Diehl will Sprachregelung für seine Waffen juristisch festschreiben
Rüstungskonzern contra regensburg-digital.de: Am 2. März 2009 wird im Landgericht München 1, in mündlicher Verhandlung entschieden, ob der milliardenschwere Nürnberger Rüstungskonzern Diehl dem Regensburger Journalisten Stefan Aigner weiterhin den Mund verbieten darf. Im Mittelpunkt steht die Frage: Was ist Streumunition?
Normalerweise regt das Online-Magazin regensburg-digital.de nur die „Schwarzen“ in der Stadt mit ihrem stockkonservativen Oberbürgermeister auf. Es sei denn, bayerische Landtagswahlen stehen vor der Tür. Dann richtet sich der kritische Blick des Herausgebers, der freie Regensburger Journalist Stefan Aigner (35), auch mal auf das Geschehen jenseits der Donauhöhen.
Unter der Überschrift „Verdienstorden und Streubomben“ sinnierte er im Sommer, wenige Wochen vor der Landtagswahl, in einer persiflierenden Kolumne, was den Landesvater Günther Beckstein so umtreibt. Die Antwort: „Verdienstorden verleihen zum Beispiel“.
Den bayerischen Verdienstorden aus Becksteins Hand erhielt der Nürnberger Rüstungsunternehmer Werner Diehl, der damit eine Familientradition fortsetzte. Denn auch Vater Karl Diehl, der im Januar 2008 hundertjährig verstarb, war zuvor mit dem bayerischen Verdienstorden geehrt worden. Noch viel früher waren die Nazis mit Ehrungen zur Stelle. Sie verliehen der Diehl-Waffenschmiede die Auszeichnung „Kriegsmusterbetrieb“. Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge mussten in der Kriegszeit dafür schuften, dass es in der Waffenschmiede Diehl brummte.
Drei Tage standen Aigners Ordensbetrachtungen im Netz, als das Rüstungsimperium zurückschlug. Im Auftrag seiner Mandantschaft, der „Diehl Stiftung & Co.“, meldete sich die renommierte Münchner Anwaltskanzlei „Romatka & Collegen“ mit einer Abmahnung. Ihr Begehren: Bis zum nächsten Tag, 12 Uhr, sollte Aigner eine beigefügte Unterlassungs-/Verpflichtungserklärung abgeben, denn die Behauptung in der Kolumne über den aktuellen Diehl: „Unter anderem produziert man Streumunition“, sei unrichtig.
Eingriff in die Pressefreiheit
Aigner nahm die Kolumne von seiner Seite und bat moderat um Fristverlängerung, um sich anwaltlich beraten zu lassen. „Wegen Dringlichkeit“ lehnte die Anwaltskanzlei, vertreten durch den Partner Gero Himmelsbach, die Bitte um Fristverlängerung ab und das Räderwerk der Justiz begann zu mahlen. Rechtsanwalt Himmelsbach ist außerdem Honorarprofessor für Medienrecht an der Uni Bamberg und seit vielen Jahren in der Aus- und Fortbildung von Journalisten tätig, unter anderem für die Hanns-Seidel-Stiftung. In einer einstweiligen Verfügung, ohne mündliche Verhandlung, gab das Landgericht München 1 dem Begehren des Diehl-Anwalts statt. Von zunächst 50.000 Euro kletterte der Streitwert vor der mündlichen Verhandlung auf 75.000 Euro, denn die Behauptung, Diehl produziere Streumunition, „ist in erheblichem Maße geschäftsschädigend“, schrieb Himmelsbach ans Gericht.
Fürchterlich viel Geld sind Streitwert wie die Folgekosten für das Ein-Mann-Unternehmen regensburg-digital-de. Rund 300 Leser in Regensburg haben den Newsletter abonniert und durchschnittlich tausend Zugriffe am Tag kann das Online-Magazin vorweisen.
Natürlich informierte Stefan Aigner seine Leser über den Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit und über die Spezialitäten des erfolgreichen Rüstungskonzerns, der 2,3 Milliarden Euro jährlich umsetzt und stets beste Beziehungen zur Politik pflegte. Damals wie heute. Deshalb will sich Diehl auch nicht mehr als Streumunitionshersteller bezeichnen lassen, denn seit der Streubomben-Konvention von Dublin im Mai 2008 ist diese von mehr als einhundert Staaten geächtet. Auch die Bundesregierung unterzeichnete das Abkommen und machte sich gleichzeitig für Ausnahmen stark: für die „intelligente Streumunition“. Das sind mit Suchköpfen ausgestattete Bomben, die „Punktzielmunition“ heißen, militärisch ausgedrückt zum Beispiel Smart 155 und vom Verbot ausgenommen sind.
Bei der Beratung im Bundestag im Dezember 2008 kam Inge Höger (Die Linke) auf den Kern der Sache: „Die deutsche Produktion von Streubomben wurde beim Waffenproduzenten Diehl zur Punktzielmunition weiterentwickelt und darf nun nicht mehr Streumunition heißen.“
Natürlich wurde die Abgeordnete von Diehl nicht verklagt. Ebenso nicht ein halbes Dutzend Nichtregierungsorganisationen, der Deutschlandfunk und zig andere Medien, die dem neuen Sprachgebrauch der Bundesregierung und dem Rüstungskonzern nicht folgen wollen.
Warum Diehl ausgerechnet ein lokales Online-Magazin verklagt, um den neuen Namen für die intelligente Streumunition juristisch festzuschreiben, liegt auf der Hand: Stefan Aigner, der monatlich knapp über die Runde kommt, hat weder die Ressourcen noch den langen Atem, um den Weg durch die Instanzen gegen Diehl anzutreten. Dafür hat er das grundgesetzlich garantierte Recht der Pressefreiheit auf seiner Seite. Und natürlich seine Leser, die im Einzeitungskreis Regensburg seine unabhängige Berichterstattung schätzen.