Das Oberlandesgericht Koblenz hat heute Anwar R., in den Jahren 2011 und 2012 Chefvernehmer der berüchtigten Al-Khatib-Abteilung 251 des syrischen Geheimdienstes in Damaskus, zu lebenslanger Haft verurteilt. Das erste deutsche Verfahren nach dem Weltrechtsprinzip, in dem es um Verbrechen des Assad-Regimes in Syrien ging, dürfte als Meilenstein in die Rechtsgeschichte eingehen. Doch hinsichtlich Presseberichterstattung und Dokumentation bleibt begründete Kritik.
An 107 Verhandlungstagen waren über fast zwei Jahre Zeugen gehört und Beweise gesammelt worden für Folter und Freiheitsberaubung in mindestens 4000 Fällen, nachweisbar 27fachen Mord und mehrere Fälle sexualisierter Gewalt. Die Taten von Anwar R. seien als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten, hatte die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer festgestellt. Die Tatsache, dass er in staatlicher Funktion gehandelt habe, verleihe ihm keine Immunität vor Strafverfolgung. Dass in Syrien ein systematischer und flächendeckender Angriff auf eine Zivilbevölkerung stattgefunden hat, legte der 1. Strafsenat bereits im Urteil gegen den mitangeklagten Eyad A. im Februar 2021 dar.
In Koblenz wurde eine der derzeit wenigen Chancen auf Gerechtigkeit für Überlebende des syrischen Regimes genutzt, wertet auch das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Die in Berlin ansässige Organisation unterstützte in dem Verfahren 29 Betroffene, 14 davon wurden als Nebenkläger*innen von ECCHR-Partneranwälten vertreten.
Bereits vor der Urteilsverkündung hatte das ECCHR „Das Al-Khatib-Verfahren in Koblenz: Eine Dokumentation“ veröffentlicht, die auch in Arabisch vorliegt. Die 190-seitige Publikation vollzieht fast das gesamte Verfahren nach und macht es einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Das ist umso verdienstvoller, da der Koblenzer Senat es abgelehnt hat, den Prozess oder zumindest dessen Schlussphase aufzuzeichnen. Auch die durch Corona-Einschränkungen ohnehin erschwerte Pressearbeit erhielt vom Gericht wenig Unterstützung, wie Medienvertreter und M Online bereits zuvor kritisierten. So blieb auch nach Protesten eine Arabisch-Übersetzung nur wenigen akkreditierten syrischen Journalisten zugänglich.
„Wir brauchen einen Beweis, dass unser Schmerz zählt“, sagte Wassim Mukdad, Überlebender der Al-Khatib-Abteilung und Nebenkläger, in einem Pressegespräch wenige Tage vor der Urteilsverkündung. Der Prozess habe grausame Details zutage gefördert, „doch diese Details werden in der Sprache der Betroffenen und für die syrische Gesellschaft nicht dokumentiert“. So habe das Gericht einer „ererbten Skepsis“ seiner Landsleute nicht abgeholfen. „Die Geschichte erinnert sich nur an Dokumente. Gäbe es solche Dokumente, wäre es einfacher für alle“, erklärte Mukdad.
Rechtsanwalt Patrick Kroker, der syrische Folterüberlebende im Verfahren vertrat, sah zwar gute Gründe, einen Prozess nicht in ein „Medienspektakel“ ausarten zu lassen, kritisierte aber scharf, dass der Senat in Koblenz die Regeln „extrem restriktiv“ ausgelegt habe. Weder die Staatsanwaltschaft noch das Gericht hätten ausreichend Pressearbeit betrieben und „gemauert, als ob Öffentlichkeit nicht erwünscht sei“. Audiodokumentation sollte nach Meinung des Nebenklägeranwalts in derartigen Prozessen regelmäßig stattfinden. Auch die syrische Menschenrechtsanwältin Joumana Seif kritisierte fehlende Aufzeichnung wie nicht gewährte Übersetzung für Prozessbeobachter*innen und hoffte, dass das in folgenden Verfahren besser gehandhabt werde.
Das Koblenzer Gericht hatte nun zumindest für die Urteilsverkündung am 13. Januar – wie bereits im Februar 2021 – eine Arabisch-Übersetzung eingeplant.
Dass sich bei weiteren Prozessen um Menschenrechtsverletzungen in Syrien in Sachen Öffentlichkeitsarbeit grundsätzlich etwas ändert, darauf deutet bislang jedoch nichts hin. Auch der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main, der ab 19. Januar Foltervorwürfe gegen einen syrischen Arzt verhandeln wird, soll eine Audiodokumentation des Prozesses bereits abgelehnt haben.