Internet-Plattformen für Akquise begleitet von Preisverwerfungen
Die Digitalisierung hat den Markt für kreative Inhalte rasant verändert. Für einige Freiberufler*innen bietet das Chancen, für die meisten entstehen daraus jedoch neue Herausforderungen. Denn Plattformen bestimmen heute viele Bereiche des Marktes. Auch immer mehr Fotograf*innen nutzen diese zum Verkauf ihrer Bilder oder zur Akquise neuer Aufträge.
Die Kamera ist Alexanders ständiger Begleiter. Egal ob er mit seinen Kindern einen Spaziergang macht oder am Wochenende ein Rugbyspiel mit Freunden besucht: Fotografieren ist seine große Leidenschaft. „Mit der Fotografie kann ich einfach auf besondere Weise kommunizieren“, sagt der studierte Politikwissenschaftler. Alexander stellt seine Bilder seit sechs Jahren einer Plattform zur Verfügung, die die Fotos für ihn verkauft. Je nach Größe, Verwendung und Kunde bekommt er zwischen 9 Cent und 180 Euro pro verkauftem Bild. Über die Plattform werden auch Bilder an größere Agenturen wie pictures alliance von dpa oder Getty Images weiterverkauft. „Ich verdiene auf diese Weise natürlich nicht viel Geld. Es ist eher ein Aushängeschild für meine Arbeit,“ sagt Alexander, der gern hauptberuflich von der Fotografie leben würde.
Angebot und Nachfrage
Die Fotoindustrie ist ein wettbewerbsintensiver Markt. In den letzten Jahren hat die Verfügbarkeit schneller Internetzugänge und hochwertiger Kameraausrüstung dazu geführt, dass immer mehr Menschen Zugang zu dieser Technik haben. Auf diese Weise können sie Bilder von sehr hoher Qualität erzeugen und online stellen. Die Menge an fotografischen Inhalten, die heute verfügbar ist, hat auch die Preise gedrückt. Wie in fast jeder Branche spiegeln sich Angebot und Nachfrage in der Preisgestaltung für das Endprodukt wider. Das macht sich auch in einigen der branchenspezifischen Plattformen innerhalb der Fotobranche bemerkbar. Diese „Uberisierung“ der Fotografie (angelehnt an den virtuellen Taxidienst Uber) ist ein Geschäftsmodell der sogenannten Gig-Economy: Kleine Aufträge werden kurzfristig an unabhängige Selbstständige oder geringfügig Beschäftigte vergeben.
Fotografische Plattformen ermöglichen es Fotograf*innen auf verschiedene Weise, Bilder zum lizenzfreien Verkauf hochzuladen, auf Fotoshooting-Aufträge zu reagieren, auf Buchungsdienste zuzugreifen oder sich zu vernetzen. Die etabliertesten Plattformen, sind in der Stockfotografie tätig, wo Fotograf*innen Bilder einstellen, die zu einem von der Plattform festgelegten Preis lizenzfrei verkauft werden. In den letzten fünf Jahren entstanden zahlreiche neue Plattformen, die Fotograf*innen Aufträge vermitteln sollen. Auf anderen können sich Fotograf*innen um bereits ausgeschriebene Aufträge bewerben und sich dabei im Wettbewerbsprozess gegenseitig unterbieten. Darüber hinaus werden weitere Möglichkeiten der Beteiligung angeboten, wie die Ausstellung eines Portfolios, den Verkauf vorhandener Bilder, den Verleih von Fotoausrüstung oder die Vernetzung mit anderen. Die Plattformgeschäftsmodelle sind so vielfältig wie die Erfahrungen der Fotograf*innen damit.
Einige der Plattformen für Fotografie sind Snappr, Scoopshot, EyeEm und Flytographer. Es gibt aber auch sehr große nicht-fotografiespezifische Plattformen wie Airtasker, die Fotokategorien haben. Hier liegt der Durchschnitts-Tagessatz für einen Fotografen zwischen 70 und 220 Dollar. Bei den meisten dieser Internetauftritte liegen die Preise für die angebotenen Dienstleistungen unter dem, was viele vor einigen Jahren noch als angemessene Branchenpreise angesehen hätten. Die Plattformen verfügen in der Regel über ein Bewertungssystem für Kunden, um die Qualität der Arbeit von Fotograf*innen zu beurteilen.
Eine Interviewstudie der Universität Brisbane von 2020 belegt die Problematik. Im Gegensatz zu traditionellen Geschäftsmodellen berichten Fotograf*innen, dass digitale Plattformen ihre Möglichkeiten einschränkten, gute und langfristige Kundenbeziehungen aufzubauen. Sie gaben an, dass Plattformen die Preise drückten, was sich negativ auf ihren Lebensunterhalt auswirke. Ihre kreativen Fähigkeiten würden dadurch abgewertet und die Fotografie zunehmend weniger als professionelle Dienstleistung wahrgenommen. Die Befragten fürchten auch um ihren kreativen Ruf.
Die von den Plattformen ausgeübte Kontrolle über den Preis der fotografischen Arbeit, die wahrgenommene Qualität des Produkts und der Dienstleistung sowie die Fähigkeit des Fotografen, Kundenbeziehungen aufzubauen, zu entwickeln und zu pflegen, wurde von Fotograf*innen aller Genres als schädlich für die Nachhaltigkeit ihrer Arbeit angesehen. Dadurch, dass die Plattformen als eine Art dritte Person zwischen beiden Parteien stehen, entstünde ein zusätzliches Machtungleichgewicht.
Die Studie beschreibt aber auch, wie die neuen Arbeitsformen zu einer getrübten Stimmung zwischen den Kolleg*innen führt. Diejenigen, die Plattformarbeit vermieden oder sich dagegen sträubten, betrachteten diejenigen kritisch, die Plattformen nutzten. Einige Befragte charakterisierten diese Kolleg*innen als Amateure, die für die Untergrabung professioneller Standards verantwortlich seien.
Plattformen fungieren mittlerweile als Arbeitsvermittler in vielen Bereichen der Wirtschaft: Industrie- und Grafikdesign, Ingenieurswesen, Programmierung, Verwaltung, Marketing und Kundenbetreuung, wissenschaftliche Forschung, Logistik, Hausarbeit oder Buchhaltung. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Die Arbeitsbedingungen und Dienstleistungen der Gig-Economy sind sehr vielfältig: Die Bandbreite reicht von Menschen, die gelegentlich oder nebenberuflich arbeiten, bis hin zu Unternehmen verschiedenster Größen, die Plattformen als zusätzliche oder einzige Form der Zusammenarbeit nutzen. Eine unmittelbare Konsequenz dieser neuen Arbeitsorganisation ist, dass es so gut wie keine Festanstellungen gibt. Damit fehlen den Plattform-Arbeitskräften die Arbeitnehmerrechte, die in vielen Ländern an die Festanstellung geknüpft sind wie Mindestlohn, Arbeitszeitregelungen und Kündigungsschutz, in vielen Fällen auch Tarifverträge. Angestellte haben Anspruch auf regelmäßige Lohnzahlungen, Urlaub, Elternzeit, Überstundenausgleich und Absicherung bei Arbeitsunfällen. Andere Richtlinien regeln Gesundheitsvorsorge und Sicherheit am Arbeitsplatz. Auch von Mitbestimmungs- und Partizipationsrechten können Angestellte leichter Gebrauch machen.
Neue Arbeitsverhältnisse regulieren
Ende November beschäftigte sich auch der deutsche Bundestag mit diesen Fragen. Die Linkspartei forderte unter anderem einen Gesetzentwurf, der klarstellt, dass es sich bei Beschäftigten der Plattformökonomie grundsätzlich um Arbeitnehmer*innen der Plattformbetreiber handelt. Auch soll eine Beweislastumkehr im Statusfeststellungsverfahren der Rentenversicherung festgelegt werden, so dass die Plattformbetreiber widerlegen müssen, dass eine abhängige Beschäftigung existiert.
Veronika Mirschel vom Referat Selbstständige in ver.di, die dazu als Sachverständige im Bundestag gehört wurde, betonte gegenüber M die Notwendigkeit, diese neuen Arbeitsverhältnisse zu regulieren. Tarifverträge zu Arbeits- und Leistungsbedingungen für Soloselbständige könnten ein wichtiges Mittel sein, um die Arbeitsbedingungen von Soloselbständigen auf den Plattformen zu verbessern. Im Kern ginge es aber darum, Mechanismen zu finden, wie der Machtverschiebung bei plattformvermittelter Arbeit durch gesetz-liche Regelungen begegnet werden könne, sagte Mirschel.
Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) fordert, „bestimmte Vertragspraktiken“ von Plattformbetreibern zu unterbinden. So dürften die Betreiber in ihren Vertragsbedingungen nicht untersagen können, dass die auf der Plattform Beschäftigten untereinander kommunizieren oder sich gewerkschaftlich organisieren dürften.