Neue russische Journalisten-Gewerkschaft gegründet
Namhafte russische Journalisten wehren sich gegen die Propaganda des Kreml: Sie haben eine unabhängige Journalisten-Gewerkschaft gegründet. Ihr Ziel: die Rettung ihres Berufsstands.
Schon die Suche nach einem Namen war heikel. Eigentlich wollten Alexander Ryklin und seine 15 Kollegen ihre neue Gewerkschaft „Journalistische Notwehr” nennen. „Doch wir kamen zu dem Schluss: Das geht nicht”, berichtet der Chefredakteur des kremlkritischen Nachrichtenportals www.ej.ru. „Der Begriff Notwehr wird in Russland ständig propagandistisch im Ukraine-Konflikt verwendet, er ist jetzt viel zu militärisch besetzt. Deshalb haben wir uns für den Namen ‚Journalistische Solidarität’ entschieden.”
Ryklin und seinen Mitstreitern geht es um nichts anderes als um die Existenz des Journalismus in Russland. „Der Journalismus ist vom Aussterben bedroht, wir haben fast nur noch Propaganda”, klagt der Journalist. „De facto haben wir in Russland ein Berufsverbot für ehrliche Journalisten. Für sie ist es kaum möglich, Arbeit zu finden.” Ryklins Portal wird wie andere auch von den Behörden blockiert. Die Sperre überwindet er immer wieder mit technischen Finessen – in einem „Hase-und-Igel-Spiel”, wie er es nennt.
„99 Prozent unserer Medien sind staatlich oder auf die eine oder andere Weise vom Staat kontrolliert”, klagt auch Igor Jakowenko, der Initiator der neuen Gewerkschaft. Jakowenko war früher Duma-Abgeordneter für die liberale „Jabloko”-Partei und ab 1998 Generalsekretär des Russischen Journalistenverbands. 2009 wurde er aus dieser Funktion entlassen, als der Verband immer kremlnäher geworden sei.
Alle zentralen Fernsehsender seien gleichgeschaltet, es gebe nur noch eine Handvoll kritischer Zeitungen und Internet-Medien, sagt Jakowenko. Gefragt seien „Info-Krieger”, keine Journalisten. Seit Wladimir Putin im Jahr 2000 an die Macht kam, habe er einen Feldzug gegen den Journalismus gestartet und ihn Schritt für Schritt durch Propaganda ersetzt: „Wir müssen eine große chinesische Mauer errichten zwischen Journalisten und Info-Kriegern, den Menschen klar machen, dass diese Art von Medien nichts mit Journalismus zu tun hat.”
Dementsprechend dramatisch klingt auch das Gründungsmanifest der Gewerkschaft. „Unser Land rutscht vor unseren Augen zum totalitären Regime ab. Dabei spielen die Medien in einem massiven Informationskrieg gegen die Bürger des eigenen Landes die führende Rolle”, heißt es in dem Papier. Was jetzt in der Ukraine passiere, sei „zu 90 Prozent die Schuld des russischen Fernsehens”, glaubt Jakowenko. Die Macher vergifteten mit ihren Lügen das Bewusstsein der Zuschauer, versuchten, sie blutrünstig zu machen, so der Vorwurf des Journalisten.
„Unsere finanziellen Mittel liegen bei null”, sagt Jakowenko, doch das wollen er und seine Kollegen durch ihre Arbeitskraft wettmachen. Als erste Schritte werden sie eine Internet-Seite online bringen, Kontakte mit ukrainischen Kollegen knüpfen und so ein Zeichen gegen den Hass setzen. Geplant ist ein Monitoring für Propaganda-Lügen, eine Job-Börse und Hilfe für notleidende Kollegen. Es habe bereits Entlassungen von Journalisten gegeben, nur weil sie sich kremlkritisch äußerten, klagt Jakowenko. Die Angst gehe um. „Russland steht vor einem Punkt, von dem ab ein freier Meinungs- und Informationsaustausch nur noch in den privaten Küchen möglich sein wird”, heißt es im Aufruf der Gewerkschaft.
Von vielen Kollegen habe es positive Reaktionen auf die Gründung gegeben, berichtet Jakowenko – die meisten davon allerdings hinter vorgehaltener Hand: „Einige sagten, wir finden das prima, aber wir können nicht mitmachen, weil wir sonst unsere Existenz gefährden.” Jakowenko selbst hat noch keine Angst vor Repressionen: Es sei zwar leicht möglich, dass ihnen die Behörden bei der Registrierung der Gewerkschaft Steine in den Weg legen. „Aber für massivere Störmanöver sind wir im Moment noch zu klein und zu unwichtig. Wenn die Idee Erfolg hat, werden wir aber zwangsläufig ins Visier der Staatsmacht geraten. Ich hoffe, dann sind wir bereits stark genug, um uns zu wehren.”
n-ost-Korrespondent Boris Reitschuster, München