Täglich eine Handvoll gut recherchierter Beiträge und werbefrei
Am Ende wurde es knapp. Drei Tage vor Ablauf der selbst gesteckten Frist fehlten noch 3.000 Unterstützer und einige Hunderttausend Euro Einlage. Aber mit Hilfe einiger Großabonnenten – allein die Rudolf-Augstein-Stiftung nahm 1.000 Abos ab, investierte somit 50.000 Euro – konnte am 13. Juni Vollzug gemeldet werden. Das Krautreporter-Magazin kommt.
Ausgangspunkt war der Leidensdruck einiger freier Journalisten. „Der Online-Journalismus ist kaputt” – mit dieser These hatte Krautreporter-Gründer Sebastian Esser sich nicht nur Freunde gemacht. Die Fundamentalkritik behauptet jedoch nicht die Abwesenheit von journalistischer Qualität im Netz. Vielmehr bezieht sie sich auf die konkreten Bedingungen, unter denen Online-Journalisten heute produzieren (müssen).
Renditeorientiertes Wirtschaften von Verlagen, das Starren auf möglichst hohe Klickzahlen, die nach wie vor schwache Position der Onliner in der Verlagshierarchie – all dies sorgt dafür, dass Qualitätsprodukte im Netz eher abseits der großen verlegerischen Marken aufzuspüren sind.
Krautreporter will das ändern. In Form eines Online-Magazins, das täglich eine Handvoll gut recherchierte Beiträge publiziert, unabhängig von verlegerischem Druck und werbefrei. Ganz ohne feste Strukturen wird es nicht gehen. Als koordinierender Chefredakteur tritt Alexander von Streit, Herausgeber von Vocer und Ex-Redakteur von Wired, an den Start. Geschäftsführer ist Philipp Schwörbel, Gründer der hyperlokalen Prenzlauer Berg Nachrichten. Für die Konzeption und Außendarstellung zuständig ist Sebastian Esser, der bereits vor eineinhalb Jahren mit der Gründung der Crowdfunding-Plattform „Krautreporter” die Grundlagen für das jetzt anlaufende Projekt schuf.
Nicht die Katze im Sack
Die Redaktion? Das sind laut Selbstdarstellung im Netz „25 Reporter im Alter von 27 bis 61, die nicht mehr darauf warten wollen, dass die großen Medienunternehmen sich endlich trauen, echten Journalismus im Netz zu ermöglichen”. Die Akteure wissen, wovon sie reden: Alle verfügen über reichlich Erfahrungen bei etablierten Online-Medien von Spiegel bis Zeit Online. Alle haben auch Spezialgebiete, aus denen sie ihre Reportagen entwickeln wollen. Abonnenten müssen nicht die Katze im Sack kaufen: Eine Themenvorschau liefert einen Vorgeschmack auf die Themen, die die Krautreporter als erstes angehen wollen. Rico Grimm etwa peilt eine Text- und Fotomontage über Siedler in Israel an. Andrea Hanna Hünniger plant in ihrer Heimat Thüringen eine „Nachspür-Reportage an den Geburtsort des Mördertrios” vom NSU. Und Medienkritiker Stefan Niggemeier will „bei einer besonderen Spezies von Volksvertretern” recherchieren, den Fernseh- und Rundfunkräten der öffentlich-rechtlichen Sender.
Feste Ressortgrenzen soll es nicht geben, „weil sich die Welt manchmal nicht so leicht in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft trennen lässt, bloß weil es das Layout einer Zeitung so vorsieht”.
Abgesehen vom dreiköpfigen „Verwaltungsüberbau” gibt es keine festangestellten Redakteure, nur Pauschalisten. Der Großteil des für das erste Jahr gesammelten 900.000-Euro-Etats soll in den Honorartopf fließen. Bereits im September können die gut 17.000 Unterstützer überprüfen, ob die für das Jahresabo vorgestreckten 60 Euro gut investiertes Geld sind. Dann sollen die ersten Artikel online gestellt werden. Noch ist nicht klar, ob nur die Unterstützer Zugang zu den Texten haben sollen.
Von den Kollegen und Kolleginnen der etablierten Medien ernten die Online-Rebellen manche Solidaritätsadresse. Mitunter in milde Selbstkritik gekleidet. „Angesichts des Projekts Krautreporter”, schrieben Carolin Ströbele und Kai Biermann auf Zeit Online, „müssen auch wir Redakteure uns die Frage stellen, ob wir die richtigen Prioritäten setzen.” Onlineredaktionen seien einem stetigen Druck ausgesetzt, „am besten sollte die Analyse schon auf der Seite stehen, kurz nachdem die Eilmeldung im Ticker aufblinkte”. Im täglichen Wettrennen um Aktualität werde oft vergessen, „den Geschichten Raum zu lassen, die uns wirklich bewegen”.
Nachdem die Anschubfinanzierung des Magazins gesichert ist, folgen nun die Mühen der Ebene. Etwa beim technischen Support. Bis zum Start im September muss eine Web-App her, „damit die Krautreporterseite in jedem Browser und Betriebssystem gleich gut funktioniert”, sagt Herausgeber Esser. Zum „Stehsatz”, der bis zum Herbst aufgebaut werden soll, können auch freie Autoren beitragen. Abonnenten sollen laut Esser sogar die Möglichkeit bekommen, zwecks Factchecking und Qualitätssicherung “ im fast fertigen Text Anmerkungen zu hinterlassen”.
Kein geringer Verdienst
Ob Krautreporter dem selbst gesteckten Anspruch, einen anderen Online-Journalismus zu schaffen, gerecht werden, müssen demnächst die Leser beurteilen. Auch dürfte es interessant sein, zu beobachten, ob es gelingt, über die engere Journalistenszene hinaus ein breiteres Publikum anzusprechen. Schon jetzt können sich die Krautreporter das Verdienst zuschreiben, eine überfällige Debatte munitioniert zu haben: Die Debatte über Relevanz und Qualität im Online-Journalismus, möglicherweise des Journalismus schlechthin. Fürwahr kein geringes Verdienst.