Feminismus im Comic: Ganz ohne Superman

Auszug aus dem Comic „Der Ursprung der Welt“, Illustration: Liv Strömquist/avant-verlag 2017

Comics waren lange eine Sache von Männern und Jungs. In ihren Abenteuern retteten maskuline Helden wie Superman die Welt, Zeichner dominierten die Branche. Doch das ändert sich. Viele der aufsehenerregenden Comics der vergangenen Jahre stammen von Frauen. Die Zeichnerinnen erzählen aus ihrem Leben, hinterfragen stereotype Geschlechterrollen und machen feministische Begriffe und Theorien populär. Ganz neu ist das nicht: Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass feministische Perspektiven schon sehr früh Teil der Comickultur waren.

Wer den Begriff „Mental Load“ zum ersten Mal hört und verstehen will, was damit gemeint ist, greift am besten zu einem Comic. „Du hättest nur fragen müssen“, heißt das Kapitel, in dem die Zeichnerin Emma die ungleiche Aufgabenverteilung eines Paares beschreibt. Die Frau steht am Herd und bereitet das Essen für den Besuch zu, gleichzeitig ermuntert sie die zwei Kinder, ihr Abendessen zu beenden und ruft ihrem Gast immer wieder entschuldigende Sätze herüber. Der Mann sitzt währenddessen in seinem Sessel und trinkt Wein. Irgendwann wird es zu viel, die Kinder nörgeln, das Essen kocht über, der Mann beschwert sich und sagt zu seiner ratlosen Frau: „Aber du hättest doch nur fragen müssen. Ich hätte dir doch geholfen.“

Die Französin Emma ist mit diesem Werk international bekannt geworden – offenbar hat sie einen Nerv getroffen. Nach ihrem Comic über Mental Load veröffentlichte sie ein ganzes Buch, in dem sie unter anderem den bewertenden Blick von Männern auf Frauen kritisiert, die Benachteiligung von Müttern in der Arbeitswelt, aber auch rassistische Polizeigewalt anprangert. Eine Lektion zur Anatomie der weiblichen Geschlechtsorgane gibt es obendrauf.

Comic über Schönheitsideale

Emma ist nicht allein. Weltweit veröffentlichen Zeichnerinnen Comics und Graphic Novels, in denen sie gesellschaftliche Rollenbilder reflektieren und Kritik an Strukturen üben, die bestimmte Menschengruppen benachteiligen. So sind es mittlerweile oft die Frauen, die in der Comicbranche von sich reden machen. Sie bringen neue Themen und Figuren mit, erklären feministische Konzepte und erzählen aus ihrem Alltag. Oder sie würdigen das Leben bedeutender Frauen, wie etwa die Französin Pénélope Bagieu in ihren „Unerschrocken“-Büchern.

„Der Ursprung der Welt“
Illustration: avant-verlag 2017

Für Aufsehen sorgte 2017 die Schwedin Liv Strömquist mit ihrem Comic „Der Ursprung der Welt“, in dem sie eine Kulturgeschichte der Vulva erzählt: von der Antike über Freud bis hin zu Dornröschen. Für ihr aktuelles Buch „Im Spiegelsaal“, in dem sie sich mit Schönheitsidealen auseinandersetzt, erhielt sie in diesem Jahr den Max-und-Moritz-Preis des Comic-Salons Erlangen für den besten Sachcomic. Ohnehin dominierten beim wichtigsten deutschsprachigen Comic-Festival die Frauen – als beste deutschsprachige Comickünstlerin ausgezeichnet wurde Birgit Weyhe, den Preis als besten deutschsprachigen Comic erhielt „Work-Life-Balance“ von Aisha Franz.

Die starke Präsenz von Frauen in der Comic-Szene ist keine Selbstverständlichkeit. Lange galten Comics als eine Sache von Jungs, sie erzählten Geschichten von Superhelden und Abenteurern, in denen traditionelle Geschlechterbilder nicht hinterfragt, sondern verstärkt wurden. Fester Bestandteil der Erzählungen war die „damsel in distress“, eine nach den jeweils gültigen Schönheitsstandards attraktive Frau, die darauf wartet, von dem strahlenden, starken Helden gerettet zu werden.

Fast immer waren die erfolgreichen Zeichner Männer, die weibliche Charaktere nach ihren Vorstellungen schufen: „Die Produktion attraktiver Frauen im Comic war Männern vorbehalten, die damit die Männerphantasien der jungen männlichen Leser bedienten“, schreibt Verleger und Comic-Experte Jonas Engelmann in seinem Aufsatz „Girl Commando“.

Bildsprache für gute und böse Frauen

Die stereotypen Darstellungen weiblicher Comicfiguren ging mitunter so weit, dass die Zeichner eine Bildsprache entwickelten für gute und böse Frauen, wie die Medienwissenschaftlerin Véronique Sina beschreibt: So sind die Körper der „good girls“ eher rund und weich gezeichnet, die „bad girls“ hingegen sind größer, haben Muskeln, zerzauste Haare und eine unrealistisch schlanke Taille – ein Beispiel dafür ist Catwoman in der DC-Comicreihe der 1990er-Jahre.

Doch auch wenn neben Superman, Batman und Co lange wenig Platz für Perspektiven von Frauen blieb: Feministische Stimmen im Comic haben eine lange Tradition, zumindest in den USA. Eine der ersten Comiczeichnerinnen überhaupt, die US-Amerikanerin Rose O’Neill, stattete zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihre harmlos aussehenden Cartoonfiguren, die berühmten Kewpie-Babys, mit Schildern und Fahnen aus, auf denen sie das Wahlrecht für Frauen fordern.

In Deutschland kaum bekannt ist Jackie Ormes, die als erste afroamerikanische Comiczeichnerin gilt und seit 1937 in ihren Comics von Torchy Brown erzählte, einer jungen Schwarzen Frau, die gegen Rassismus und Umweltzerstörung kämpft. Heute sind diese Themen aktueller denn je und finden ein breites Publikum; doch damals seien Pionierinnen wie Jackie Ormes die Ausnahme gewesen, schreibt Jonas Engelmann; „die meisten Comics bildeten rassistische und sexistische Stereotype ab“.

„Bechdel-Test“ weit über Comicbranche hinaus bekannt

Auch in den folgenden Jahrzehnten blieb die Comicbranche stark von Männern dominiert. Doch weibliche Zeichnerinnen erkämpften sich immer mehr Räume und setzten zunehmend eigene Themen. Weit über die Comicbranche hinaus berühmt geworden ist Alison Bechdel mit ihrem „Bechdel-Test“. Dieser Test beruht auf einer Szene, die 1985 im Comicstrip „Dykes to watch out for“ erschien. Darin sagt eine Frau zu einer anderen, dass sie nur noch ins Kino gehe, wenn der Film drei Voraussetzungen erfülle: Es müssen zwei Frauen darin mitspielen, beide Frauen müssen sich miteinander unterhalten – und zwar über etwas anderes als einen Mann.

Zahlreiche Filmkritiker*innen beziehen sich mittlerweile auf diese Kriterien, schwedische Kinos nutzen ihn als eine Art Qualitätsmerkmal für einen Film. Denn so simpel wie der Test ist, so schwer fiel und fällt es vielen Produktionen, ihn zu bestehen.

Der „Bechdel-Test“ hat es von einem Underground-Comic in die breite gesellschaftliche Debatte geschafft – und das, obwohl er lange erschien, bevor feministische Positionen auch im Mainstream akzeptiert wurden. Vielleicht ist es kein Zufall, dass der heute so bekannte Test ausgerechnet in Form eines Comics in die Welt kam. Comics und feministische Positionen – die Geschichte zeigt, dass beides schon immer gut zusammenpasste.

 

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