Filmtipp: Die Frau mit der Augenklappe

Aus dem Filmtrailer: Colvin (r.) und ihr Fotograf im Einsatz
Bildschirmfoto: www.reporter-ohne-grenzen.de

Über Leben und Sterben der sehr bekannten Kriegsreporterin Marie Colvin sind jetzt zwei Filme auf DVD erschienen – der Spielfilm „A private war“ von Matthew Heinemann und als Bonusmaterial dabei der Dokumentarfilm „Unter the Wire“ von Chris Martin. Der Spielfilm ist ein Biopic. Der Dokumentarfilm, ein feature documentary, konzentriert sich auf wenige Wochen vor und nach dem Tod von Marie Colvin.

Marie Colvin arbeitete für die Sunday Times. Sie trug eine Augenklappe, ihr Markenzeichen; 2001 hatte sie in Sri Lanka bei einer Granatenexplosion ein Auge verloren. Sie starb 2012 im syrischen Homs, bei einem Angriff der Assad-Truppen auf den Stadtteil, in dem das Medienzentrum der Aufständischen lag. Mit ihr starb der französische Fotograf Rémi Ochlik, andere überlebten, darunter auch der Fotograf Paul Conroy, mit dem Marie Colvin zusammengearbeitet hat.

„Under the Wire“ ist ein szenisch aufbereiteter Dokumentarfilm. Er schildert, wie Marie Colvin mit Paul Conroy illegal nach Syrien geht, um die Regierungslüge zu widerlegen, wonach in Homs Terroristen angegriffen würden, keine Zivilisten. Noch am Tag vor ihrem Tod war in den USA eine Reportage von Marie Colvin erschienen, in der sie die Geschichte eines sterbenden Babys erzählte. Paul Conroy hat fotografiert, Augenzeugen haben mit dem Smartphone Videos gedreht – die Bilder sind nicht leicht zu verdauen.

„Under the Wire“ ist ein Film unter Hochspannung, verdichtet fast wie ein Thriller. Er ist allerdings eine nachgebaute, die Geschehnisse nachgestaltende Reportage, die Präsenz nur simuliert. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von Paul Conroy, der im Film als Erzähler fungiert, mit einer bildhaften, von der Erfahrung gezeichneten Sprache. Die ungeheure Wucht der Bilder kommt vor allem vom Footage-Material, Handybildern von Aktivisten, das der Regisseur verarbeitet: Straßenkampf, Bombeneinschläge, verstörte Menschen in den Kellern usw.

Dazwischen arbeitet Chris Martin aber auch mit uneigentlichen dokumentarischen Bildern, die unmöglich real hätten gedreht werden können: so etwa Szenen aus dem Tunnel, über den man ins belagerte Homs gelangen konnte. Um seine Erzählung szenisch zu komplettieren, ließ der Regisseur seine Protagonisten von Schauspielern darstellen. Diese Szenen verwob er so geschickt mit Footage-Material und den unspezifischen Dokumentarbildern, dass der Eindruck einer geschlossenen Erzählung entsteht, aufgebaut im Grunde wie ein Spielfilm. Man sollte einen solchen Film dann allerdings nicht mehr Dokumentarfilm nennen, sondern wie etwa im Englischen als feature documentary bezeichnen.

Marie Colvins Tod hat große Wellen geschlagen. Ihre Angehörigen haben die Tötung der Reporterin als Kriegsverbrechen bezeichnet und geklagt. Im Januar 2019 befand ein US-Gericht Syrien für schuldig und forderte eine Entschädigung in Höhe von 300 Mio. Dollar.

Übrigens: Wer sich für die Arbeit von Kriegsreporterinnen interessiert und zufällig in Düsseldorf vorbeikommt: Im Kunstpalast ist noch bis 10. Juni eine sehr eindrucksvolle Ausstellung zu sehen. „Fotografinnen an der Front“ berichtet über sieben Kriegsfotografinnen von Gerda Taro bis Anja Niedringhaus, die 2014 in Afghanistan ums Leben kam.

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »