Bilder, Trends, Hypes und leere Redaktionen

Während der Protestdemo gegen die staatliche Corona-Politik am 20. März 2021 in der Kasseler Innenstadt kam es erneut zu Gewalt gegen Medienvertreter. Dieser Fotograf war von einem Gegendemonstranten angegriffen worden. Kollegen kümmern sich um ihn. Foto: AFP/ Armando Babani

Die Bilder des Jahres? Das war die erste Frage im Berliner Mediensalon zum Rückblick auf 2021. Die für den 15. Dezember Eingeladenen antworteten prompt: Das zerstörte Ahrtal, Laschets Lachen im Wahlkampf, der Flughafen Kabul beim Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan, die Corona-Demos mit Angriffen auf die Presse, Julian Reichelts Abschied von „Bild“. Ein ereignisreiches Jahr, bewältigt von Journalist*innen, die meist aus dem Homeoffice arbeiten und ihre Kolleg*innen nur noch als Kacheln auf dem Bildschirm sehen.

Den ersten Hype von 2021, den Moderator Johannes Altmeyer vom Newsletter „Business Insider“ zur Diskussion aufrief, beerdigten die Gesprächsteilnehmer*innen ganz schnell wieder: „Clubhouse“. Die Audioplattform, zunächst nur für iPhone-Nutzer zugänglich, war ab Mai 2021 auch für Android verfügbar und steht wegen fehlender Moderation und rechtlicher Mängel in der Kritik. Die App sei sehr schnell nicht mehr von Interesse für Journalist*innen gewesen. Martin Fuchs, Politikanalyst und Social-Media-Beobachter, war „froh, dass es schon nach wenigen Wochen wieder weg war“, denn „Clubhouse“ hätte etwa beim Umgang mit Hassreden alles falsch gemacht, was möglich war. Aurelie von Blazekovic, die für „Kultur und Medien“ bei der „Süddeutschen Zeitung“ arbeitet, bedauerte sehr, ihre gesamten Daten dabei weiter gegeben zu haben. Das Misstrauen gegenüber dem Umgang mit dem Datenschutz bei „Clubhouse“ ist offenbar allgemein schnell gewachsen.

Angriffe und Aktivismus

Die Demonstrationen gegen die Corona-Politik seien ab Mai erst mal abgeebbt, erinnerte Christian Orth, Reporter und Moderator im Politikressort bei BR24, und hätten im Wahlkampf keine große Rolle gespielt. Doch jetzt gingen die Angriffe bei Demos und persönliche Attacken auf digitalen Kanälen mit einer vorher nicht erlebten Aggressivität wieder los: Namen von Journalist*innen mit deren Adressen würden in den Hetzforen veröffentlicht, beklagte Orth. Fuchs erwiderte, er und andere Beobachter gegen Rechtsextremismus stünden seit Jahren auf Todeslisten, das habe aber bisher weder Presse oder Öffentlichkeit groß bewegt, noch das Bundeskriminalamt zu Schutzmaßnahmen veranlasst. Ilka Knigge, die für den BR mit „PlanetB“ als Youtuberin im Klimajournalismus arbeitet, war überrascht, wie schnell und gut organisiert die Angriffe auf sie einprasselten.

Wie sich Journalismus und Aktivismus vermischen können, wurde am Beispiel des „Stern“ diskutiert, der den jungen Leuten von „Fridays for Future“ eine Ausgabe zur Gestaltung überlassen hat. Es sei aber die Frage, so Blazekovic, ob man bei Themen wie Corona oder Klimawandel trotz wissenschaftlicher Expertise aus vermeintlicher Objektivität auch die Leugner und Verschwörungsüberzeugten immer zu Wort kommen lassen müsse. Für Fuchs war ein Problem, dass die Medien im Wahlkampf zu sehr auf die gewollten Hypes der „Spin Doctors“ eingegangen seien und Petitessen wie Plagiatsdiskussionen zu sehr aufgebauscht hätten. Dass der lachende Laschet der „Game-Changer“ im Wahlkampf war, darin war sich die Online-Runde einig, ob das allerdings immer wieder aus der digitalen Schublade habe gezogen werden müssen, sei die Frage. Für Orth war es absolut das „Bild eines Kandidaten, der sich auch bei großen Presseauftritten nicht im Griff hat“.

Als Altmeyer den „Podcast-Hype“ ins Spiel brachte, meinten die Diskutant*innen, dass der Aufreger 2021 schon vorbei war, die guten Podcasts, die ihre Community gefunden hätten und auch pflegten, seien geblieben und würden als Format auch nicht mehr verschwinden. Eine Paywall für Podcasts sei richtig. Die Kreativen müssten ja von dieser Arbeit leben können.

Newsrooms als Standard?

Ein Thema, das die Medien noch lange beschäftigen werde, sind die veränderten Arbeitsbedingungen durch das Homeoffice und die Frage, ob die gerade erst als unbedingtes Muss eingeführten Newsrooms in den Medienhäusern dauerhaft Standards setzen werden. So, wie geplant im Neubau vom BR in München-Freimann oder im wegen der Pandemie noch nicht feierlich eingeweihten Berliner Springer-Campus für die „blaue“ WELT-Gruppe.

Die Kommunikation und die Medienproduktion aus dem Homeoffice hätten erstaunlich gut funktioniert, aber der fehlende persönliche Kontakt zehre doch sehr an der Arbeitsfreude und der Inspiration, vor allem wenn die Redaktion „Social-Media-Formate“ betreue, „die krass mit Humor funktionieren“, meinte Lara Thiede, Redaktionsleiterin beim Jugendmagazin-Magazin „ jetzt“ der „Süddeutschen“. Als sie stellvertretende Leiterin wurde, sei ihre erste Aufgabe gewesen, die Redaktion nach Hause zu schicken und Laptops für deren Homeoffices zu besorgen. „Ich bin zur Redaktionsleiterin befördert worden, ohne mein Team bisher zu treffen“, bedauerte sie. Außerdem dauere die Kommunikation digital länger, es entstünden Missverständnisse, die früher bei einem Gespräch im Haus gar nicht aufgekommen wären. „Die Team-Meetings fressen den halben Tag“, sagte Altmeyer zu den Videokonferenzen.

Auch wenn viele in der Runde zugaben, sich müde zu fühlen bei dem langen Ausnahmezustand in der Pandemie, war ihnen Wachsamkeit doch ein wichtiges Thema. Was ist „Wokeness“, grob umschrieben als „Aufmerksamkeit gegenüber Diskriminierungen“, wie wird das verstanden? Meint der Begriff in jedem Medienhaus und auch innerhalb jedes Hauses in den verschiedenen Redaktionen etwas anderes? Einen kleinen Abriss zum Begriff und seinen Konnotationen versucht die „Stuttgarter Zeitung“. Ob in deutschen Redaktionen ein ähnlicher Kulturkampf drohen könne wie bei der „New York Times“, ob ein Kampf Jung gegen Alt oder liberal gegen traditionell tobe? Ein Begriff, der für Blazekovic ähnlich schwammig ist wie die „Cancel Culture“.

Neue Fehlerkultur und mehr Offenheit

Die Diskussion beginne wohl erst, so die Einschätzung. Aber ein Mehr an „Sensibilisierung“ könne keinesfalls schaden, meinte Fuchs, der auf seine Wunschliste für das Medienjahr 2022 eine neue Fehlerkultur und mehr Offenheit zu den Leser*innen setzte. Sich bei der Arbeit seiner eigenen „kognitionsbedingten Mechanismen“ bewusster zu werden und sich zu fragen, ob man die Expert*innenliste nicht unbewusst so zusammenstelle, dass hinterher das Ergebnis herauskomme, das man von Beginn an im Kopf hatte, ist das Ziel von Orth. Thiele empfahl, weniger auf eigene Relevanzkriterien zu setzen und den Wunsch des Publikums nach „weichen Geschichten“ mehr zu berücksichtigen. Mehr „Trial and Error“ statt Kopien erfolgreicher Formate anderer wünschte sich Knigge, mehr konstruktiven Journalismus erhofft sich Blazekovic.

„Mehr Aufmerksamkeit aufeinander, wenn wir in die Redaktionen zurückkehren“, war Altmeyers Wunsch für 2022. „Man muss auch mal scheitern dürfen, auch im Journalismus.“ Sein Lektüretipp zum Jahresende: Der Text des preisgekrönten Schweizer Journalisten Hannes von Wyl „Und es ist gut so: Das Protokoll eines Scheiterns“. In „Edito“ berichtet der jetzige Vertriebsmanager, „wie er den Erwartungsdruck, den Stress im Job, die Ungewissheit der beruflichen Zukunft zu kompensieren versuchte. Ein persönlicher Erfahrungsbericht – und ein scharfes Spiegelbild der Branche.“


#Mediensalon ist eine Veranstaltung der gemeinnützigen meko factory – Werkstatt für Medienkompetenz in Kooperation mit Deutscher Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und Deutschem Journalistenverband DJV Berlin – JVBB e.V., unterstützt von Landau Media und der Otto Brenner Stiftung. Einen M-Rückblick über die Debatten der vergangenen fünf Jahre gibt es hier.

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