Vor genau einem Jahr hat die Europäische Union eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, die sogenannte Whistleblowing-Richtlinie, verabschiedet. Die Umsetzung in nationales Recht kommt in Deutschland nicht voran. Statt Rechtssicherheit für Hinweisgeber*innen zu schaffen und damit auch investigativen Journalismus zu stärken, streiten die zuständigen Ministerien darüber, ob sie die Richtlinie überhaupt national anwenden oder auf EU-Recht beschränken sollen.
Formal gilt die Richtlinie tatsächlich nur für EU-rechtliche Fragen. Doch der europäische Gesetzgeber hat die Mitgliedstaaten ausdrücklich ermutigt, den Anwendungsbereich bei der Umsetzung auch auf Bereiche ausweiten, die ausschließlich im nationalen Recht geregelt sind. Die Umsetzung muss bis Ende 2021 erfolgt sein.
Ein erster Gesetzesentwurf für die Umsetzung der EU-Richtlinie in Deutschland wird bis Ende dieses Jahres erwartet. Doch aus einem ersten Eckpunktepapier des federführenden Justizministeriums strich das Bundeswirtschaftsministerium grundsätzliche Überlegungen kommentarlos heraus oder verkehrte sie in ihr Gegenteil, kritisieren etwa Reporter ohne Grenzen (RSF) und das Whistleblower-Netzwerk (WBN). Eine halbherzige Umsetzung dürfte mehr Rechtsunsicherheit statt Nutzen bringen. „Es ist Zeit für einen entschlossenen Schritt zum umfassenden rechtlichen Schutz für Menschen, die oft unter großen persönlichen Risiken die entscheidenden Informationen liefern, um Missstände in Wirtschaft und Behörden aufzudecken“, so RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.
Die Bundesregierung drohe die Chance zu verpassen, einen umfassenden Whistleblowerschutz zu schaffen. Reporter ohne Grenzen und das Whistleblower-Netzwerk haben am 23. Oktober – genau ein Jahr nach Verabschiedung der EU-Richtlinie – deshalb ein gemeinsames Positionspapier veröffentlicht. Darin wird gefordert, die längst überfällige Debatte über Regeln zum öffentlichen Whistleblowing, zum Umgang mit amtlichen Verschlusssachen sowie über einen zeitgemäßen digitalen Quellenschutz jetzt zu führen.
Kritisiert wird, dass das Bundeswirtschaftsministerium aktuell darauf dränge, den Whistleblowerschutz auf Hinweise zu Verstößen gegen bestimmte Bereiche des EU-Rechts zu beschränken. Das würde bedeuten, dass Whistleblowerinnen und Whistleblower ohne juristische Kenntnisse schwer beurteilen könnten, ob ihr Fall unter die geschützten Bereiche fällt oder nicht und könnte potenzielle Hinweisgeber*innen abschrecken.
Zudem: Decken Whistleblowerinnen und Whistleblower Rechtsverstöße direkt gegenüber Medien oder der Öffentlichkeit auf und nicht zunächst intern oder gegenüber einer Behörde, so sieht die EU-Richtlinie für sie sie nur einen deutlich eingeschränkteren Schutz vor. Würde dies so in nationales Recht umgesetzt, wären Whistleblowerinnen und Whistleblower als journalistische Quellen in vielen Fällen nicht rechtlich geschützt. Reporter ohne Grenzen fordert deshalb Vorrang für die Meinungs- und Pressefreiheit.