Politik und Journalismus stehen angesichts von Krisen und Kriegen vor großen Herausforderungen. Das Vertrauen in Medien sinkt. Speziell dem Hauptstadtjournalismus wird oft zu viel Nähe zur Regierung, zu wenig Nähe zu den Menschen nachgesagt. „Die Meute von morgen: Wie verändert sich politischer Journalismus?“ – unter diesem Titel diskutierten am 13. Februar Journalist*innen und Medienwissenschaftler*innen am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.
Der provokative Begriff „Meute“ bezieht sich auf eine filmische Dokumentation von Herlinde Koelbl aus dem Jahr 2001 (derzeit noch in der ARD-Mediathek verfügbar), eine kritische Reflexion über den Hauptstadtjournalismus. Damals, so erinnert sich Stephan Detjen, Leiter des Deutschlandfunk- (DLF) Hauptstadtstudio und Studio Brüssel, habe es eine regelrechte Konjunktur von kritischen Reflexionen zum Thema gegeben.
Zum Beispiel die Studie „Nervöse Zone“ von Lutz Hachmeister oder das Buch von Tagesspiegel-Redakteurin Tissy Bruns „Die Republik der Wichtigtuer“. Beide erschienen kurz nach dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin. Eine „ungewöhnliche Zeit, als die Redaktionen explodiert sind“, so Detjen, als viele Medien „die neue Hauptstadt als Markt für ihre Profilierung entdeckten“.
Meute sucht nach Beute
Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut (OSI), in sozialen Netzwerken unter @wahlforschung zu finden. Den Begriff „Meute“ findet er passend für die Befriedigung journalistischer Jagdinstinkte, wie sie vor allem die Hauptstadtpresse gelegentlich – etwa beim Sturz des kurzzeitigen (2010-2012) Bundespräsidenten Christian Wulff – ausgelebt habe.
Victoria Reichelt, generationsmäßig in der Alterskohorte der Millenials angesiedelt, sind derlei journalistische Ambitionen eher fremd. Sie will vor allem jüngere Mediennutzer*innen ansprechen, auch „solche, die nicht in Berlin leben und nicht auf Anhieb das komplette Kabinett aufzählen können“. Als Journalistin beim öffentlich-rechtlichen Jugendangebot funk („Die da oben“) teilt sie mit ihrer Zielgruppe eine klare „Distanz zu dieser Berliner Hauptstadtblase“. Die funk-Formate finde man auf TikTok, Instagram, YouTube oder Twitch. Das sei „der mediale Raum, in dem junge Menschen sich bewegen und sich eine Meinung bilden“.
Ulrike Demmer, Intendantin des Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), kennt den Betrieb von beiden Seiten: Erst als Journalistin, dann von 2016-2021 als stellvertretende Regierungssprecherin auf SPD-Ticket in der Großen Koalition der letzten Regierung Merkel. Sie registriert gelegentlich eine Diskrepanz zwischen dem „Jagdinstinkt“ und dem „Sagen, was ist“, ein Slogan des „Spiegel“, für den sie sieben Jahre gearbeitet hat. Die Neigung mancher Medien, lieber „zu jagen und Meinungen zu äußern“ als schlicht die Fakten zu recherchieren, begreift sie als Folge einer wachsenden Ökonomisierung des Journalismus und entsprechend schlechteren Arbeitsbedingungen.
Meinungsstärke boomt
Belohnt würden in digitalen Zeiten eher zugespitzte Überschriften und Meinungsstärke als die „Graustufe des ausgewogenen Berichts“. Anders als früher werde heute nicht mehr das Gesamtprodukt gemessen – in Auflage oder Quote – sondern jedes einzelne Stück, oft in Echtzeit. Aufgrund seiner Solidarfinanzierung sei der ÖRR dagegen dem öffentlich-rechtlichen Auftrag verpflichtet und stehe nicht unter dem „Zwang, mit Clickbating Auflage zu machen“.
Ein „content piece über die Schufa“ auf TikTok, ahnt Funk-Mitarbeiterin Reichelt, werde „wahrscheinlich nicht 1,5 Millionen Aufrufe generieren“. Dennoch greife man immer mal auch solche eher sperrigen Themen auf. Auch sie spürt den Druck, will sich aber insofern „der Marktlogik unterwerfen, als dass die produzierten Inhalte relevant sein müssen“, auch für 14jährige.
Früher war alles schlechter
„Nicht die Verhältnisse sind in der Neuzeit besser geworden, aber der politische Journalismus“, konstatiert Detjen. Sowohl die „Bräsigkeit der Bonner Republik“ – cognacgeschwängert, mit üppigem Spesenkonten und entsprechendem Machtgehabe – als auch die Meutephase der frühen Berliner Jahre habe die Profession hinter sich gelassen. Als gesicherte Erkenntnis gelte: „Wir können nur überleben, wenn wir profund sind, wenn wir diese komplizierte Welt glaubwürdig erklären.“ Das spiegle sich auch in der Qualitätspresse, in der die schnellen Nachrichtenteile immer mehr zugunsten der längeren Erklär-Stücke und Analysen zurückgedrängt würden. Problematisch: Ein großer Teil der Gesellschaft werde damit nicht mehr erreicht.
Aus Sicht der User*innen eröffne die heutige Möglichkeit des individualisierten Mediennutzung eine perfekte Welt, argumentierte Faas. Man bekomme ohnehin ein „algorithmisch vorkonfektioniertes Angebot“, könne in Sekundenbruchteilen über Gefallen oder Nichtgefallen entscheiden, erspare sich so „all den Mist, den ich eh noch nie sehen oder hören wollte“. Systemisch sei diese „Engführung“ allerdings ein Desaster. Die allgemeine Informationsbreite sei gering, und kaum einer wisse mehr, worüber die anderen reden. Insofern sei der politische Journalismus wahrscheinlich tatsächlich besser denn je, aber ohne die Breitenwirkung früherer Zeiten.
Politische Bildung als Teil von Journalismus
Guter Journalismus, der aber immer weniger Menschen erreicht? Gerade die Jüngeren erlebten eine Welt, die im Gegensatz zur Merkel-Ära als immer komplexer und ausdifferenziert erscheine. Es gebe wieder Kriege in Europa. Vor diesem Hintergrund sei es zwingend nötig, gerade auch politische Bildung als Teil des Journalismus zu verstehen. Da sie über TikTok und ZDF-Heute ein bekanntes Gesicht auf funk sei, werde sie oft ganz gezielt persönlich angesprochen: „Victoria, dieser Krieg in Nahost – kannst du uns mal erklären, was da in Gaza passiert!“
Die „Generationsabbruchkante“ beschäftigt auch Demmer. Auch der RBB versuche, die junge Generation auf social media zu erreichen. Allerdings wolle man sich nicht langfristig Portalen ausliefern, die möglicherweise irgendwann radikale Entscheidungen darüber treffen könnten, was überhaupt noch gesendet werde und was nicht.
Die Logik der Plattformen
Der Umstand, dass etablierte Medienunternehmen sich an Plattformlogiken anpassen müssen, um dort präsent zu sein, zeige die „Machtverschiebung, die wir gerade erleben, sagte Faas. Die Accounts einiger Institutionen hätten Millionen Follower. „Wir müssten viel mehr darüber reden, welche Macht in den Händen dieser Plattformbetreiber und -inhaber liegt“. Für eine Demokratie seien das kritische Infrastrukturen, die einer gesetzlichen Regulierung bedürften.