Verbände und Unternehmen attackieren freie Journalisten
Freie Journalisten, die sich auf ihrer Website, ihrem Blog oder auch nur in Kommentaren anderer Blogs kritisch äußern, riskieren es, von Verbänden und Unternehmen verklagt zu werden. Das zeigen die Fälle der freien Journalisten Jens Weinreich, Eckhard Stengel und Stefan Aigner.
„Es ist vorbei, und das ist auch gut so“, schrieb Sportjournalist Jens Weinreich in seinem Blog – und zitierte damit FIFA-Präsident Josef Blatter. Die Auseinandersetzung „Deutscher Fußball-Bund: Jens Weinreich“ verlief in sechs Runden – dreimal vor dem Landgericht Berlin, einmal vor dem Kammergericht Berlin sowie zweimal vor dem Landgericht Frankfurt am Main. Das Ergebnis: Vier Gerichtsbeschlüsse und zwei Urteile zu Gunsten von Weinreich. Um die Auseinandersetzungen zu beenden, legte Weinreich zweimal schriftliche Vorschläge für Einigungen vor.
Im Juli vergangenen Jahres hatte Weinreich den DFB-Präsidenten Theo Zwanziger in einem Kommentar zu einem Beitrag im Fußball-Blog direkter-freistoss.de als „unglaublichen Demagogen“ bezeichnet. Zwanziger sah sich dadurch verunglimpft, da der Begriff „Demagoge“ ihn in die Nähe von nationalsozialistischem Gedankengut rücke. Deshalb forderte er von Weinreich in einer Unterlassungserklärung, nie wieder eine derartige Formulierung in Bezug auf seine Person zu verwenden. Sowohl das Berliner Landgericht als auch das Berliner Kammergericht sahen jedoch in Weinreichs Kommentar eine „zulässige Meinungsäußerung“.
In Folge ließ Zwanziger eine Unterlassungsklage vor dem Koblenzer Landgericht vorbereiten. Seine Anwälte begründeten den Wechsel des Gerichtsstands damit, dass auch in Koblenz Internettexte abrufbar seien. In der Zwischenzeit wunderten sich aber immer mehr Blogger darüber, warum Zwanziger ausgerechnet in der Stadt, in der er selbst Richter und Regierungspräsident gewesen war, prozessieren wollte. Der DFB verzichtete schließlich auf eine Klage, entschloss sich jedoch im November eine Pressemitteilung zu verschicken. Darin schrieb der Verband, „dass wir es auch nicht in – mehr oder weniger anonymen – Internetblogs hinnehmen können, dass Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens grundlos diffamiert werden.“ Gegen diese Pressemitteilung erwirkte Weinreich vor der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurts im Dezember eine Gegendarstellung. Der Sportjournalist sah in ihr nämlich eine „grob unvollständige Berichterstattung“, die den Eindruck erweckt hatte, er habe im Streit eingelenkt. Sie hatte außerdem zwei Gerichtsbeschlüsse zu dessen Gunsten verschwiegen.
Der letzte Gerichtstermin fand Anfang März ebenfalls vor der 3. Zivilkammer des Frankfurter Landgerichts statt, die die Einstweilige Verfügung bestätigte, die den DFB zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung verpflichtete. DFB-Anwalt Helge Reich wollte die von Weinreich beanstandeten Formulierungen als Meinungsäußerungen verstanden wissen, das Gericht folgte dieser Auffassung aber nicht. Direkt nach dem Urteil strengte Weinreich eine Einigung an, denn sonst „gehe ich davon aus – das wurde mir von Beginn an klar gemacht, das sagen mir auch Quellen – dass mich der DFB über lange Jahre in verschiedenste Rechtsstreitigkeiten verwickelt“, erklärte er gegenüber M.
Erfolg durch Transparenz
Ende März schließlich kam es dann zu einer gütlichen Einigung. Für Weinreich geht nun eine aufreibende Zeit zu Ende, die ihn nicht nur Arbeitszeit kostete, sondern auch „Kraft und Nerven und Geld“. „Gewaltige Unterstützung“ erhielt Weinreich von Bloggern, bloggenden Journalisten und Lesern, aber auch von vielen Kollegen, unter anderem seitens des Sportnetzwerks. Der Sportjournalist, der über keinen Rechtsschutz verfügte, erhielt nach einem Spendenaufruf in seinem Blog knapp 22.000 Euro von etwa 860 Spendern. Nach Abrechnung der durch den Rechtsstreit entstandenen Kosten will Weinreich 75 Prozent auf das Konto dem Projekt Hartplatzhelden.de, die mit dem Württembergischen Fußball-Verband im Rechtsstreit liegen, sowie 25 Prozent auf das Konto der neu gegründeten Vereinigung Freischreiber überweisen. Weinreich zeigt sich von seiner eigenen Geschichte „fasziniert“: „Wie man mit Transparenz und modernen Kommunikationsmitteln gegen einen Konzern bestehen kann, der sich gemäß Aussage seines Präsidenten sehr für die Kommunikationsherrschaft interessiert.“
Die Auseinandersetzung zwischen Weinreich und dem DFB war vergleichsweise aufwändig gewesen. Ein ähnlicher Rechtsstreit zwischen dem evangelikalen Verein „Wüstenstrom“ und dem freien Journalisten Eckhard Stengel war schneller beigelegt worden: Der Verein hatte gegen die Meinung Stengels, der Verein wolle hilfesuchende Homosexuelle „umpolen“, eine Einstweilige Verfügung eingereicht. Das Landgericht Frankfurt a.M. hob nach Stengels Widerspruch, dass die Äußerungen unter die Meinungsfreiheit fallen, die Verfügung wieder auf. Eine eingelegte Berufung nahm „Wüstenstrom“ zurück. (M 6–7/2008, 11/2008)
Anders verlief der Rechtsstreit des Nürnberger Journalisten Stefan Aigner mit dem Rüstungskonzern Diel. Aigner darf in seinem Blog „Regensburg Digital“ nicht mehr behaupten, dass Diehl mit der SMArt 155 eine geächtete Streumunition produziert. Nach Auffassung des Konzerns handele es sich um eine erlaubte „Punkt-Ziel-Munition“. Nach einer nicht unterschriebenen Unterlassungserklärung erwirkte der Konzern gegen Aigner eine einstweilige Verfügung beim Landgericht München I. Sie untersagte Aigner, zu behaupten, Diehl stelle „Streumunition“ her. Das akzeptierte Aigner angesichts des hohen Streitwerts von 75.000 Euro. Diehl ließ die Klage fallen. (M 1-2/2009, 3/2009)