Auf den ersten Blick ein freundliches Foto – junge Leute bei anspruchsloser Freizeit, auf einer Rampe mit Blick auf das städtische Umfeld. In Wirklichkeit ist es ein Dokument der Vergänglichkeit. Denn der Palast der Republik wurde abgerissen. Welches Glück, dass es die Fotografie gibt, die Ursprüngliches für immer bewahren kann. Die Bilder von José Giribás und Lothar M.Peter in der MedienGalerie zeigen Berlin vor drei Jahrzehnten, als eine noch geteilte Stadt mit einer gerade noch vorhandenen Mauer.
Ein Panorama fällt sofort ins Auge, der Blick gerichtet auf eine Grenzanlage zwischen alten Wohnhäusern, mit dem Weitwinkel erfasst: Eine Mauer, an ihr entlang ein Kontrollweg, parallel dazu ein weiterer Zaun, dann zwei Reihen Metallreiter – aufgenommen an der Eberswalder/Ecke Oderberger Straße – mitten in der Stadt ein erschreckend menschleeres Bild.
Dagegen herrscht lebhaftes Treiben, wo für kurze Zeit eine geschäftstüchtige Truppe ihren Freizeitarbeitsplatz hatte: „Mauerspechte“. Sie zerlegen den Beton mit schweren Hämmern und Bohrern, weniger aus Freude an der politischen Öffnung als über die überraschend möglichen Einkünfte. Wirkungsvoll ist eine DDR-Fahne über ein Brett gebreitet, darauf die ergatterten farbigen Mauerbrocken, geschäftstüchtig in Kreuzberg zum Kauf angeboten von einem türkischen Mädchen. Junge Soldaten von der Ostseite sehen erstaunt, wie das von ihnen gerade noch bewachte Objekt Stück für Stück zerlegt wird.
Manche Bilder ähneln sich, obwohl der Anlass komplett verschieden war. Drangvolle Enge einer nicht übersehbaren Menschenmenge herrschte 1988 auf der Radrennbahn Weißensee beim Konzert von Bruce Springsteen, desgleichen am 4.November 1989 auf dem Alexanderplatz, wo die Forderung nach einer demokratischen Erneuerung der DDR lautstark erhoben wurde. Die Kamera unterscheidet nicht; es ist der Fotograf, der den Standort sucht und den Blickwinkel auswählt. Er ist es, der dem Betrachter die Aussage des Bildes übermittelt. Im besten Fall kann auf diese Weise nicht nur eine Information, sondern ein Kunstobjekt entstehen. Es mag im Auge des Betrachters liegen, welche Bilder ihn besonders fesseln. In der Ausstellung gibt es mehrere Aufnahmen vom noch unbebauten Potsdamer Platz als Schauplatz der Wiedervereinigung. Man sieht den Andrang an einem der ersten geöffneten Grenzübergänge. Aber auch ein Bild von besonderer Atmosphäre: Bei einem Winterspaziergang ist der Blick über den leeren Platz verhangen, im Dunst verschwimmend sind die Umrisse des Hotels Esplanade zu erahnen.
Manchmal kommt der Zufall zu Hilfe, der vom geübten Fotografen ergriffen werden kann. Ein solches Foto ist das von Stefan Heim auf dem Alexanderplatz. Freistehend vor einer Wand von Demonstranten wird der Schriftsteller von der Kamera erfasst – unerwartet ist ein besonderes Porträt entstanden. Hier zeigt sich die Kunst des Fotografen.
Die Fotoausstellung in der Berliner MedienGalerie, verantwortet von der dju Berlin-Brandenburg in ver.di, weckt viele tiefreichende Rückblicke auf bewegende Tage. Ein Betrachter aus Oberschöneweide schrieb ins Gästebuch: „Jede Generation hat ihre eigene Erinnerung. Die Zeit von Oktober 1989 bis 8.März 1990 war voller Hoffnung. Nie wieder habe ich solch eine aufwühlende, offene, streitbare, ehrliche Gesellschaft erlebt.“
Die Ausstellung in der MedienGalerei ist bis 13.Dezember zu sehen.
Veranstaltungen zur Ausstellung
28. November 2019, 18 Uhr: Lesung und Diskussion mit Christian Bangel (Zeit Online), „Was hat sich in 30 Jahren verändert…“
13. Dezember 2019, 18 Uhr: „Zukunft der Fotografen – ein aussterbender Beruf oder neue Tätigkeitsfelder?“