Medienpolitik betrachtet vor dem Hintergrund der Europawahl im Mai
Europäische Medienpolitik – das klingt zunächst paradox. Denn in der EU gilt der Grundsatz: Kultur- und Medienangelegenheiten sind Sache der Mitgliedstaaten. Aber aufgrund des Doppelcharakters von Medien als Kultur- und Wirtschaftsgüter sind diese auch Teil der digitalen Wirtschaft. Eine Wirtschaft, die sich vor allem global entwickelt. Vor diesem Hintergrund hat die EU-Gesetzgebung punktuell durchaus direkten Einfluss auf die Medien.
Reform des Urheberrechts
Nach wie vor umstritten ist der jüngst zwischen Unterhändlern von EU-Parlament und Kommission erzielte Kompromisstext für eine Reform des Urheberrechts. Inzwischen haben auch die EU-Mitgliedsstaaten mehrheitlich dafür votiert. Der Entwurf sieht unter anderem ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage sowie deutlich mehr Pflichten für Onlineplattformen zum Schutz von Urheberrechten vor.
ver.di hatte den Richtlinien-Kompromiss begrüßt. Durch die Reform würden die Weichen in Richtung einer besseren Vergütung von Urheber*innen in Europa gestellt, begründete der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke seine zustimmende Haltung (M Online: https://tinyurl.com/yylvnjg2). Den großen Plattformen werde zudem „endlich eine klare Verantwortung für die von ihnen genutzten Inhalte zugeteilt“, so Werneke. Es gelte allerdings, „vernünftige Modelle zu entwickeln, die die Vielfalt im Internet erhalten“.
Einsatz von Upload-Filtern
Kritiker sehen die Freiheit im Netz durch den umstrittenen Artikel 13 im Richtlinienentwurf gefährdet. Dieser verpflichte Onlineplattformen wie YouTube dazu, alles dafür zu tun, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern. Geschützte Werke müssten lizenziert werden, ehe sie auf den Plattformen landen – oder gar nicht hochgeladen werden. Kritiker nehmen an, dass dafür Upload-Filter eingesetzt würden. Diese könnten aber legale Inhalte, etwa Zitate oder Parodien, nicht zweifelsfrei erkennen und sie fälschlicherweise blocken. Damit werde die Meinungsfreiheit beschnitten.
Auch Justizministerin Katarina Barley (SPD) hat sich regierungsintern für eine Richtlinie ohne den umkämpften Artikel 13 eingesetzt. Auf Vorschlag von Deutschland und Frankreich sind nun junge Unternehmen mit einem Jahresumsatz von weniger als zehn Millionen Euro und einer Nutzerzahl von unter fünf Millionen monatlich von diesem Artikel ausgenommen. Aufgrund der anhaltenden kontroversen Debatte hält Barley es für möglich, dass die Richtlinie im EU-Parlament durchfällt. Nach ihrer Auffassung ist die Urheberrechtsreform überfällig, dürfe aber nicht zulasten der Meinungsfreiheit gehen.
Derweil wächst die Phalanx der Reformgegner. YouTuber, Bürgerrechtler, IT-Verbände, Netzaktivisten warnen vor den Folgen von Artikel 13. Eine Petition gegen „Zensurmaschinen“ hatte bis Ende Februar mehr als 4,7 Millionen Unterschriften gesammelt. Am 1. März demonstrierten in Berlin 5.000 Menschen unter dem Motto „#Berlin gegen 13“. Netzaktivist Markus Beckedahl, Gründer von „netzpolitik.org“, machte die Position klar: „Wir sind nicht gegen das Urheberrecht, wir sind aber gegen verpflichtende Upload-Filter.“
Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisierte, die Upload-Filter könnten nicht nur die Basis für eine Zensurinfrastruktur sein, sie seien auch aus datenschutzrechtlichen Gründen bedenklich. Nur wenige große Anbieter könnten eine entsprechende Technik zur Verfügung stellen, so Kleber. Letztlich entstünde so ein Oligopol einiger Anbieter, über die dann der gesamte Internetverkehr relevanter Plattformen und Dienste laufe. Diese würden dann umfangreiche Informationen über die Nutzer*innen erhalten.
Das Leistungsschutzrecht kommt den Vorstellungen der Verlegerlobby weit entgegen. Suchmaschinen wie Google News müssen demnach künftig für das Anzeigen von Artikel-Ausschnitten Geld an die Verlage zahlen. Die Reform war bereits 2016 von der EU-Kommission vorgeschlagen worden. Sie soll das Urheberrecht an das digitale Zeitalter anpassen.
Revision der AVMD-Richtlinie
Am 28. November 2018 wurde nach dreieinhalbjähriger Diskussion die Neufassung der „EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste“ (AVMD) im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Bis September haben nun die Mitgliedstaaten Zeit, diese Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Worum geht es? Ziel der Richtlinie ist es, die Rechtsvorschriften für AV-Medien im Licht von Digitalisierung und Konvergenz an die veränderten Marktrealitäten anzupassen. Das betrifft Fernsehsender, Video-on-Demand-Anbieter und Online-Videoplattformen. Erfasst werden erstmals auch Video-Sharing-Plattformen, User Generated Content, Videos auf Webseiten von Zeitungen sowie AV-Inhalte, die etwa über soziale Netzwerke wie Facebook verbreitet werden.
Deutschlands Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, sah mit der Verabschiedung der Richtlinie das Ziel, ausgeglichene Wettbewerbsbedingungen zwischen den diversen AV-Anbietern zu erreichen, näher gerückt. Und die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab kündigte an, die Umsetzung der Richtlinie auf nationaler Ebene zügig zu beginnen. Tatsächlich waren nicht alle Wünsche der deutschen Seite erfüllt worden. Bundesregierung wie auch die Länder hatten lange Zeit für eine technikneutrale Regulierung gekämpft, um künftig nicht mehr zwischen linearen und non-linearen Diensten zu unterscheiden. Diese Position fand indes keine Mehrheit. Dennoch wurden für beide Regulierungsbereiche vergleichbare Vorschriften verabschiedet.
Anders als von den kommerziellen Anbietern gefordert, werden die Werbevorschriften für TV-Sender nur geringfügig liberalisiert. Die Sender können nur flexibler entscheiden, wie viel Werbung sie pro Stunde ausstrahlen wollen. Und zwar im Rahmen von zwei Zeitfenstern: Zwischen 6 und 18 Uhr ist künftig Werbung im Umfang von maximal 144 Minuten (höchstens 20 Prozent des Sendevolumens) erlaubt. In der Prime Time von 18 Uhr bis Mitternacht beträgt die maximal zulässige Werbedauer 72 Minuten (max. 20 Prozent). Bislang waren 20 Prozent oder 12 Minuten Werbung pro Stunde erlaubt. Durch die jetzt beschlossene Abschaffung des 12-Minuten-Limits müssen sich Zuschauer*innen vor allem im Abendprogramm künftig auf längere Werbe-Unterbrechungen einstellen.
Künftig werden auch Anbieter nicht-linearer Mediendienste zur Förderung europäischer Produktionen verdonnert. So müssen mindestens 30 Prozent der abrufbaren Inhalte von Streaming-Anbietern, die in der EU ansässig sind, europäischen Ursprungs sein. Das gilt auch für US-Konzerne wie Amazon Prime und Netflix, da sie ihr Geschäft über europäische Tochterfirmen betreiben. Weiterhin gültig bleibt die Vorgabe für Fernsehsender, wonach 50 Prozent der ausgestrahlten Werke europäisch sein müssen.
Schutz für Whistleblower
Spätestens nach Skandalen wie dem Facebook-Datenleak oder den Panama-Papers, die ohne die Initiative von Whistleblowern wohl nicht aufgedeckt worden wären, ist dieses Thema auf der Agenda der EU-Kommission. Nach Vorlage einer entsprechenden Richtlinie im April 2018 gab es die begründete Hoffnung auf neue, verbesserte europäische Standards zum Whistleblower-Schutz. Erst recht, nachdem der zuständige Rechtsausschuss sich gegen das vorrangige Gebot der „internen“ Meldung ausgesprochen hatte (M 4/18). Nach dieser Rechtsmeinung muss sich ein Whistleblower im Regelfall zuerst an die Unternehmensleitung wenden, wenn ihm oder ihr eine Straftat oder ein Missstand am Arbeitsplatz aufgefallen sein sollte. Die „interne“ Meldung hat vor allem in Deutschland Vorrang vor der „externen“ Anzeige bei Aufsichts- oder Strafverfolgungsbehörden. Andernfalls riskiert der Beschwerdeführer unter Umständen gekündigt zu werden. Mit dieser Praxis soll nach Auffassung der Europaabgeordneten nun endlich Schluss sein. Künftig soll es in das Ermessen der Whistleblower*innen gestellt sein, auf welchem Wege der Missstand öffentlich gemacht wird.
Ausgerechnet das von Katarina Barley geführte Bundesjustizministerium mauert jetzt und besteht auf einem mehrstufigen Meldeverfahren. Nur wenn es wenig Aussicht gebe, dass das Unternehmen die Verstöße abstelle oder bei einer „erheblichen Gefahr für öffentliche Interessen“, so die Justizministerin, könnten Whistleblower*innen auch direkt an die Öffentlichkeit gehen. Grüne und Linke verurteilten Barleys Haltung als Blockadepolitik, die den bestmöglichen Schutz für Whistleblower verhindere.
Richtlinien zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen
Thematisch in engem Zusammenhang steht die derzeit im Bundestag beratene und ebenfalls stark umstrittene EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (M Online: https://tinyurl.com/y3wb8ekp). Viele Medien und Medienverbände, darunter auch die dju in ver.di, fürchten, der „Regierungsentwurf führe in seiner jetzigen Fassung zu einer deutlichen Verschiebung der Balance zu Lasten der freien Berichterstattung“. Die Debatte gewinnt aktuelle Brisanz durch die Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft gegen Oliver Schröm, den Chefredakteur des Investigativ-Netzwerks Correct!v. Dieser war im Kontext der so genannten Cum-Ex-Recherchen maßgeblich an der Aufdeckung des größten Steuerraubs Europas beteiligt. Jetzt wird gegen ihn wegen des Verdachts auf „Anstiftung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen“ nach §17 UWG (Gesetz gegen Unlauteren Wettbewerb) ermittelt. Es sei „erschreckend, dass deutsche Behörden sich von den Tätern instrumentalisieren lassen“, kritisiert Correct!v. Die jetzt diskutierte neue EU-Richtlinie soll unter anderem die Vorschriften aus dem UWG ersetzen. Der aktuelle Entwurf, so urteilt Correct!v in einem Offenen Brief an die zuständigen Fachminister Katarina Barley (Justiz) und Olaf Scholz (Finanzen), „gefährdet den Informantenschutz und somit die Grundlage investigativer journalistischer Arbeit“. Vor dem Hintergrund des Verfahrens gegen Schröm fordert das Netzwerk namentlich Justizministerin Barley auf, „investigative Recherchen von Journalisten nicht zu kriminalisieren“. Denn: „Steuerraub ist ein Verbrechen. Journalismus nicht.“