England: Medienfabriken für die redaktionelle Produktion einer ganzen Region
Fünfzehn Jahre arbeitete Tony Howard als Redakteur für verschiedene Lokalzeitungen im Nordwesten Englands. Diese Karriere ist nun beendet. Nicht, weil er es so gewollt hat, sondern, wie er sagt, „weil die Zeitungskonzerne vor nichts zurückschrecken, um ihren Profit zu steigern. Vor gar nichts.” Was Tony das Genick gebrochen hat, sind neue technologische Entwicklungen, die den britischen Lokaljournalismus umkrempeln. Und zwar auf Kosten von Arbeitsplätzen und Qualität, wie die Journalistengewerkschaft NUJ nicht müde wird zu betonen.
Britische Zeitungsverleger haben die Möglichkeiten digitaler Technologien für sich entdeckt. Schon lange gehört deshalb die digitale Filmkamera zum alltäglichen Werkzeug vieler Lokalreporter. Auch mit Auslagerung wird experimentiert. So lässt etwa der Newsquest Konzern die Anzeigenschaltung für seine zahlreichen Wochen- und Tageszeitungen in Indien verwalten. Will sich zum Beispiel eine mittelständische Ortsbäckerei über die Anzeigenpreise für ihre Lokalzeitung erkundigen, erfährt sie dieses nur noch über ein indisches Callcenter.
Was bei der Werbung funktioniert, sollte auch anderweitig anwendbar sein, dachten sich die findigen britischen Verleger. Und so erblickten die so genannten „Subbing Hubs” das Licht der Welt: Fabriken, in denen britische Medienkonzerne fast die gesamte redaktionelle Produktion ihrer Lokalzeitungen zentralisieren.
Bescheidene Anfängerlöhne
Eine solche Fabrik betreibt der Newsquest Konzern in Newport, in Wales. Praktischerweise liegt ganz in der Nähe die Universität Cardiff, die einen Studiengang für angehende Journalisten anbietet. Deren Absolventen werden im „Subbing Hub” für einen bescheidenen Anfängerlohn gerne angestellt. „So können die Zeitungsverleger mit Entlassungen bei den Lokalredaktionen Geld sparen”, erzählt Tony. „Bei meinem letzten Arbeitsplatz wurden sechs Redakteure entlassen, die jeweils 20.000 Pfund pro Jahr verdient haben. Ihre Arbeit wird nun von drei Angestellten in Newport gemacht, die jeweils 15.000 Pfund verdienen.”
Die „Redaktionsfabrik” in Newport betreut alle Newsquest Titel in England. Möglich wird das über ein neues Content Management System, das im ganzen Konzern eingeführt wurde. Dieses System verknüpft die Lokalredaktionen mit dem Zentrum in Newport. Was das bedeutet sei am Beispiel der Ortschaft Darlington im 300 Kilometer von Newport entfernten Nordosten Englands erzählt. Am Anfang der Zeitungsproduktion wird in Darlington eine Vorlage für die Zeitungsseiten mit dem Content Management System erstellt. Die Reporter schwärmen aus, recherchieren, machen Bilder und schreiben den Text. Dann wird dieses Paket samt Vorlage nach Newport geschickt. Dort schreiben die Angestellten die Überschriften, redigieren die Texte, setzen die Bilder ein und prüfen, ob auch rechtlich alles passt.
Hier fangen die Probleme an. Ein Absolvent einer Journalistenschule aus Cardiff, der in der Redaktionsfabrik in Newport sitzt, hat mit bestem Willen keine Ortskenntnis über eine 300 Kilometer entfernte Ortschaft. Gleichzeitig muss er nicht nur die Lokalzeitung in Darlington, sondern am selben Tag zahlreiche weitere Titel betreuen. Es kommt also noch Zeitnot hinzu.
Der Fehlerteufel kann sich nach Belieben austoben. Passt die Bildunterschrift zum Bild des Lokalpolitikers? Ist sein Name richtig geschrieben? Ist der Name des Lokals, in dem die Bürgerversammlung stattgefunden hat, korrekt wiedergegeben? Es sind solche Kleinigkeiten, die erst das „lokale” einer Lokalzeitung ausmachen. Geschieht hier ein Fehler, fällt es den Lesern vor Ort sofort auf.
Während die Beschäftigten in Newport also unter Zeitdruck Google konsultieren um Fakten zu checken, die sie sonst nicht kennen können, wartet in Darlington ungeduldig die Lokalredaktion auf die Rücksendung ihres Pakets. Sie soll vor Redaktionsschluss das Produkt aus Newport noch einmal auf Fehler überprüfen. Vor Einführung des neuen Systems kümmerten sich darum spezialisierte Redakteure vor Ort. Wo es früher einen Korrekturdurchgang brauchte, gibt es jetzt zwei.
Das bedeutet Mehrarbeit für die Redaktion. Und Stress, wie Tony Howard weiß: „Oft ist die zweite Korrektur gar nicht mehr möglich, weil das Endergebnis aus Newport zu spät verschickt wird. Viele Kollegen werden psychisch krank. Wer noch nicht entlassen wurde, denkt darüber nach, die Branche zu verlassen.”
Newport ist kein Einzelfall
Alle Zeitungsverleger verwenden inzwischen „Subbing Hubs”. Und überall gibt es Probleme. Oft müssen extra Freiberufler als zusätzliche Korrekturleser eingestellt werden. Trotzdem halten die Verleger daran fest. Neben der Kostenersparnis verfolgen sie ein weiteres Ziel. Mit den Redaktionsfabriken können sie den Einfluss der lästigen Journalistengewerkschaft schmälern.
Vor seiner Entlassung war Tony Howard Betriebsrat seiner Lokalredaktion. Menschen wie Tony sind das traditionelle Rückgrat der NUJ. Gerade sie werden durch die „Subbing Hubs” aus der Branche vertrieben. Ein Problem, dem die Gewerkschaft sich stellen muss.