Das ist fürwahr eine stolze Summe: 635.000 Euro Schmerzensgeld müssen „Bild“ respektive der Springer-Verlag Jörg Kachelmann als Ausgleich für 38 schwerwiegende Persönlichkeitsverletzungen bezahlen. Das Kölner Landgericht hat mit dem Urteil neue Maßstäbe gesetzt. Bisheriger Halter dieses zweifelhaften Rekordes war der Klambt-Verlag, der Madeleine von Schweden, einer Tochter von Königin Silvia, 2009 wegen einer Vielzahl erfundener Geschichten 400.000 Euro zahlen musste.
Mindestens so interessant wie die Höhe der Summe ist die Urteilsbegründung: Die Preisgabe diverser Details aus dem Privatleben Kachelmanns hätten kein berechtigtes Informationsinteresse der Allgemeinheit bedient, sondern seien „allein zur Befriedigung der Neugier der Öffentlichkeit“ erfolgt. Und weil die Veröffentlichungen Teil der Berichterstattung über den Vergewaltigungsprozess gegen den Wetterexperten waren, hätten sie nach Ansicht des Gerichts zu einer unzulässigen Vorverurteilung geführt.
Der Mut des Schweizers, sich gegen Deutschlands größtes Boulevardblatt aufzulehnen, ist also belohnt worden. Dieser Mut ist schon allein deshalb gar nicht hoch genug einzuschätzen, weil Prominente regelmäßig einknicken, wenn ihnen Boulevardmedien ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen können. Die in der Urteilsbegründung inkriminierte Art und Weise der Berichterstattung entspricht ja einem Großteil dessen, was in dieser Branche regelmäßig betrieben wird. Beliebt ist zum Beispiel die als Deal getarnte Erpressung: Wir verzichten auf die Veröffentlichung pikanter Fotos, im Gegenzug bekommen wir ein Exklusivinterview.
Der Schweizer und sein Anwalt Ralf Höcke haben vor Gericht einen wichtigen Sieg errungen; nicht nur für den früheren TV-Moderator, sondern auch für einen Journalismus, der Gerichtsprozesse nicht mit Vorverurteilungen begleitet. Höckes Hoffnung, die Entscheidung werde eine abschreckende Wirkung haben, dürfte dennoch ein frommer Wunsch bleiben. Gleiches gilt für die richterliche Anmerkung, mit dem Urteil präventiv ähnliche Berichterstattungen verhindern zu wollen: Selbst die Höhe der Entschädigungssumme wird wohl nicht zur Folge haben, dass die für ihre Kaltschnäuzigkeit und Skrupellosigkeit bekannten Boulevardmedien zur Einsicht bekehrt werden.
Das belegt auch die Reaktion eines Springer-Anwalts, der in der Urteilsbegründung keinen Hinweis darauf erkennen konnte, dass „Bild“ vorsätzlich und mit Schädigungsabsicht handelt habe: Wenn überhaupt, dann könne dem Verlag nur der Vorwurf gemacht werden, „auf einem außerordentlichen Gebiet der Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen die rechtliche Grenzziehung fahrlässig verfehlt zu haben.“ Würde man diese verschwurbelte Formulierung als juristischer Laie mit „fahrlässiger Rufmord“ übersetzen, müsste man womöglich mit einer Einstweiligen Verfügung rechnen. Selbstredend wird der Verlag in Berufung gehen, aber vielleicht wird er das auch bereuen. Höcke hofft, dass die Entschädigungssumme dann noch höher ausfallen könnte; er hatte 2,25 Millionen Euro gefordert.