Zunehmende Angriffe auf Medienschaffende

Reporter ohne Grenzen: Weltkarte der Pressefreiheit 2021

Als schrillendes Alarmsignal bezeichnete die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Deutschlands Platzierung in der heute vorgestellten Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF). Das Land habe die schlechteste Punktzahl seit Einführung der aktuellen Methodik im Jahr 2013 eingefahren, die Lage der Pressefreiheit musste von „gut“ auf nur noch „zufriedenstellend“ herabgestuft werden. Als Grund dafür nannte RSF die zahlreichen Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten im Zusammenhang mit den Corona-Demonstrationen.

„Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass unsere Demokratie verletzlich ist. Wir brauchen Journalistinnen und Journalisten, die den Finger in diese Wunden legen, die dort hinschauen, wo unsere freie und demokratische Gesellschaft in Frage gestellt wird. Das geht nur, wenn Medienschaffende ungehindert und ohne Angst berichten können“, erklärte die Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di, Monique Hofmann. Die RSF-Analyse müsse ein letzter Weckruf für die politisch Verantwortlichen sein – namentlich die Innen- und Justizministerien auf Länder- sowie auf Bundesebene. „Wir brauchen Konzepte, wie Medienschaffende künftig besser geschützt werden können, Angriffe auf Medien und Journalismus müssen endlich mit der gebotenen Priorität behandelt werden. Denn der Zustand der Pressefreiheit ist ein unmittelbarer Indikator für den Zustand unserer Demokratie“, warnte Hofmann.

Die Rangliste der Pressefreiheit 2021 zeige, „dass repressive Staaten die Pandemie missbrauchten, um freie Berichterstattung weiter einzuschränken, und sich auch gefestigte Demokratien in der Krise schwertaten, sicherzustellen, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit machen können“, so RSF.

So sei in Ungarn die Verbreitung von „Falschmeldungen“ über die Pandemie ebenso unter Strafe gestellt worden wie in Malaysia. Ägypten habe die Veröffentlichung aller nicht-offiziellen Infektionszahlen verboten, das Assad-Regime in Syrien verhängte eine Nachrichtensperre für alle Medien außer der staatlichen Nachrichtenagentur. „Tatsächliche Desinformation ging in der Pandemie von zahlreichen Regierungen sowie Staats- und Regierungschefs aus“, stellte RSF fest. „Ebenso wirkungslose oder sogar gefährliche Mittel gegen Covid-19“ seien außer von Trump in den USA auch von Jair Bolsonaro in Brasilien oder Nicolás Maduro in Venezuela propagiert worden.

„In so unterschiedlichen Staaten wie China, Venezuela, Serbien und dem Kosovo wurden Medienschaffende wegen ihrer Corona-Berichterstattung festgenommen. In China sitzen aktuell mehr als 100 Medienschaffende im Gefängnis, mehr als in jedem anderen Land der Welt.“

„Doch auch jenseits der Pandemie“, so RSF, „fanden autoritäre Regime Anlässe, um unabhängige Berichterstattung zu unterdrücken.“ Verhaftungswellen gab es in Vietnam im Vorfeld des Kongresses der Kommunistischen Partei und auch in Belarus im Zusammenhang mit den Massenprotesten nach der umstrittenen Präsidentenwahl – 400 Medienschaffende im Laufe des Jahres. In Algerien und Marokko werde die Justiz missbraucht, um kritische Journalist*innen mit absurden Anklagen einzuschüchtern. Russland hat neue Gesetzen eingeführt, die die Pressefreiheit weiter einschränken und Online-Überwachung verstärken.

Gewalt in Deutschland erreicht nie dagewesene Dimension

Deutschland rutschte um zwei Plätze im Ranking ab. Hauptgrund dieser Bewertung sei, dass Gewalt gegen Medienschaffende in Deutschland im Jahr 2020 eine noch nie dagewesene Dimension erreicht habe: Im Kalenderjahr 2020 zählte RSF mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten im Land. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Jahr 2019 (mindestens 13 Übergriffe) verfünffacht. Die Organisation geht zudem davon aus, dass die Dunkelziffer 2020 höher ist als in den Vorjahren. Die Mehrheit der körperlichen und verbalen Angriffe ereignete sich auf oder am Rande von Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. Journalistinnen und Journalisten wurden geschlagen, getreten und zu Boden gestoßen, sie wurden bespuckt und bedrängt, beleidigt, bedroht und an der Arbeit gehindert.

Ein positives Zeichen für die Pressefreiheit in Deutschland setze im Mai 2020 das Bundesverfassungsgericht, als es die Überwachung des weltweiten Internetverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst (BND) für verfassungswidrig erklärte. „Doch das BND-Gesetz bleibt auch in der Ende März 2021 verabschiedeten Neufassung problematisch und schließt die Möglichkeit zur Überwachung ausländischer Medienschaffender weiter nicht aus. Zudem will die Bundesregierung zahlreiche neue Möglichkeiten zur Daten-Überwachung durch Geheimdienste und die Bundespolizei schaffen“, betont RSF.

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fußball-EM: Eine Halbzeitbilanz

Spätestens seit dem Gruppensieg der deutschen Nationalelf wechselte die Stimmung im Lande von Skepsis zu Optimismus. Ausgedrückt in Zahlen: Vor dem Start des Turniers trauten gerade mal sieben Prozent der Mannschaft den Titelgewinn zu, nach drei Partien stieg dieser Wert auf 36 Prozent. Entsprechend wuchs auch das Interesse an den TV-Übertragungen.
mehr »

N-Ost: Alles ist europäisch

Vor fast 20 Jahren wurde N-Ost als Korrespondentennetzwerk für Berichterstattung und Expertise über Osteuropa gegründet. Mittlerweile versteht sich N-Ost als Medien-NGO, die sich für die europaweite Zusammenarbeit zwischen Journalist*innen einsetzt. Zum Netzwerk, das seinen Sitz in Berlin hat, gehören nach eigenen Angaben mehr als 500 Journalist*innen und Medien aus ganz Europa. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet die Berichterstattung aus der Ukraine.
mehr »

Das Internet als Nachrichtenquelle

„Das Internet stellt erstmals die wichtigste Nachrichtenquelle der erwachsenen Online-Bevölkerung in Deutschland dar“. So der aktuelle Reuters Institute Digital News Report 2024.  Er liefert interessante Befunde für die journalistische Arbeit – etwa zu Nachrichtenvermeidung, Medienvertrauen und Erwartungen an Nachrichtengestaltung in Zeiten zunehmender Internetnutzung.
mehr »

Fußball-EM: Zu Gast bei Freunden?

Vier Wochen vor EM-Start überraschte der Deutsche Fussballbund (DFB) mit einer originellen Kaderpräsentation. Anstelle einer drögen Pressekonferenz setzte man auf eine teils witzige Salami-Taktik: Mal durfte ein TV-Sender einen Namen verkünden, dann wieder druckte eine Bäckerei den Namen Chris Führich auf ihre Tüten. Das Bespielen sozialer Netzwerke wie X oder Instagram dagegen funktionierte nicht optimal – da hat der Verband noch Nachholbedarf.
mehr »