Debatte im Berliner taz-Café: Haben linke Medien in der Krise Konjunktur?
In Deutschland erscheinen rund 23 Millionen Tageszeitungen. Verschwindende 0,5 Prozent davon entfallen auf Blätter, die dem linken Spektrum zuzuordnen sind: die tageszeitung, Junge Welt, Neues Deutschland, auch die Frankfurter Rundschau zählen viele dazu. Bei diesen Zeitungen müsste der wirtschaftliche Abschwung, den wir derzeit erleben, eigentlich zu einem Aufschwung führen. „Haben die linken Medien im Krisenjahr 2009 Konjunktur?“ fragte denn auch eine Diskussionsrunde, zu der die Linke Medienakademie in Zusammenarbeit mit der taz in Berlin eingeladen hatte.
Die größte Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg, das Scheitern eines neoliberalen Kapitalismusmodells, gar von Verstaatlichung ist die Rede: beste Voraussetzungen für eine linke, kapitalismuskritische Presse – mag man meinen. Doch weit gefehlt. Der ehemalige Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Wolfgang Storz, heute freier Publizist, erklärte resümierend: „Die Medien, die als links gelten, haben erkennbar keine Auflagensteigerung. Wir hatten 2001 bis 2003 auch schon mal eine große Krise. Das ist nichts neues, die haben wir immer wieder. Und die Erfahrung zeigt, dass immer in diesen Krisen linke Medien nicht in dem Sinne reüssieren, dass sie häufiger gekauft werden. Sie profitieren nicht ökonomisch, was für diese Medien aber wichtig ist.“
Für diesen, zunächst recht überraschend klingenden Fakt hatte Storz auch gleich eine Erklärung parat. „Linke Medien gewichten soziale Themen sehr viel höher. In Wirtschaftskrisen wissen die Leute aber Zeitungen zu schätzen, die eine Kompetenz und Glaubwürdigkeit im Bereich Wirtschaft haben, die analysieren können, was dort abläuft und wie man die Krise überwinden kann. Genau diese Kompetenz haben linke Medien oft nicht.“
Ein Fazit, dem niemand in der Runde aus Vertretern von taz, Neues Deutschland, der Wochenzeitung Der Freitag sowie Wolfgang Storz und der Bloggerin Anne Roth (Moderation: Petra Welzel, ver.di-Publik) so recht widersprechen mochte. Mehr noch. taz-Chefredakteurin Bascha Mika fand sogar gute Gründe dafür, dass die linken Medien aus der aktuellen Krise kein Kapital schlagen können. Sie sind quasi selbst Opfer des Systems, das sie kritisieren. „Der Neoliberalismus hat an vielen Punkten verbrannte Erde hinterlassen, auch in den Köpfen und in den Denkfabriken“, erklärte Mika. „Deswegen gibt es so wenig Antworten. Nicht nur, weil diese Krise eine ganz besondere ist, sondern auch, weil natürlich an linken Konzepten über viele Jahre an viel zu wenig Stellen weitergedacht worden ist.“
Forum für kritische Ideen
Dabei ist das, was für die Diskutanten ein linkes Medium auszeichnet und attraktiv macht, auf den ersten Blick recht simpel. Es gehe darum, aus der Perspektive des unteren Teils der Gesellschaft zu berichten, Forum zu sein für gesellschaftskritische Ideen, Machtfragen aufzuzeigen und vor allem: präzise die Lage zu analysieren. Gerade hier müssten die Linken nachrüsten; sprich: sich mehr Wissen aneignen. „Mein Bedürfnis von einem linken Medium ist, dass es verständlich recherchiert und mir erzählt, wie ernsthaft die Krise ist. Und ich will wissen: Warum hockt Herr Ackermann im Kanzleramt? Ich will wissen, ob zum Beispiel die Bundesregierung auf Analysen der Deutschen Bank basierend ihre Antikrisenprogramme schreibt. Das ist für mich eine Aufgabe für ein linkes Medium“, appellierte Wolfgang Storz.
Jürgen Reents, Chefredakteur des Neuen Deutschland, erklärte hingegen fast schon resigniert, wie schwierig es sei, zu vermitteln, dass die Verstaatlichung von Banken, wie sie derzeit diskutiert wird, in seinem Blatt nicht euphorisch gefeiert wird. „Die Debatte, die wir momentan haben, die Begriffe von Verstaatlichung, von Enteignung, von Vergesellschaftung – das ist doch ein Irrwitz“, so Reents. „Was momentan stattfindet, ist der Einkauf von Verlusten, der Einkauf von Schrott, die Ausgabe von Steuergeldern für längst dahin geflossene Werte.“ Das habe nichts damit zu tun, was jemals in der linken Debatte über Vergesellschaftung gedacht worden sei. Doch wie Alternativen vermitteln? Man stehe fassungslos vor der neuen Situation und müsse neu sortieren, was es an linken Überlegungen gegeben habe, die vergessen worden seien. Reents äußerte die Hoffnung, dass eine Zusammenlegung von Ressourcen in der linken Publizistikszene helfen könnte. Man müsse überlegen, ob man mehr voneinander profitieren könne, „was aber voraussetzt, dass diese Medien sich untereinander wahrnehmen“, so der ND-Chefredakteur.
Anderen Blättern fällt es offenbar leichter, wichtige Themen auf den Punkt zu bringen. Denn, so räumte taz-Chefin Mika ein, sie finde sehr wohl gute Analysen in der Presse – allerdings in der politisch nicht ganz so linken Konkurrenz wie etwa der Financial Times Deutschland. Und Wolfgang Storz setzte nach: „Wenn ich das Handelsblatt lese, weiß ich über die Wirtschaftskrise mehr, als wenn ich die taz lese.“ Problematisch für die linke Publizistik; dem kritischen Leser dagegen dürfte es in Zeiten des Internets relativ egal sein, wo er seine Informationen findet. „Jeder gute Artikel, egal, wo er erscheint, ist sinnvoll, weil er über das Internet endlos weiterverbreitet werden kann und auf diese Information kommt es an. Das ist der entscheidende Punkt“, so Storz.