Gewappnet mit neuen Ideen zur Vernetzung

Stimmungsbild aus dem Coaching-Workshop. Foto: Angelika Osthues

Gute Stimmung und intensive Gespräche prägten den NRW-Selbstständigentag mit etwa 60 Teilnehmenden am vergangenen Wochenende. Alles drehte sich um Solidarität, die auch für die persönliche Krisenbewältigung wichtig ist; um Vernetzung, die in Kleinstgruppen vor Ort, etwa „in der Raucherecke“ anfängt und darum, dass Selbstständige „keine Aliens“ sind, wenn es um soziale Absicherung geht.

Das Interesse am ersten Selbstständigentag nach Corona war so groß, dass wegen des Pandemie-Hygienekonzeptes nicht alle im Düsseldorfer ver.di-Haus Platz fanden und einige online zugeschaltet wurden. „Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, die Stimme für Solo-Selbstständige zu erheben und auch Sprachrohr innerhalb der Gewerkschaft zu sein“, so Frank Bethke. Der stellvertretende ver.di-Landesleiter ist zuständig für die Landeskommission der Selbstständigen LKS, die das Treffen der nordrhein-westfälischen Freischaffenden organisiert hat. „Wir sind gefordert, Kolleg*innen, die Probleme wegen der Rückzahlung von Coronahilfen haben, nicht im Regen stehen lassen“, so Bethke mit Verweis auf die ver.di-Rechtsberatung in den Bezirken und die politische Lobbyarbeit auf Landesebene. Gerade in Wahlkampfzeiten stießen Proteste wie jüngst die der Hamburger Solo-Selbstständigen auf offene Ohren und das solle man nutzen – um Respekt, Solidarität und die Demokratie zu stärken.

Die Umsetzung dieser Werte auf der persönlichen und gesellschaftlichen Ebene thematisierten drei Workshops. Bei „Coaching“ mit Christa Weigand, Schauspielerin, Theatertherapeutin und Supervisorin, erlebten die Teilnehmenden in spielerisch-kreativen Übungen, wie sie sich und andere wahrnehmen und wie andere sie sehen. Gewappnet mit inspirierenden Rollenzuschreibungen entwickelten sie Geschichten, die viele Formen der Krisenbewältigung offenbarten: Zusammenarbeit, Menschen treffen, fragen, Hilfe annehmen, Geduld, Vertrauen, Respekt und Solidarität, gemeinschaftlich Lösungen finden.

Die Bildung von Gemeinschaft durch Vernetzung thematisierte Karl Kirsch, freier VHS-Dozent, am Beispiel eigener Erfahrungen in Leipzig seit 2014. Aus Gesprächen in der Raucherecke der Leipziger Volkshochschule entstand die Initiative „Lehrkräfte gegen Prekarität“, in der sich freie Dozent*innen zusammengeschlossen haben, die für private und öffentliche Träger in der Erwachsenen- und Weiterbildung arbeiten. Während des Corona-Lockdowns schulten sie sich gegenseitig in Online-Unterrichtstechniken. Künftig wollen sie sich mit Hilfe des „Hauses der Selbstständigen“ in Leipzig als „Betrieb“ organisieren – mit einzelnen Bildungsinstitutionen als „Abteilungen“.

Kirsch betonte, wie wichtig die lokale Verankerung von Aktiven und ihrer Lobbyarbeit ist, damit nicht „die örtliche Basis ausgedünnt wird und die Leute auf die nächst höhere Ebene abhauen“.

Durch kleine öffentlichkeitswirksame Aktionen könne eine Gruppe zusammengeschweißt und bekannt werden ohne die Aktiven auszulaugen. So gingen die Leipziger Solos 2017 mit Rollatoren zur Mai-Demo – unter dem Motto „Arbeiten bis zum Umfallen!?“

Für dieses Jahr ist eine größere Kampagne geplant, so Kirsch. Es zeichne sich ab, dass Preisabsprachen zwischen Solo-Selbstständigen bald nicht mehr Kartellrechtlich verboten sind und gemeinsam Mindesthonorare ausgehandelt werden können. Die Solo-Selbstständigen in Leipzig überlegten, sich „als Kartell in Gründung zu betrachten, als Lehrkräftemafia“. Eine gewerkschaftsnahe Kooperative nach dem Vorbild von Smart e.V. könne dann ihre Marktmacht nutzen, „die abgesprochenen Preise von den Auftragsgebern zu kassieren“.

Veronika Mirschel, Leiterin des ver.di-Referats Selbstständige in Berlin, ermutigte die Workshopteilnehmenden, gemeinsam für „solidarische soziale Sicherheit“ zu streiten. Selbstständige seien keine „Aliens“, sondern angesichts zunehmend hybrider Erwerbstätigkeit „normale“ Beschäftigte. Am Beispiel der ver.di-Forderungen zu Altersvorsorge, Renten- und Erwerbslosenversicherung wurde über die Stellungnahmen der demokratischen Parteien diskutiert, die anlässlich der Bundestagswahl von der Bundeskommission der Selbstständigen eingeholt wurden.

Beispiel Rente: Für die geplante Altersvorsorgepflicht für Selbstständige sprechen sich alle Parteien aus. Der ver.di-Forderung, sie in eine gesetzliche Erwerbstätigenversicherung für alle Selbstständigen, Politiker*innen und Beamt*innen einzubetten, stimmen Linke, SPD und die Grünen („Bürger*innenversicherung“) zu. CDU/CSU und FDP möchten dagegen eine Altersvorsorgepflicht innerhalb des bestehenden Systems – mit der Möglichkeit private Vorsorgearten zu wählen. Die prekäre finanzielle Situation vieler Solo-Selbstständiger bleibt da außen vor: „Wie soll ich eine Pflichtrente bezahlen“, fragte ein Teilnehmer. Veronika Mirschel nannte Auftraggeberbeteiligung und einkommensabhängige Versicherungsbeiträge. Sie freute sich, dass „es seit langem wieder möglich war, intensiv zu diskutieren“.

Die Autorin ist Mitglied der NRW-Landeskommission der Selbstständigen in ver.di.

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