Gleichstellung: Luft nach oben im Rundfunk

Die Sendung "Wir haben die Wahl" aus dem SRF Studio in Zürich 2015 - ein Positivbeispiel für Geschlechtergleichtstellung vor und hinter der Kamera, das in vielen europäischen Ländern noch immer eher die Ausnahme denn die Regel darstellt
Foto: SRF/Oscar Alessio

Nach dem EU Media Pluralism Monitor 2017 gibt es in nur acht Mitgliedsländern Vorschriften zur Geschlechtergleichstellung im öffentlichen Rundfunk, die sowohl eine „angemessene Darstellung“ im Programm als auch ein „Hinwirken auf gleichmäßige Vertretung“ im Personal fordern. Doch diese Regelungen wirken nur unzureichend. Dafür gibt es vielschichtige Gründe, die in einer Studie an der Universität Zürich analysiert wurden.

Die Ergebnisse stellte Medienforscherin Corinne Schweizer unter der Frage „Frauenquoten für den öffentlichen Rundfunk?“ auf der DGPuK-Jahrestagung vor. Ausgangspunkt der Studie ist die Situation in der Schweiz, wo die Gleichstellung von Männern und Frauen erst 1981 in die Verfassung aufgenommen wurde und ihre Umsetzung im Juni erneut durch einen landesweiten Frauenstreik eingefordert werden soll. Für Gleichstellung – auch im Medienbereich – engagiert sich dort die Alliance F, der Bund der Frauenorganisationen. Sie forderte im Herbst 2018 in einer Stellungnahme zum neuen Bundesgesetz über elektronische Medien zwei Ergänzungen: Der Schweizer Rundfunk SRG solle sexistische Werbung verbieten und die Geschlechter ausgewogen und stereotypenfrei darstellen.

In einer Dokumentenanalyse untersuchte Corinne Schweizer 2018 zusammen mit Annina Streun, wie in der Schweiz und anderen europäischen Ländern die Geschlechtergleichstellung im öffentlichen Rundfunk erreicht werden soll. Sie schrieben Rundfunkanstalten in 17 Ländern an und bekamen Antworten von acht Anstalten aus sechs Staaten. Neben der Schweiz und Irland handelte es sich dabei um vier der acht EU-Länder mit Gleichstellungsvorschriften: Deutschland, Finnland, Großbritannien und Österreich.

Gleichstellungsvorschriften als Eingriff in Medienfreiheit

Erstes Ergebnis der Schweizer Forscherinnen: Gleichstellungsinstrumente setzen mehrheitlich auf der Strukturebene an, da durch inhaltliche Regelungen die „Medienfreiheit“ eingeschränkt würde. In Deutschland ist damit die Rundfunkfreiheit gemeint, die Sendeanstalten vor staatlichen Eingriffen bei Programmgestaltung und Auswahl des dafür zuständigen Personals schützt. Dennoch gibt es inhaltliche Vorschriften im deutschen Rundfunkstaatsvertrag, wenn dort steht: „Werbung und Teleshopping darf nicht aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung diskriminieren.“ Das hängt damit zusammen, dass es neben dem Grundrecht auf Rundfunkfreiheit auch verbriefte Gleichheitsrechte gibt. Andere europäische Länder haben ähnliche Regelungen. In der Konzession für die Schweizer Radio- und Fernsehgesellschaft von 2018 wird die SRG verpflichtet, sich „um eine angemessene Darstellung und Vertretung der Geschlechter in ihrem publizistischen Angebot“ zu bemühen. Nach der europäischen Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste (AVMD) sollen die Mitgliedstaaten Hass und Hetze aufgrund von Geschlecht sowie geschlechterdiskriminierende Werbung verhindern. Die Richtlinie gilt in allen Ländern der Studie, außer der Schweiz, die nicht EU-Mitglied ist.

Hier hat die SRG aber ein internes Diversity Management eingeführt – nicht zuletzt auf Druck einer wissenschaftlichen Studie, die 2014 feststellte, dass „die Gleichstellungsprojekte zu wenig transparent, die Erreichung ihrer Zielsetzungen keinen verbindlichen Fristen unterlegen, und die finanziellen Ressourcen zu knapp bemessen“ seien. Auch in Deutschland wurden interne Reformen im ZDF 2017 durch eine Untersuchung zur audiovisuellen Diversität befördert.

Auf Selbstregulierung setzen alle befragten Rundfunkanstalten, nur der österreichische ORF machte dazu keine Angaben. Beim finnischen öffentlichen Rundfunk YLE haben „die Abteilungen News & Current Affairs und Sport es sich zum Ziel gesetzt, ihre Gästeliste zu diversifizieren, Geschlechterrollen aufzubrechen und Stereotype zu vermeiden.“ Außerdem gibt es Workshops zum Thema Gleichstellung für Mitarbeitende. Die britische BBC evaluiert regelmäßig ihre Gleichstellungsmaßnahmen. Nach dem Bericht 2017 lag der Frauenanteil am Personal damals bei 48 Prozent, für 2020 sind 50 Prozent angepeilt.

Stärkeres Bekenntnis zur Gleichstellung gefordert

Die Forscherinnen stellen außerdem fest, dass die Regelungen zur Gleichstellung der Geschlechter ihren Ursprung nicht in Medien- und Kommunikationsgesetzen haben, sondern in allgemeinen Gleichstellungsgesetzen. „Vorgeschriebene Lohnanalysen, Gleichstellungspläne und Quoten für Verwaltungsräte werden von dort übernommen – wenn es sie gibt“, so Schweizer. In Deutschland wurde die im Bayrischen Gleichstellungsgesetz verankerte Vorschrift, „auf eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Gremien hinzuwirken“, z. B. 2017 ins  Bayrische Rundfunkgesetz übertragen. Ähnlich in Finnland, wo die Forderung des Gender Equality Act nach 40-Prozent-Quoten für Verwaltungsräte und öffentliche Einrichtungen genutzt wird, um im YLE-Gesetz die Thematisierung und Förderung von „Gleichstellungsaspekten“ festzuschreiben. In Großbritannien werden aus dem allgemeinen Gesetz zur „Gleichstellung am Arbeitsplatz“ (Equality Act) Verpflichtungen für Rundfunkveranstalter hergeleitet, Chancengleichheit zu fördern. In Irland verlangt der Broadcasting Act 2009 mindestens fünf Frauen und Männer im Vorstand und bezieht sich dabei auf zwei Gesetze: Employment Equality Act 1998 und Equal Status Act 2000 .

Allerdings: Wenn Gleichstellung und Quoten in Medien- und Kommunikationsgesetzen gefordert werden, beziehen sie sich lediglich auf Gremienvertreter*innen in den Rundfunkanstalten, nicht auf das journalistische Personal. Schweizer fragt deshalb, ob die allgemeinen Gleichstellungsvorschriften auch jenseits interner Selbstregulierung – wie etwa bei der BBC – auf die Redaktionen übertragen werden können.

Interessant sei auch, wie man Forderungen nach Entgelttransparenz, die bisher nur in allgemeinen Gesetzen verankert sind, in den Medienbereich übernehmen könne. Das österreichische Gleichbehandlungsgesetz verlangt z. B. von allen Organisationen jedes zweite Jahr einen “Gleichstellungsplan” inklusive Lohntransparenz. „Auch in der Schweiz sollen bald verpflichtend Lohnanalysen alle vier Jahre eingeführt werden“, so die Medienforscherin.

Corinne Schweizer zieht ein durchwachsenes Fazit: Fixe Frauenquoten für den öffentlichen Rundfunk und klar formulierte Programmaufträge hätten, wenn sie umgesetzt würden, sicher eine stärkere Wirkung als die schwammigen Formulierungen und freiwilligen Maßnahmen. Noch fehle es aber an Erfahrungswerten, da viele Instrumente erst kürzlich eingeführt wurden. Sie betont: “Es würde aber schlicht besser wirken, wenn der gebührenfinanzierte öffentliche Rundfunk und die Medienpolitik sich stärker zur Gleichstellung bekennen würden – gerade in der Schweiz.“

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