Schon vor Corona sah es in der britischen Medienlandschaft vor allem bei vielen Printmedien düster aus. Nun verschärft sich die Lage dramatisch. Viele Titel schicken Beschäftigte in Kurzarbeit oder bauen Stellen ab. Die britische Journalistengewerkschaft NUJ hat deshalb einen „Erholungsplan“ für die Nachrichtenbranche vorgelegt.
Sie ist das Vorbild vieler Revolverblätter weltweit: Rupert Murdochs „The Sun“. Im britischen Blätterwald beansprucht das Blatt nach wie vor Meinungsführerschaft, auch wenn es im nordenglischen Liverpool zum Beispiel nicht zu kaufen ist. Die Wunden aus dem Jahr 1986 sind immer noch frisch, als das Blatt den 96 Toten der Stadionkatastrophe von Hillsborough anlastete, selbst an ihrem Tod schuld zu sein. All diese Toten stammten aus Liverpool, „The Sun“ schrieb damals, Liverpool Fans hätten im Stadion auf Leichen uriniert. Deshalb wird die Zeitung hier bis heute boykottiert.
Jetzt wackelt der Thron des britischen Boulevards. Im Februar verkündete „The Sun“ im Jahr 2019 Anwaltskosten in Höhe von 54 Millionen Pfund angehäuft zu haben. Diese Kosten sind eine Folge des Abhörskandals im Hause Murdoch – über Jahre hatten Journalist*innen bei der inzwischen stillgelegten Sonntagszeitung „News of the World“ sowie „The Sun“ die Telefone zahlreicher Celebrities gehackt, um an Stories zu kommen. Zu diesen Kosten kamen im vergangenen Jahr Verluste in Höhe von 68 Millionen Pfund hinzu. Die Reichweite ist rückläufig. Der Konzern fürchtet, schon bald weniger als eine Million Exemplare pro Ausgabe zu verkaufen. Spätestens dann wäre das Blatt nicht mehr die meistverkaufte Tageszeitung Großbritanniens.
Das war die Situation kurz vor Beginn der Corona-Pandemie in Großbritannien. Jetzt ist sie schlimmer. Beschäftigte bei „The Sun“ und deren „qualitätsvoller“ Schwesterzeitung „The Times“ werden in den unbezahlten Urlaub geschickt oder gezwungen ihre Arbeitszeit zu verkürzen. Auf gewerkschaftlichen Rückhalt können sich die Betroffenen nicht verlassen, Rupert Murdoch und sein Familienclan haben in den vergangenen Jahrzehnten alle gewerkschaftlichen Organisationsversuche vereitelt.
Arbeitsplatzverluste in viele Zeitungen befürchtet
Doch anderswo ist es auch nicht besser. Laut Recherchen des Branchenmagazins „Press Gazette“ könnten 5.000 Printjournalist*innen durch Corona ihren Job verlieren, 2.000 Mitarbeiter*innen sind bereits arbeitslos oder in Kurzarbeit geschickt worden. Fast alle Zeitungen berichten von drastischen Einbrüchen im Anzeigenverkauf. Das Onlineportal des „Independent“ beklagt einen Anzeigenrückgang um 50 Prozent. Rund 500 Lokalzeitungen haben bereits Einsparungen durchgeführt und Stellen gestrichen. Manche haben für die voraussehbare Zukunft ihr Erscheinen eingestellt, hoffen aber darauf nach der Corona-Epidemie wieder zu erscheinen.
Das ist der vorläufige Höhepunkt einer sich seit vielen Jahren entwickelnden Krise. Im Februar 2019 veröffentlichte die von der britischen Regierung eingesetzte „Cairncross Kommission“ ein Gutachten über die „nachhaltige Zukunft des Journalismus“. Darin wird zwar aufgeführt, dass große britische Zeitungskonzerne durchaus zweistellige Profitmargen aufweisen können, gleichzeitig aber mit großen Schuldenproblemen zu kämpfen haben. Die Verkaufszahlen gedruckter Zeitungen seien laut diesem Bericht zwischen 2007 und 2017 um die Hälfte eingebrochen. Der Anzeigenverkauf sei um selben Zeitraum um 69 Prozent zurückgegangen. Arbeiteten 2007 noch 23.000 angestellte Journalist*innen für lokale und überregionale Zeitungen waren es 2017 nur noch 17.000.
Unter dieser Krise habe insbesondere der „public interest journalism“, also der „Journalismus im öffentlichen Interesse“ zu leiden gehabt. Dies betreffe vor allem die Lokalzeitungen. Deren Aufgabe etwa über die Sitzungen kommunaler Parlamente zu berichten sei zwar im öffentlichen Interesse, gleichzeitig aber teuer und nur schwer kommerziell verwertbar. Deshalb sei gerade dieser Bereich von Einsparungen betroffen. Hier liege ein „Marktversagen“ vor, weswegen es staatliche Interventionen zur Stützung des „Journalismus im öffentlichen Interesse“ brauche. Ende Januar 2020 lehnte die britische Regierung die Empfehlung der „Cairncross-Kommission“ zur Errichtung eines „Instituts für Journalismus im öffentlichen Interesse“ ab. Somit scheiterte dieser Versuch eine staatliche Förderung für diese Form des Journalismus zu erreichen.
Gewerkschaft NUJ: Staatliches Geld an soziale Bedingungen geknüpft
Nun greift die National Union of Journalists (NUJ) die Idee wieder auf und präsentiert einen Wiederaufbauplan zur Stützung des Nachrichtenwesens im öffentlichen Interesse. Darin schlägt die Gewerkschaft eine Reihe von kurz- und mittelfristigen Maßnahmen vor. So sollen Großkonzerne wie Google oder Amazon mittels einer digitalen Dienstleistungssteuer zur Kasse gebeten werden, um staatliche Investitionen in die Medienlandschaft zu finanzieren. Kein staatliches Geld soll jedoch an Firmen fließen dürfen, welche Personal entlassen, bei den Redaktionen einsparen oder gewerkschaftliche Organisation im Betrieb verhindern. Staatliches Geld soll außerdem an ein Firmenfusionsverbot geknüpft werden, um Monopolbildungen zu verhindern. Vor allem kleinere Unternehmen welche „innovativen Journalismus im öffentlichen Interesse“ bieten, sollen gestützt werden.
Mittelfristig soll eine staatlich finanzierte aber unabhängig agierende „Journalismusstiftung“ eingeführt werden, wie sie von der Cairncross-Kommission gefordert wurde. Sie soll in „lokale Nachrichten und innovative journalistische Projekte im nationalen öffentlichen Interesse“ investieren. Für Lokalzeitungen schlägt die Gewerkschaft den Status als „gesellschaftlicher Vermögenswert“ vor. Damit will man die Schließung von Lokalzeitungen verhindern. Als „gesellschaftliche Vermögenswerte“ gelten in Großbritannien zum Beispiel Lokalkneipen in der Nachbarschaft, welche durch Kooperativen übernommen werden können, sollte deren Schließung durch die Betreibern drohen. Ähnliches schlägt die Gewerkschaft nun für Lokalzeitungen vor. Medienmogulen wie Rupert Murdoch werden solche Ideen nicht gefallen, sehen sie hier doch einen Angriff auf ihre zunehmend wackelige Medienmacht. Im Interesse des informativen Lokaljournalismus sind sie aber diskussionswürdig.
Mehr lesen zum Welttag der Pressefreiheit:
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di zur Wertschätzung journalistischer Arbeit in Deutschland und weltweit: https://mmm.verdi.de/beruf/journalismus-kompass-in-stuermischen-zeiten-66009
„Die Corona-Pandemie bündelt bestehende repressive Tendenzen weltweit wie ein Brennglas. Die aktuelle Rangliste der Pressefreiheit zeigt, dass schon vor der aktuellen Krise erschreckend viele Regierungen und politische Kräfte in ganz unterschiedlichen Ländern bereit waren, die Pressefreiheit ihrem Machtstreben unterzuordnen“, sagte die Vorstandssprecherin von Reporter ohne Grenzen, Katja Gloger. https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2020/
Trotz Corona-Pandemie ist der Band „Foto für die Pressefreiheit“ mit eindrucksvollen Reportagen und aufrüttelnden Bildern aus Kriegs- und Krisengebieten erschienen.
Weitere aktuelle Beiträge zur Pressefreiheit auf M Online:
https://mmm.verdi.de/internationales/todesurteile-nach-grob-unfairem-verfahren-65993
https://mmm.verdi.de/medienpolitik/lotterie-gewinner-duerfen-fragen-stellen-65649
https://mmm.verdi.de/internationales/ungarn-medien-im-ausnahmezustand-65447