Streiks sind in der Schweiz sehr selten – erst recht im Medienbereich. Umso überraschender war, dass die Belegschaft der Schweizerischen Depeschenagentur SDA beschloss, ab 30. Januar in den Streik zu treten. Vorausgegangen war eine Ankündigung der SDA-Leitung, 40 von 180 Stellen abzubauen. Die SDA-Führung weigerte sich, über den Stellenabbau mit der Redaktion zu sprechen. „Die SDA ist nur ihren Aktionären etwas schuldig. Jede andere Anspruchshaltung verstehen wir nicht“, hieß es aus dem Vorstand. Erste Kündigungen wurden bereits ausgesprochen.
Mit einem kurzen Warnstreik bereits eine Woche zuvor hatte die Redaktion ihre Forderung nach Gesprächen unterstrichen. Die SDA-Redaktionsversammlung erwartet: Sistierung der Entlassungen, Reduktion des Abbaus, Prüfung von alternativen Konzepten für die SDA unter Einbeziehung der Redaktion, Verbesserung des Sozialplans. Und vor allem: Es sollen ernsthafte Verhandlungen aufgenommen werden.
Der Streik ist nach 81 Stunden inzwischen unterbrochen, weil er vorerst erfolgreich war: Der Verwaltungsrat der SDA hat Verhandlungen mit der Redaktion und den Gewerkschaften syndicom und impressum aufgenommen. Sie sollen bis zum 16. Februar geführt werden. Der bisherige Erfolg des Streiks beruht auf einer großen Geschlossenheit in der Redaktion, einer breiten Unterstützung in Politik und Öffentlichkeit, auf viel Verständnis in den Redaktionen der Zeitungen und auf einer großen Unterstützungsarbeit der beiden Gewerkschaften syndicom und impressum. „Bereits als sich der Konflikt abzeichnete waren wir in stetem Kontakt mit der Redaktionskommission, standen beratend zur Seite. Für die Streiktage waren wir für Vorbereitung und Umsetzung mit einem ganzen Team von Gewerkschaftssekretär_innen präsent, konnten Logistik und Kommunikation organisieren“, berichtet syndicom-Zentralsekretärin Stephanie Vonarburg.
Der eigentliche Hintergrund des ganzen Konflikts sind Differenzen zu Strategie und Aufgabe der Nachrichtenagentur. Die SDA gehört den großen Medienhäusern, also den Verlagshäusern und dem öffentlichen Rundfunk SRG. Im Oktober hatte die SDA beschlossen, mit der Bildagentur Keystone zu fusionieren. Aufgrund ihrer bisherigen Keystone-Beteiligung wird dann auch die Österreichische Agentur APA an der SDA beteiligt sein – und erwartet von ihr einen jährlichen Gewinn von ein bis zwei Millionen Franken. Demzufolge sollen die SDA umstrukturiert und die Kosten massiv gesenkt werden.
Tatsächlich schreibt die SDA aktuell Verluste – prognostiziert ist ein Minus von 3.1 Millionen Franken pro Jahr. Allerdings ist dieses Defizit hausgemacht, denn die Leitung der SDA hat die Nachrichten-Tarife um etwa 10 Prozent gesenkt – auf Druck der Kunden. Die Kunden sind aber identisch mit den Besitzern, es sind die großen Medienhäuser. Eine kaum nachvollziehbare Absurdität: Der Besitzer verordnet seinem Unternehmen eine Tarifreduktion, wovon er als Kunde profitiert (Ausnahme: der öffentliche Rundfunk SRG, welcher die Tarife nicht gesenkt hat). Als Besitzer beklagt er nun die Einnahmeverluste und begründet damit die Teilzerstörung seines eigenen Betriebes.
Die großen Verlagshäuser haben in der Schweiz mit einem Einbruch der klassischen Einnahmen aus Werbung und Abonnements zu kämpfen. Jedoch schreiben diese Medienunternehmen weiterhin satte Gewinne. Und die SDA selbst hatte in den letzten Jahren Reserven von 18 Millionen angehäuft. Diese soll nun aber nicht in die Abfederung der Umstrukturierung gesteckt, sondern vor der Fusion an die Besitzer ausbezahlt werden.
Die Nachrichtenagentur SDA war ursprünglich als Selbsthilfeorganisation der Medienhäuser konzipiert worden, „nicht gewinnorientiert, aber den Prinzipien der Eigenwirtschaftlichkeit verpflichtet“. Diese historische Eigendefinition ist offenbar stillschweigend aufgehoben worden. Künftig soll also nach Auffassung der Verleger auch die Beschaffung des Informationsrohstoffes selbst gewinnbringend sein.
Eine massive Schwächung oder gar Zerstörung der SDA würde der Informationsversorgung und der Informationsqualität für die ganze Schweiz irreparablen Schaden zufügen. Denn bei der SDA geht es um die Grundversorgung quasi aller Redaktionen und Medien in der Schweiz mit Nachrichten, es geht um einen neutralen Rohstoff-Lieferanten von hoher Qualität und breitem Themenspektrum.
Deshalb wird neu politisch diskutiert, ob eine Nachrichtenagentur für die kleine und viersprachige Schweiz nicht als Service Public – also als öffentlicher Dienst – konzipiert werden sollte. Und grundsätzlicher: Wie werden notwendige Informationsleistungen in der kleinen Schweiz finanziert? Alleine über den Markt oder vermehrt über Service Public-Leistungen? Über öffentliche Dienstleistungen im Medienbereich wird in der Schweiz aktuell gerade massiv gestritten: Am 4. März wird in einer Volksabstimmung entschieden, ob die Gebührenfinanzierung des öffentlichen Rundfunks – und damit der öffentliche Rundfunk selbst – abgeschafft werden soll. Die Debatten laufen hart und heftig.
Bereits vor den Fusionsbeschlüssen und dem Streik bei der SDA hat der Bund einen Gesetzes-Vorschlag unterbreitet, die SDA mit öffentlichen Gebührengeldern zu unterstützen. Jetzt muss diese Diskussion anders geführt werden: Die öffentliche Finanzierung einer SDA, welche Leistungen abbauen und gleichzeitig Profite schreiben will, ist politisch nicht realistisch. Die Politik hat entsprechend reagiert: Obwohl die SDA bisher rein privatwirtschaftlich definiert ist, hat die für Medien zuständige Kommission des Bundesparlaments neben einer Redaktionsvertretung auch den Verwaltungsrat der SDA zu einer Anhörung eingeladen – und die SDA hatte zugesagt.
Philipp Cueni ist Journalist in Basel / Schweiz
Aktualisierung am 17.2.2018
Kein Ergebnis erzielt
Bis zur gesetzten Frist vom 16. Februar haben sich Verwaltungsrat der SDA und Personalvertreter in nur in wenigen Punkten einigen können. Die Verhandlungsparteien haben nun die Schlichtungsstelle des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco angerufen.