„Zeit der Helden“ – ein gelungenes Echtzeit-Experiment

„Grimme trifft die Branche“, hieß es Ende Januar in Berlin. Der traditionelle Diskurs über Qualitätsfernsehen stellte in diesem Jahr den Grimme-Preisträger 2014, „Zeit der Helden“ vor. Anhand der Fernsehserie wurde gemeinsam mit den Preisträgern analysiert und erörtert, was die ausgezeichnete Qualität dieses Filmwerks ausmacht.

Die neunteilige Serie, die 2013 parallel auf Arte und dem SWR ausgestrahlt wurde, war bereits von ihrer Form her außergewöhnlich (Idee und Konzeption Volker Heise): Fünf Tage lang wurde sie um 20.15 Uhr und 22 Uhr gesendet. Die erzählte Zeit des Films verlief parallel zur real vergehenden Zeit der Zuschauer. Vergingen für die Zuschauer 45 Minuten, so verging für die handelnden Charaktere im Film eben dieselbe Zeit, 20.48 Uhr im Film zum Beispiel entsprach 20.48 Uhr in der Realität.
Echtzeit-Experimente sind nicht ganz neu. In den USA gab es mit der Fernsehserie „24“ eine solche Unternehmung. Die Produktionsfirma von „Zeit der Helden“, die zero one Film GmbH, hat bereits Erfahrung in dem Bereich gesammelt: Sie produzierte die viel beachteten und preisgekrönten Echtzeitdokumentationen „24 Stunden Berlin – Ein Tag im Leben“ und „24 Stunden Jerusalem“, in denen 24 Stunden lang mit vielen Filmteams an mehreren Schauplätzen aus den jeweiligen Städten berichtet wurde.
Ist dieses erneute „Echtzeit-Experiment“ also wegweisend und ausschlaggebend als Vorbildfunktion für andere Produktionen? Dazu herrschte Einigkeit auf dem Podium: Das eigentlich herausragende an dieser Produktion ist nicht der Echtzeiteffekt. Dieser war auch nicht bei der Preisvergabe entscheidend, wie ein Jurymitglied erzählt.
Was also macht diese Serie aus?
In der Diskussion wurden immer wieder die Drehbuchautoren hervorgehoben. Darsteller Patrick Heyn erklärte, dass die Drehbücher ohne „seitenweise Regieanweisungen“ auskommen. Die sehr guten Dialoge implizierten das Spiel geradezu, samt allen Zwischentönen. In der Jurybegründung heißt es dazu: „Wie fesselnd, wie anrührend, zärtlich und tragikomisch können Liebes-, Lebens- und Familienkrisen “normaler” Menschen im Fernsehen thematisiert werden, wenn sie sich nach so lebensklug geschriebenen, feingesponnenen Drehbüchern entfalten dürfen.“ Geschrieben haben die hochgelobten Bücher, die bereits mehrfach für ihre Arbeiten ausgezeichneten Autoren Beate Langmaack und Daniel Nocke.
Neben der Qualität der Drehbücher gibt es jedoch noch einen anderen wesentlichen Faktor für den Erfolg der Serie: die kreative Auseinandersetzung mit etwas völlig neuem. Niemand hatte zuvor an solch einem fiktionalen Echtzeit-Film gearbeitet. Die Idee von „Echtzeit-Fernsehen“ war zwar nicht neu, deren Umsetzung in dieser konkreten Form aber schon. Die Produzenten, die Autoren, der Regisseur, das Team mussten sich ständig der Herausforderung stellen: „Wie machen wir das?“ Das führte, wie Regisseur Kai Wessel erzählte, zu einer Aufbruchsstimmung: „Wir müssen irgendetwas Neues, was ganz anderes machen…, das war so eine Goldgräberstimmung, das war so eine Erfinderstimmung, da war so viel Phantasie in der Luft und da war ein ganz freier Raum, den man nehmen konnte und musste – das war toll!“.
Kritisiert wurde von den Diskussionsteilnehmern die starre Struktur der Sender, die durch ihre fest etablierten Programmabläufe naturgemäß kaum Spielraum lassen, andere Programmierungen zu wagen. Es sei nicht einfach gewesen, die Serie „Zeit der Helden“, die jeden Abend, eine Woche lang, um 20:15 beginnen sollte, in der Programmplanung des SWR unterzubringen, bestätigte Thomas Kufus. Ein Diskutant forderte folgerichtig mehr Wagnis seitens der Sender für Ungewöhnliches: „Wir brauchen mehr Freiheit, die Produzenten machen zu lassen. Das wünsche ich mir vom deutschen Fernsehen.“
„Die Serie funktioniert ja auch ohne die Echtzeit“, sagte am Schluss Kai Wessel. „Aber ohne diesen Echtzeit-Gedanken, wäre die Serie nicht das geworden, was sie ist.“
Mit dem Grimme-Preis werden alljährlich Fernsehsendungen ausgezeichnet, die vorbildlich sind. Seit sieben Jahren findet parallel zur Preisverleihung die Veranstaltung „Grimme trifft die Branche“ statt. Hier lädt das Grimme-Institut gemeinsam mit dem Institut für Schauspiel, Film-, Fernsehberufe an der VHS Berlin Mitte (iSFF) Film- und Fernsehschaffende zur Diskussion über Qualitätsfernsehen ein. Anhand einer aktuell prämierten Produktion wird gemeinsam mit Preisträgern und Fachpublikum darüber diskutiert, wie Qualitätsansprüche umgesetzt werden können.

Weitere aktuelle Beiträge

AfD-Einstufung zwingt Rundfunkgremien zum Handeln

Das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Verfassungsschutzes, welches zur Einstufung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Partei“ führte, wurde nunmehr durch Medien veröffentlicht. Innenminister Dobrindt ließ zunächst offen, inwiefern juristische Schritte gegen die Veröffentlichung geplant seien. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, begrüßt, dass nun öffentlich über das Zustandekommen der Einstufung diskutiert werden kann.
mehr »

„Gewerkschaften müssen Schutz bieten“

Marina Weisband hat zuletzt zusammen mit Doris Mendlewitsch das Buch "Die neue Schule der Demokratie. Wilder denken, wirksam handeln." herausgegeben. Die 37-Jährige diskutiert im Gespräch mit M die Rolle von Medien und Gewerkschaften in autoritärer werdenden Staaten und wie das Geschäft mit der Aufmerksamkeit eine ungleiche Machtverteilung befördert.
mehr »

Soziale Medien: Nachbarschaft fördern

Die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zeigen, dass und wie Soziale Medien den Zusammenhalt in Nachbarschaften fördern können. Zwar sei eine niedrigschwellige Zugänglichkeit und eine auf realen Begegnungen basierende Vertrauensebene unerlässlich, aber die Online-Kommunikation schaffe unter Umständen eine neue Qualität sozialer Nähe, so die Forschenden.
mehr »

RBB: Nach- und Neubesetzungen

Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) wird es voraussichtlich im Herbst eine neue Leitung der Programmdirektion geben. Es gehe darum, dann die Neubesetzung mit dem eingeleiteten Konsolidierungs- und Reorganisationsprozess aufeinander abzustimmen, erklärte der RBB auf Anfrage. Damit wird es keine schnelle Nachbesetzung der Programmdirektorenstelle geben.
mehr »