des Lokalteils, den sie zuliefern, im zentralen Newsdesk in Königs Wusterhausen erfolgt. „Das machen dann auch Leute, die die Region nicht kennen, die zum Teil vielleicht noch nie in den Kommunen waren. Und wenn dann jemand den Vornamen der Landrätin Kornelia Wehlan mit C schreibt, weiß jeder, dass die Leute nicht von hier sind. Wir haben Klasdorf und Klausdorf, Jütchendorf und Jühnsdorf, Luckenwalde und Ludwigsfelde. Die Orte mit ähnlich klingenden Namen werden permanent von Fremden verwechselt. Hier wird der lokale Vorteil eindeutig verspielt“, kommentiert Abromeit die Madsack-Strategie. Diese Arbeitsorganisation führe dazu, dass die Lokalredakteur_­innen vor Ort die Kontrolle über ihre Texte verlieren und Fehler passieren. Fehler, die eben auch vor Ort ausgebadet werden müs­sen. Wenn etwa die Zeitung nicht kommt, weil keine Zusteller da sind, oder der MAZ der falsche Lokalteil beiliegt, weil – so wie erst kürzlich geschehen – die bereits fertig produzierten Seiten aufgrund technischer Probleme nicht in der Druckerei angekommen sind. Dann stehen die Leserinnen und Leser in den Lokalredaktionen. „Soll ich Mails beantworten, Telefonate annehmen oder recherchieren, fotografieren und Texte schreiben? Wie soll das gehen, wenn man immerzu rausgerissen wird?“ fragt Abromeit energisch, aber ein bisschen ratlos.

Die Mediengruppe Madsack setze auf „das große Zukunftspotenzial regionaler und lokaler Medien“, verkündete Verlagschef Düffert vor vier Jahren. Dieses Potenzial sieht auch Abromeit, die Möglichkeiten blieben allerdings ungenutzt, würden stattdessen durch Arbeitsverdichtung und Personalabbau konterkariert. „Unsere Arbeit ist nötig, kein anderes Medium hat mehr Journalisten in der Fläche. Da kann es nicht sein, dass immer mehr wegbricht, weil Leute eingespart worden sind. Oder dass, wenn ein Kollege krank ist oder im Urlaub, einfach in Kauf genommen wird, dass mehrere Wochen oder Monate aus dieser Boom-Region im Speckgürtel Berlins nicht berichtet wird.“

Den Möglichkeiten, die die Digitalisierung bringt, steht Abromeit grundsätzlich positiv gegenüber. Mit dem E-Paper etwa, das nach der Übernahme durch Madsack eingeführt wurde, könne man Alt und Jung gemeinsam in das neue Zeitalter mitnehmen. Sie könne sich sogar vorstellen, komplett ohne Papier zu arbeiten. Problematisch sei dabei jedoch, sagt die 58jährige, dass die Beschäftigten mit den neuen Anforderungen allein gelassen würden. Heute muss sie ihre Texte und Bilder nicht nur in einem hochkomplexen Redak­tionssystem verarbeiten, sondern soll etwa von der ersten AfD-Demo in der Region gleich noch Fotos und Videos mit dem Smartphone oder Tablet schicken. Wie das geht, hat ihr allerdings niemand gezeigt. Ohne Schulungen und Weiterbildungen sei es schwierig, mit den neuen Entwicklungen Schritt zu halten. Ganz zu schweigen davon, dass von den Beschäftigten offenbar erwartet werde, sie würden dafür ihre privaten Geräte nutzen. „Ein Drucker geht ja auch nicht in den Baumarkt Farbe kaufen und druckt dann die Zeitung“, gibt sie ihren Lieblingsvergleich zum Besten, der einigen wohl schon zum Halse raushänge. Denn: Jutta Abromeit ist nicht nur Lokaljournalistin, sondern auch Betriebs­rätin. Und als solche sei es ihre Aufgabe, die Probleme in der Chefetage immer wieder auf den Tisch zu bringen.

Der digitale Wandel und damit einhergehende Entwicklungen wie etwa Roboterjournalismus machten ihr keine Angst, was zähle sei der Umgang damit. „Ich weiß, dass es kommt, ich muss damit umgehen“, konstatiert Abromeit. Aber wenn sie mittags mit Fotos und Texten ins Büro kommt, bis zum Redaktionsschluss um 18 Uhr zwei bis drei Texte fertigmachen muss und dann um 17 Uhr das System hängt, sie zudem aufgrund von Personalabbau im IT-Bereich keine kompetente Hilfe mehr bekommt, dann verkehre sich der technologische Fortschritt in sein genaues Gegenteil. Die hochtechnisierten Arbeitsabläufe sind nicht nur anfällig für Fehler, sondern nehmen den Redakteur_innen auch einen Teil ihrer Autonomie. „Wenn ich früher eine dreizeilige Bildunterschrift brauchte, dann war das kein Problem, denn das Layout habe ich bestimmt. Heute muss ich irgendwo anrufen oder eine Mail schreiben, denn das Redaktionssystem sieht nun mal nur zweizeilige Bildunterschriften vor.“ Was eigentlich zeit- und damit kostenoptimierend sein soll, bedeutet oft zusätzlichen Aufwand. Ein Firmenimperium wie Madsack müsse einen entsprechenden Ausbau der Kapazitäten gewährleisten. Aktuell würden Hard- und Software dem zunehmenden Pensum nicht standhalten, beklagt Abromeit. „Mir ist das Medium, für das ich arbeite, eigentlich egal. Für mich zählt, das Wichtigste und Neueste zu sammeln, in Wort und Bild, und es dann passend zu machen für die verschiedenen Kanäle. Aber sagt uns, wo die Reise hingeht, was wir machen sollen und vor allem: gebt uns die Arbeitsmittel und die Schulungen dafür!“

 

 

 

Jutta Abromeit und ihr

Arbeitsplatz

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