Zeit zum Umdenken: Die Musik spielt längst woanders

Erstmals heimst Netflix mehr Nominierungen für den US-Fernsehpreis Emmy ein als die klassischen Fernsehsender. Zur gleichen Zeit wettert die RTL-Chefin gegen ARD und ZDF, die sich mit ihren Programmen zu sehr ausgebreitet hätten. Betrachtet man beide Nachrichten zusammen, zeigt sich: Die privaten Sender verkämpfen sich an der falschen Front.

„In den letzten 20 Jahren ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer mehr in Gebiete vorgedrungen, in denen die Privaten zu Hause sind“, erklärte Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin der Mediengruppe RTL, in einem vielsagenden Interview. Vor allem Quizshows, fiktionale Unterhaltung und Krimis sind ihr ein Dorn im Auge. Aha!

Es ist das altbewährte Vorgehen, das man auch bei den Verlegern im Streit um die öffentlich-rechtlichen Internetangebote beobachten kann: Man markiert sein Terrain und spricht dem anderen einfach ab, dort auch unterwegs zu sein. Dabei ist der Rundfunkstaatsvertrag in dieser Frage ziemlich eindeutig: § 11 schreibt vor, dass die öffentlich-rechtlichen Angebote der Bildung, Information, Beratung und(!) Unterhaltung zu dienen haben. 16 Landesparlamente waren und sind also der Meinung, dass die Unterhaltung eben nicht allein den Privaten überlassen bleiben soll. Im Übrigen gehört sie seit jeher zum öffentlich-rechtlichen Programmauftrag, weit bevor es die private Konkurrenz gab. Man könnte das Argument mit Fug und Recht also auch umdrehen.

Es würde aber nichts bringen. Denn von der anderen Seite des Atlantiks pflügen Streamingdienste wie Netflix und Amazon Prime den Fernsehkonsum um. Die Emmy-Nominierungen spiegeln dabei nur wieder, was schon längst Realität ist: Immer mehr junge Menschen gucken kein klassisches TV mehr, schon gar nicht linear, sondern konsumieren Filme und Serien gegen eine Abogebühr wann und wo sie wollen. Dabei sei die These erlaubt, dass es oft auch besonders gute und hochwertige Inhalte sind, siehe die Nominierung.

Ob weniger Unterhaltung bei ARD und ZDF den kommerziellen Sendern auf Dauer wirklich helfen würde, ihre Einbrüche im Werbemarkt auszugleichen, darf deshalb mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Die Musik spielt nämlich längst woanders – und dort wird auch das Geld gemacht. Eine deutsche „Supermediathek“, wie sie der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm ins Spiel gebracht hatte, ist zumindest der Versuch, eine echte Alternative zu schaffen. Dann sollte man seine künftigen Partner aber nicht schon vorher mit unnötigen Forderungen verprellen.

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