Die Deutsche Welle soll nach außen repräsentieren, doch innen kriselt es
Die erste Güteverhandlung blieb erfolglos. Drei freie Mitarbeiter*innen aus der arabischen Redaktion der Deutschen Welle (DW) klagen gegen ihren Arbeitgeber. Vor Jahresende 2020 wurden ihre Verträge beendet und ein Festangestellter umgesetzt. Sie gehören zu den kritischen, unbequemen Beschäftigten, die sich seit Längerem gegen Missstände beim deutschen Auslandssender wandten.
Seit Die Zeit im Sommer 2019, später auch The Guardian, taz und Süddeutsche über Auswüchse einer zweifelhaften Führungskultur bei der DW berichteten, wurden Konflikte öffentlich. Das Krisenmanagement des Senders bekämpft den Image-Verlust. Doch strukturelle Probleme werden kaum angefasst. Und man sucht Schuldige – unter anderem bei ver.di.
Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Rassismus, Machtmissbrauch und fehlende Instrumente zur Konfliktlösung – die Vorwürfe, die Beschäftigte der Deutschen Welle über Monate vorbrachten, wogen schwer. Anfang 2020 unterschrieben 350 Mitarbeiter*innen gar einen Protestbrief an den Intendanten. Folgenlos blieb all das nicht: Von einem Moderator der arabischen Redaktion trennte man sich wegen Vergewaltigungsvorwurfs. Inzwischen gibt es eine Dienstvereinbarung zum Umgang mit sexueller Belästigung, verbindliche Schulungen und eine Beschwerdeplattform, Ansprechpartner*innen wurden benannt.
Eine unabhängige externe Untersuchung, wie sie Monika Wulf-Mathies 2018 im Zuge der #MeToo-Debatte beim WDR durchgeführt hatte und wie sie der ver.di-Senderverband auch bei der Deutschen Welle forderte, blieb allerdings aus. Stattdessen wurden im vergangenen Frühjahr die Rundfunkratsmitglieder Ulrike Hiller und Frank Thewes ehrenamtlich damit befasst. Im November 2020 legten sie eine „Unabhängige Betrachtung in der Middle East Redaktion der Deutschen Welle“ vor. 71 Mitarbeiter*innen hätten sich freiwillig beteiligt, mehr als die Hälfte der dort Beschäftigten.
Hiller und Thewes erkannten keine neuen Anhaltspunkte für sexuelle Übergriffe, wohl aber Indizien für Machtmissbrauch, etwa bei der Aufstellung von Schichtplänen und Rahmenverträgen. Dass „Krisenmanagement und Kommunikation (hätten) besser funktionieren müssen“ und dass „die Leitung einer Redaktion mehr Widerspruch besser aushalten können muss“, gehört zu ihrem Fazit. Dass „eine saubere Trennung“ von Beschäftigten in seltenen Einzelfällen „kein Tabu“ sein solle, steht dort aber auch.
Einige Probleme eingeräumt
Diese „Betrachtung“ habe den Vorwurf ausgeräumt, „es gäbe strukturellen Machtmissbrauch in der Deutschen Welle“, betonte DW-Intendant Peter Limbourg Ende November in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Einige Probleme mit Wachstum und Digitalisierung sowie großer Diversität räumte er ein. Zudem habe man es in der arabischen Redaktion „mit einer kleinen destruktiven Minderheit zu tun“, die einen respektvollen Umgang miteinander fast unmöglich mache. Obwohl es nicht so leicht wie in der Privatwirtschaft sei, sich von Mitarbeitern zu trennen, werde man das „Notwendige tun“. Tage später waren vier „Destruktive“ abgestraft. Sie hätten Kolleg*innen eingeschüchtert, gar bedroht und sich illoyal gegenüber der Redaktionsleitung verhalten.
Der geschäftsführende ver.di-Senderverbandsvorstand forderte umgehend die Rücknahme der Beendigungen, die einseitig auf Kritiker*innen abzielten. Bemängelt wurde auch, dass bei der Deutschen Welle Anstrengungen ausblieben, von Hiller und Thewes zumindest genannte „strukturelle Defizite“ zu beseitigen – etwa durch die Aufstockung von Personal für die sorgfältige Disponierung von Diensten und die Einsatzplanung. Da hat die DW nun nachgesteuert und die arabische Redaktion umstrukturiert.
Die Zuspitzung vor Jahresende führte zeitweilig auch zu Kontroversen in Einschätzung und Auftreten der in der DW vertretenen Gewerkschaften. So lasen der Deutsche Journalistenverband und die Gewerkschaft VRFF aus einem ver.di-Flugblatt eine Gefährdung des Betriebsfriedens heraus und griffen Senderverbands-Vorstandsmitglieder von ver.di namentlich an. Persönlichen Diffamierungen legten der Zusammenarbeit unnötigerweise Steine in den Weg, argumentierte ver.di.
Mittlerweile kommen ver.di- und DJV-Vertreter zu recht ähnlichen Einschätzungen, was Ursachen und Wege aus der Krise bei der DW betrifft. „Wo der Schuh wirklich drückt“, analysierte jüngst der ver.di-Senderverband und benennt nicht nur „jahrelange Unterfinanzierung, Kostendruck, Mangel an Planstellen, teils zu ehrgeizige Pläne in der Aufgabenplanung und nicht mehr zeitgemäße gesetzliche Vorgaben“. Aufgelistet werden auch erhöhter Arbeitsdruck, monotonere Aufgaben im Zuge der Online-Strategie und zu wenig Anerkennung für Leistung. Obwohl meist weisungsgebunden, sei die Hälfte der Beschäftigten Freie ohne echte Mitbestimmung und ein Drittel der Festangestellten befristet beschäftigt. Eine einseitige „Betrachtung“ der arabischen Redaktion durch die Rundfunkratsmitglieder habe ein schiefes Bild gezeichnet. Strukturelle Probleme in der Deutschen Welle beträfen nicht nur eine einzelne Redaktion. Sprachenvielfalt und große Wissensressourcen der Beschäftigten machten den Sender einzigartig. Doch Arbeit müsse ein Ort der Begegnung bleiben. Dazu brauche es Zeitfenster und sozialen Austausch, Unterstützung von der Politik und „demokratisches Selbstverständnis auch und gerade beim oberen Führungspersonal“.
Dafür hat nicht zuletzt Intendant Limbourg selbst Belege geliefert. In Reaktion auf einen erneuten Artikel der Süddeutschen über Machtmissbrauch bei der DW Mitte Februar warf er zunächst dem Autor Einseitigkeit und mangelnde Transparenz vor. Er erklärte gegenüber Meedia außerdem, dass ver.di-Vertreter Konflikte mit angeheizt hätten, „um sie dann zu skandalisieren“. Für Matthias von Fintel, Leiter des ver.di-Medienbereichs, stehen „ungerechtfertigte Vorwürfe“ im Raum. ver.di sei stets „im gepflegten Rahmen geblieben“, habe aber als betrieblich bestens verankerte Gewerkschaft Missstände deutlich anzusprechen. Der „eigentliche Konflikt“ in der arabischen Redaktion sei nicht geklärt. „Ein vereinbarter Konfliktmechanismus wurde nicht zu Ende geführt.“
Es sei keine Lösung, von Zeit zu Zeit Verträge unbequemer Mitarbeiter*innen einfach zu beenden, meint man im ver.di-Senderverband und will weiter Augenmerk auf das Thema Konfliktmanagement richten. Nötig sei Verständigung auf Augenhöhe, sagt Kathlen Eggerling von ver.di. „Die drei Freien klagen mit unserer Unterstützung. Eine besondere Herausforderung ist hier der geringe rechtliche Schutz von freien Mitarbeiter*innen.“ Helma Nehrlich[PD1] ‹‹
Deutsche Welle
Die Deutsche Welle als „Rundfunkanstalt des Bundesrechts“ mit Sitz in Bonn und Berlin wird maßgeblich aus Steuermitteln finanziert, 2020 mit 365,5 Mio. Euro. Gemäß gesetzlichem Auftrag soll sie Deutschland dem Ausland als „demokratisch verfassten Rechtsstaat verständlich machen“ und den „Austausch der Kulturen und Völker“ fördern.