„Guter Journalismus ist vielfältig“ – so das Motto der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die ihren Verein vor 15 Jahren gründeten und mittlerweile 650 Mitglieder zählen. Auf ihrer Jahreskonferenz zogen sie Bilanz und diskutierten, was der aktuelle Rechtsruck für Medienschaffende bedeutet. Einig waren sich die Teilnehmenden, dass guter Journalismus als „Grundpfeiler der Demokratie“ Diskurse einordnen und marginalisierten Gruppen eine Stimme geben soll.
In den Führungsetagen gebe es immer noch viel zu wenig Diversity, so Marieke Reimann, zweite Chefredakteurin des SWR, in einer Paneldiskussion über einen Journalismus, „der die Demokratie vor dem Rechtsruck rettet“. In den Programminhalten und den Köpfen habe sich zwar wenig geändert, aber die Zahl schwarzer Presenter nehme zu. Mo Asumang, in den 1990er Jahre erste Schwarze Moderatorin im deutschen Fernsehen, freute sich, „wie es jetzt mit den NdM vorangeht“.
Die Frankfurter Journalistin Hadija Haruna-Oelker meinte, es habe 2020 eine Zäsur gegeben – einen Turn zu mehr Vielfalt. Im Hessischen Rundfunk sei er durch die junge, nachwachsende Generation befördert worden, nachdem die Voloauswahl durch eine „softe Quote“ und Ausschreibungen für Menschen mit diverseren Biografien geändert wurde. Der „Mittelbau“ sei weiterhin starr, doch der junge Intendant Florian Hager „lässt uns machen“. Sie problematisierte, dass mittlerweile auch eine politische Haltung wie „konservativ“ als Differenzmerkmal diskutiert werde. Der freie Berliner Journalist Mohamed Amjahid warnte, „Vielfaltsdiskurse kaschieren strukturelle Probleme“ und dienten als Argument, auch menschenfeindliche Meinungen zu veröffentlichen.
Mit menschrechtsbasiertem Journalismus Rechtsextreme entlarven
Die aktuelle Berichterstattung über die AfD, die in den Bundestag gewählt wurde, aber verfassungsfeindliche Positionen vertritt, kritisierten die Diskutierenden scharf. Journalist*innen würden zur Normalisierung rechtsextremistischer Positionen beitragen, wenn sie den Parteispitzen eine Bühne geben, wie Björn Höcke im MDR-Sommerinterview oder wenn sie den angeblichen Angriff auf Tino Crupalla „so hoch fahren“. Eigentlich sollte es zu den „journalistischen Skills“ gehören, die Strategien der AfD zu durchschauen. Die Rechten „können social media und beherrschen platte Sprache“, so SWR-Journalistin Reimann. Als Ostdeutsche kritisierte sie den Nachwende-Diskurs „über statt mit Ossis“. Man solle nicht die rechtsextremen Politiker*innen zu Wort kommen lassen, sondern die Menschen, die sie wählen und mit ihnen über „Heimat“ oder „Identität“ sprechen.
AfD-Wähler*innen zurückholen, indem man mit ihnen über ihre Probleme spricht – das versucht auch Mo Asumang mit ihrem Verein mo:lab. Dort werden Menschen als Dialogbotschafter*innen ausgebildet, die „mit Rechten sprechen, statt Mauern aufzubauen“. Sie selbst sei auf Neonazis zugegangen, weil sie „sehr neugierig“ sei und auf Menschlichkeit setze. Weniger optimistisch ist Mohamed Amjahid: „Ich verstehe Journalismus nicht als Diskussionsprogramm“. So blieben „bei Townhall-Gesprächen Falschinformationen einfach so stehen“. Er setzt auf Recherche und Fakten und hält einige Rezipierendengruppen wie Reichsbürger*innen für verloren.
Hadija Haruna-Oelker forderte einen menschenrechtsbasierten Journalismus, der marginalisierte Gruppen wie Ostdeutsche und Schwarze Menschen nicht gegeneinander ausspielt, sondern Diversity intersektionell versteht. Die AfD erreiche inzwischen alle Milieus – ihre Wähler*innen seien auch Westdeutsche oder Reiche. Finanziell benachteiligte, arme Menschen wählten keineswegs immer rechtsextrem, so ergänzende Anmerkungen aus dem Kreis der Konferenzteilnehmenden.
Einen Grund für den Rechtsruck in Deutschland sahen sie in der nationalsozialistischen Vergangenheit, die nicht aufgearbeitet wurde. Nach der FES-Mitte-Studie von 2023 hat jede zwölfte Person in Deutschland ein rechtsextremistisches Weltbild, darunter auch jüngere Menschen. „Wie schreibe ich für ein Publikum, das so autoritär erzogen ist wie das deutsche“, fragte Mohamed Amjahid. „Geschichten immer mit Blick zurück erzählen“, antwortete Haruna-Oelker. Reimann setzte auf die Vermittlung von Medienkompetenz: „Wie müssen unsere Arbeitsweise transparent machen und kluge Worte einfacher formulieren, damit sie ankommen“. Asumang meinte, „Themen von Rechts“ dürften nicht „weg gebügelt werden“, sondern müssten faktenbasiert recherchiert und eingeordnet werden. Statt immer wieder den Migrationsdiskurs zu bedienen, könnte beim Thema „Drogenhandel“ etwa thematisiert werden, dass es unter den Dealern viele Rechte gibt und die Kölner Silvesternacht hätte auch im Kontext von Gewalt gegen Frauen thematisiert werden können.
In der Publikumsdiskussion konstatierte Ferda Ataman, NdM-Gründungsmitglied und jetzt Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung: „Wir haben Vielfalt definitiv nicht erreicht!“ Ein Fehler sei die Konzentration auf Migrationshintergrund gewesen. Das führe genauso wie bei der Frauenförderung dazu, dass nur ein Typus in den Blick gerate, andere marginalisiert würden. Um gesellschaftliche Repräsentativität zu erreichen, sei außer Wahlen auch Minderheitenschutz notwendig. „Für mich gehören Vielfalt und Demokratie immer zusammen“, so Ataman. Für Journalist*innen bedeute das, eine Haltung zu haben, die im demokratischen Grundkonsens wurzelt: „Menschenrechte sind nicht verhandelbar.“
Wie ein solcher demokratisch-vielfältiger und diskriminierungssensibler Journalismus umsetzbar ist, diskutierten die Konferenzteilnehmenden in drei parallelen Workshops. Mit Kreativität könne man ein Thema „am Laufen halten“, so ZEIT-Online-Redakteurin Vanessa Vu. Bedrohte Journalist*innen konnten sich in einem Meet-up austauschen und Tipps holen. Für Medienschaffene mit Deutsch als Zweitsprache, die neu in Deutschland sind, gab es ein Vernetzungstreffen. Ihnen gilt auch das jüngste der vielen NdM-Projekte: der Guide „Startklar“ mit Praxistipps.
Fünf „unterirdische“ Mediendiskurse
Statt der „Goldenen Kartoffel“, mit der die NdM alljährlich einen Fall „unterirdischer Berichterstattung“ auszeichneten, gab es diesmal eine „Medien-Shit-Show“, in der Nachwuchs-Medienmacher*innen gekonnt grenzwertige Diskurse von „Silvesternacht“ bis „Freibad-Randale“ aufspießten. Wie schon zum Jahreswechsel 2015/16 in Köln gab es Anfang 2023 zur Silvesternacht in Berlin-Neukölln wieder Schlagzeilen, die Krawalle als „Migrationsproblem“ rahmten. Der Berliner Tagesspiegel deckte am 8. Januar auf, dass 38 statt 145 Personen wegen Gewalt gegen Polizei und Feuerwehrkräfte festgenommen wurden und dass Zweidrittel von ihnen Deutsche ohne Migrationshintergrund waren. Aber da machten Politiker*innen schon Wahlkampf mit dem Narrativ der „schlecht integrierten, gewaltbereiten Migranten“ und die Debatte verselbständigte sich, so die Kritik.
Wie sehr Rassismus und Klassismus zusammenwirkten wurde an einer Themen-Gewichtung im Juni dieses Jahres verdeutlicht: Fünf reiche Abenteurer, die während eines Tauchgangs im U-Boot Titan starben, erhielten mehr Medienaufmerksamkeit als die 600 Geflüchteten, die in ihrem Boot vor der Küste Kretas kenterten und ertranken. Überlebende machten eine Pushback-Aktion der Küstenwache dafür verantwortlich. Das „Sterben im Mittelmeer“ werde zu etwas „Natürlichem“, die Geflüchteten zur anonymen Masse, während die Reichen als „Familienväter“ mit Gesicht präsentiert würden. Wir sollten alle gleichermaßen als Menschen wahrnehmen und Empathie schaffen, war sich die Medienkritiker*innenrunde einig.
Am Diskurs über die erstarkende AfD bemängelte die Runde die fehlende Kontextualisierung der Partei als rechtsextrem und ihre zu häufige Thematisierung, etwa in kleinen Pushmeldungen zu Umfrageergebnissen oder auf Covern wie Alice Weidel auf der „Stern“-Titelseite. Auch in der diesjährigen Freibad-Debatte mit Schlagzeilen wie „Wenn Multikulti baden geht“ seien immer wieder gleiche Narrative aufgerufen worden, Krawalle in migrantischen Vierteln aufgebauscht und nicht eingeordnet worden. Der von Alice Schwarzer, CDU und AfD bestimmte Diskurs über das Selbstbestimmungsgesetz sei von Transfeindlichkeit geprägt, verbunden mit Rassismus.
Last not least wünschten die jungen Medienkritiker*innen sich in den Redaktionen viele diverse, progressive BIPoCs – Menschen mit Rassismuserfahrung, die auch ihre eigene Identität hinterfragen. Sie sollten geschlossen gegen den Rechtsruck stehen und sich dabei solidarisch unterstützen.