Eine kommentierte Presseschau zur Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien
Für die weitaus überwiegende Zahl der Medien scheint die Rollenverteilung seit dem politischen Umsturz in der Ukraine klar definiert: Hier die bösen, nach Wiedererlangung alter Weltmacht dürstenden Russen, da die guten, freiheitsliebenden und westlichen Werten zugeneigten Aufständischen am Maidan. Bei der Unterfütterung dieser Position vergaßen viele Korrespondenten Grundregeln des journalistischen Handwerks. Etwa den guten alten Brauch, Protagonisten beider Seiten angemessen zu Wort kommen zu lassen.
Das medienkritische NDR-TV-Magazin „Zapp“ klopfte bereits zur Jahreswende in drei verschiedenen Monaten jeweils eine Woche lang „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ auf die Vielfalt der Stimmen ab. Ergebnis: Fast 80 Prozent der Interviewpartner waren seinerzeit Regierungsgegner. Der Aktionsradius der im noblen Hotel „Ukraina“ untergebrachten Korrespondenten beschränkte sich anfangs auf das Camp am Maidan und dessen unmittelbare Umgebung. Recherche in anderen Vierteln der Stadt oder gar in anderen Regionen des Landes? Fehlanzeige. Umso größer die Verwirrung, als sich später herausstellte, dass in der Ostukraine die meisten Menschen keine gelbblauen Fähnchen schwingen. Gegen die antirussische Schlagseite der Berichterstattung deutscher Medien formiert sich inzwischen reichlich Widerstand – zumindest in sozialen Netzwerken und Leserbriefspalten kommt es gelegentlich zu wahren Shitstorms.
Information und Manipulation
Ein Großteil der Medien ließ für differenzierte Betrachtungsweisen kaum Raum. Verständlich: Wer jenseits der einfachen Schwarz-Weiß-Malerei des Mainstreams etwas über die Verhältnisse in der Ukraine herausfinden will, muss investieren: Recherchen kosten Zeit und Geld. „Kleinigkeiten“ wie Paragraph 7 des EU-Assoziierungsabkommens, in dem auch von militärischer Zusammenarbeit die Rede ist, wurden schlicht unterschlagen. Bekanntlich hat der Westen sein 1989 gegebenes Versprechen, mit der NATO nicht über Deutschland hinaus nach Osten zu expandieren, vielfach gebrochen. Dass Russland dem unverhohlenen Werben der NATO um die Ukraine nicht tatenlos zusehen würde, war absehbar.
Prorussisch böse, prowestlich gut – Zwischentöne sind schließlich „Krampf im Klassenkampf“. Jazenjuk gut, Janukowitsch böse, na klar! Wer ein Vermummungs- und Bewaffnungsverbot bei Demonstrationen erlässt, konnte schließlich nur ein Diktator sein, der nach dem Polizeistaat lechzt. Ob Angela Merkel brennende Autoreifen, marodierende Nazi-Schläger und besetzte Ministerien im Berliner Regierungsviertel als Ausdruck lebendiger Demokratie werten würde? Unwahrscheinlich. Nachdem auch in der Ost-Ukraine Barrikaden errichtet und öffentliche Gebäude besetzt werden, passiert Erstaunliches: Die gleichfalls mit Hasskappe vermummten Protagonisten heißen in deutschen Medien nun nicht mehr Freiheitskämpfer, sondern „Putins Schergen“ oder „fünfte Kolonne Moskaus“. Wann immer Jazenjuk in der Ostukraine Militär gegen die eigene Bevölkerung einsetzt, übernehmen fast alle deutschen Medien die offizielle Sprachregelung von „Anti-Terror-Einsätzen“. Allerdings ohne Gänsefüßchen. Die Formulierung „prorussischer Mob“ schaffte es bis in die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen.
Warum aber fand der Brandanschlag nationalistischer Kreise auf das Gewerkschaftshaus in Odessa am 2. Mai in den deutschen Medien so wenig Beachtung? Ein Ereignis, bei dem mehr als 40 Menschen ums Leben kamen und 200 weitere verletzt wurden? Richard Zietz nannte es im Freitag den „Medien-GAU von Odessa“. Tatsächlich hatte es den Anschein, als wetteiferten die hiesigen Meinungsmacher darum, diese „Tragödie“ (Außenminister Frank-Walter Steinmeier) möglichst herunter zu spielen, in eine Randnotiz unter „Verschiedenes“ abzudrängen. Könnte es daran gelegen haben, dass hier kein prorussischer, sondern offenbar ein proukrainischer „Mob“ zündelte? Möglicherweise unter Beteiligung rechtsextremer Banden? Und dass die verkohlten Toten nicht als Propagandainstrument zur Hetze gegen den „Brandstifter Putin“ taugten? Das vermeintliche „Leitmedium“ Die Zeit, berichtet Zietz, „versteckte das Massaker in dem obligatorischen Newsticker-Salat und konzentrierte sich stattdessen – garniert mit den üblichen Schuldzuweisungen in Richtung Russland – auf die neuesten diplomatischen Verwicklungen“. Verwicklungen, die daraus resultierten, dass ausgerechnet deutsche Bundeswehrangehörige im Rahmen eines fragwürdigen OSZE-Mandats in der Ostukraine aufgefallen und festgesetzt worden waren. Da möchte man zynisch Entwarnung geben: „Keine Deutschen unter den Opfern!“ Merke: Wer als Opfer in unserer freien Presse einen ordentlichen journalistischen Nachruf haben will, muss zur rechten Zeit am rechten Ort sterben. Und auf der rechten Seite stehen.
Ganz auf Linie mit den Eliten
Warum unterstützen so viele Journalisten vor allem deutscher Leitmedien kritiklos eine Außenpolitik, die mit ihrer einseitigen Parteinahme für die Übergangsregierung in Kiew, mit unwirksamen Sanktionen/ Sanktionsdrohungen gegenüber Russland wirkliche politische Lösungen eher behindert als wahrscheinlicher macht? Denn dass die deutschen Leitmedien von Anfang an klar Partei ergriffen, ist offensichtlich. Ob Michael Stürmer, Chefkorrespondent der Welt, Stefan Kornelius und Klaus-Dieter Frankenberger, die Ausland-Ressortleiter von Süddeutsche und FAZ oder Zeit-Herausgeber Josef Joffe – sie alle üben sich in permanentem Putin-Bashing und verbaler Mobilmachung, häufig garniert mit der Forderung nach einer massiven Steigerung der westlichen Rüstungsausgaben. Was sonst eint diese Leitartikler? Zum Beispiel die Mitgliedschaft in der „Atlantik-Brücke“, einem elitären Lobbyverein zur Förderung der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Zugleich nur einer von vielen „Think Tanks“, in denen bundesdeutsche und US- Politiker und Journalisten sich „in diskreter Atmosphäre“ auf ein gemeinsames Weltbild verständigen. „Die meisten führenden Journalisten sind im Westen sozialisiert mit einer Nähe zu den USA und zur NATO“, sagte Uwe Krüger, Medienwissenschaftler an der Uni Leipzig in der bereits erwähnten Ausgabe von „ZAPP“. Krüger legte unlängst die Studie „Meinungsmacht“ vor, in der er im Rahmen einer kritischen „Netzwerkanalyse“ den „Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten“ untersucht. Eine seiner Hypothesen zum tendenziösen publizistischen Output der oben genannten vier Eliteschreiber: „Die Ursachen von Krisen werden immer woanders bzw. bei anderen gesucht: Der eigene Beitrag zum Unfrieden (etwa Deutschlands, der NATO, der USA) wird nicht diskutiert.“
Dämonisierung des „Feindes“
„Putin ist ein Verbrecher, Putin ist ein Despot und er ist ein Kriegstreiber“ – für den Grünen und EU-Abgeordneten Werner Schulz ist die Sache klar; und er bekommt für derlei konstruktive Beiträge zur „Völkerverständigung“ viele Foren, ob im Deutschlandfunk-Interview oder bei „Günther Jauch“. Überhaupt die Talk-Shows: „Putin, der Große“, „Putins Machtspiele“, „Putin weiter auf dem Vormarsch!“, „Spielt Putin mit dem Feuer?“ – Journalistische Vielfalt, möchte man spotten, sieht anders aus. Bei diesem Trommelfeuer mögen auch die Politmagazine nicht zurückstehen. Der Spiegel nennt ihn „Brandstifter“, das österreichische Magazin Profil adelt ihn zum „gefährlichsten Mann der Welt“. Personalisierung, Pauschalisierung und Dämonisierung des politischen Gegners sind seit jeher beliebte Instrumente aus dem Baukasten vorurteilsbeladener, gelegentlich auch hetzerischer Publizistik. Diesmal bemühte Deutschlands oberster Finanzverwalter Wolfgang Schäuble mal wieder die Nazi-Analogie (Putin-Krim = Hitler-Sudetenland). Justizministerin Hertha Däubler Gmelin kostete ein solcher Vergleich 2002 noch das Ministeramt. Ihr Pech: Sie hatte den völkerrechtswidrigen Irakkrieg Bushs (der übrigens auch in deutschen Leitmedien viele Sympathisanten fand) mit Hitlerschen Methoden in Verbindung gebracht. Schäuble kam mit einem leichten Rüffel der Kanzlerin davon – es ging ja nur gegen den „Kriegstreiber“ Putin. Auch an der Gesellschaftsfähigkeit der ukrainischen Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko dürfte sich für westliche Medien und Staatsmänner wenig geändert haben – trotz (oder vielleicht sogar wegen) ihrer peinlicherweise publik gewordenen Mordphantasie gegen den „Bastard“ Putin.
Die halbstaatliche deutsche Telekom treibt derweil eine „schlimme Vermutung“ um: „Wladimir Putin will auch Finnland und Georgien annektieren“, so eine Meldung auf t-online.de vom 31. März. Hinweisgeber: Ein ehemaliger Berater Putins, „der derzeit als Senior Manager Mitglied des einflussreichen ökonomisch-politischen US-Think-Tanks Cato Institute arbeitet“. Keine Quelle zu windig, kein Argument zu dämlich, als dass sie nicht von irgendwelchen bundesdeutschen „Qualitätsmedien“ als zitierfähig angesehen würden. Etwa von stern.de („Will Putin jetzt auch Finnland?“), wo Rußlands Präsident der Wunsch nach einer „Rückkehr zu den Tagen des letzten Zaren, Nikolaus II., und der Sowjetunion unter Stalin“ untergeschoben wird. Da lässt sich auch Übergangspräsident Jazenjuk nicht lumpen: „Putin will den Dritten Weltkrieg!“ Hysterie war bekanntlich noch nie ein guter politischer Ratgeber. Die deutschen Medien zitieren auch hier brav. Anstatt in eine Debatte über den Geisteszustand des vom Westen hofierten Politikers einzusteigen. Egal: Jazenjuk ist prowestlich, befürwortet den NATO-Beitritt der Ukraine und ist laut Financial Times der „Favorit der Amerikaner“. Letzte Meldung: Hunter Biden, Sohn von US-Vizepräsident Joe Biden, soll Direktoriumsmitglied des ukrainischen Gaskonzerns Burisma werden. Dämmert’s?
Klitschko und Klitterer
Wo ist eigentlich Vitali Klitschko abgeblieben? Einige Monate galt er als Hoffnungsträger – weniger in der Ukraine als bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Und bei der Bild-Zeitung, die ihm regelmäßig eine Kolumne einräumte. Was qualifizierte ihn dafür? Ein dritter Platz bei den Kiewer Bürgermeisterwahlen? Oder gar sein Bündnis mit der rechtsextremen Swoboda-Partei? Man habe zwar verschiedene Ideologien, aber auch Gemeinsamkeiten, verteidigte sich der Ex-Boxer gegen entsprechende Kritik: „Wir kämpfen gegen die heutigen Machthaber, und wir wollen europäische Werte in unserem Land“. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung urteilte anders über die von Klitschko gebildete Allianz: Sie distanziere sich nicht eindeutig von Swobodas „antisemitischer, fremdenfeindlicher und rassistischer Rhetorik“ und habe damit Swoboda in den Augen der Öffentlichkeit „vom Stigma befreit“.
Spätestens seit der Krim-Krise hat sich ein Teil der deutschen Medien endgültig in die Schützengräben begeben. Leider mischen da auch einige öffentlich-rechtliche TV-Stars mit. Erinnert sei nur an den denkwürdigen Auftritt von ZDF-Anchorman Claus Kleber, der Siemens-Chef Jo Kaeser in geradezu impertinent-inqusitorischer Manier in die transantlantische Solidarität gegen Putin nötigen wollte. Kleber ist übrigens Kuratoriumsmitglied der „Stiftung Atlantik-Brücke“, gehört somit ebenfalls zum Kreis der NATO-Versteher.
Zum Vorstand der „Atlantik-Brücke“ gehört auch Bild-Chef Kai Diekmann. Normal: Springer-Journalisten werden ja schon bei Unterzeichnung ihres Arbeitsvertrags per „Unternehmensleitsatz“ dazu genötigt, sich allzeit für die „Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika“ einzusetzen. Da wundert es dann auch nicht mehr, dass Bild jetzt eine günstige Gelegenheit gekommen sieht, die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs zu revidieren. Zumindest symbolisch. „Wir wollen keine Russen-Panzer am Brandenburger Tor“ – so lautet die Headline einer Petition, mit der das Boulevardblatt für die Entfernung des Ehrenmals für die Rote Armee bei seiner Kundschaft wirbt. Begründung: In einer Zeit, in der russische Panzer das freie, demokratische Europa bedrohten, sei diese Präsenz nicht mehr angemessen.
Gegenvorschlag: Bei der nächsten US-Drohnenattacke, der in Pakistan oder sonstwo auf der Welt unschuldige Menschen zum Opfer fallen, sollten wir uns mal ernsthaft über den Rosinenbomber in Berlin-Tempelhof unterhalten.