Buchtipp: Hinter der Weltbühne

„Was weder die Nationalsozialisten noch die SED erreicht hatten, wurde 1993 im wiedervereinigten Deutschland Realität: Die Weltbühne, Budzislawskis Lebensprojekt, war endgültig am Ende.“ So schließt das Buch von Daniel Siemens, das sowohl die „vielleicht bedeutendste Politik- und Kulturzeitschrift der Weimarer Republik“ als auch den Namen eines ihrer Chefredakteure im Titel trägt. Leben und Selbstinszenierungen Hermann Budzislawskis, eines „Mannes der zweiten Reihe“, stehen erklärtermaßen im Zentrum. 

Andere Herausgeber der „Weltbühne“ – der Theaterkritiker Siegfried Jacobsohn, der Schriftsteller Kurt Tucholsky oder der Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky – seien „noch heute ein Begriff. Budzislawski aber ist so gut wie unbekannt.“ Mit dieser These startet die umfangreiche Darstellung auf den Spuren des Mannes, der seit 1934 im Prager und später Pariser Exil die „Neue Weltbühne“ herausbrachte.

Erzählt werde die Geschichte „eines preußischen Juden, der mit harter Arbeit, Geschick und Rücksichtslosigkeit an die Spitze der Neuen Weltbühne gelangte und für Jahrzehnte den deutschsprachigen Journalismus nachhaltig prägte“, heißt es im Prolog des Buches. Das Versprechen wird in vieler Hinsicht gehalten. Historiker Siemens, ein exzellenter Rechercheur, hat eine gewaltige Fülle von Details aus schriftlichen und persönlichen Quellen aufgetan, Querverbindungen hergestellt und akribisch Zusammenhänge erschlossen. Allein Fußnoten, Literaturverzeichnis, Sach- und Personenregister umfassen mehr als 100 Buchseiten. Doch akademisch-trockene Lektüre liefert er nicht. Der Mann kann fabulieren! Er weiß um die Wirkung von Anekdoten und Spannungsbögen, zieht mit seiner lockeren, stilistisch gekonnten Erzählweise in Bann. 

Davon konnte man sich schon bei Lesungen und Buchvorstellungen überzeugen, etwa im Frühjahr bei einer Reihe von Veranstaltungen des Aufbau-Verlages als Ersatz für die ausgefallene Leipziger Buchmesse. Auf einem Berliner Podium charakterisierte der Autor Budzislawski als „altes Rennpferd“, dessen Liebe stets dem Journalismus gegolten habe, der nach 1950 – aus den USA in die DDR zurückgekehrt – auf jede Gelegenheit setzte, sich als Chefredakteur neuer Zeitungsprojekte zu profilieren, doch höherer Weisung gemäß jahrzehntelang vor allem als Dekan der Leipziger Fakultät zur „Verwissenschaftlichung des Journalismus“ beigetragen habe.

Auch dieser Lebensabschnitt wird im Buch beleuchtet. Man erfährt von  Lehr- und Leitungstätigkeit an der Universität, gleichzeitigen regelmäßigen Rundfunkkommentaren und öffentlichen Vorträgen Budzislawskis, von seiner großen Wohnung und deren Möblierung. Davon, dass der Liberalere im „jahrelangen Machtkampf mit post-stalinistischen Hardlinern“ schließlich unterlag. Für sein wissenschaftliches Wirken gibt es noch Zeitzeugen, und Siemens hat selbstverständlich auch ehemalige Assistenten Budzislawskis befragt. Klar wird, dass ihr Chef seinerzeit durchaus prägend auf sie wirkte, dass sie sich zugleich von ihm ausgenutzt fühlten, indem der ihre Ausarbeitungen benutzte, umschrieb und schamlos als eigene ausgab. Das habe selbst für das 1966 erschienene Grundlagenwerk „Die sozialistische Journalistik. Eine wissenschaftliche Einführung“ gegolten. 

Arbeit, Geschick und Rücksichtslosigkeit

Das wundert keine Leser*in. Schon zuvor ist hinlänglich klargemacht, dass Budzislawski die eigene Position und den Umgang mit fremdem geistigem Eigentum immer eher taktisch gesehen hat und wenig Skrupel kannte. Sicherte er doch selbst im Exil jahrelang den Familienunterhalt dadurch, dass er der einflussreichen New Yorker Star-Journalistin Dorothy Thompson unerkannt zuarbeitete. Nachträglich, im heraufziehenden Kalten Krieg, denunzierte er diese geschäftliche Win-Win-Partnerschaft im „Neuen Deutschland“ dann unter dem reißerischen Titel „Ich war Amerikas berühmteste Frau“.

Den Hauptteil des Buches nimmt freilich das Wirken an der „Weltbühne“ ein, das den eigentlichen Journalisten Budzislawski hervorbrachte und im Alter eine fast überraschende Fortsetzung erfuhr, als der Emeritus von 1967 bis 71 nochmals auf den Chefposten des traditionsreichen kleinformatigen Blattes zurückkehrte. Wie ein Krimi liest sich Budzislawskis erstmalige Übernahme der Chefredaktion der nach Prag exilierten „Neuen Weltbühne“, für die er mit der damaligen Eigentümerin, der Witwe des Blatt-Gründers Jacobsohn, Ende 1933 in Zürich den Schlachtplan entworfen hatte. Der Coup glückte: Ab März 1934 stand das linke SPD-Mitglied, der Berliner Fleischersohn und promovierte Kaufmann Hermann Budzislawski, der sich bis zu seinem 33. Lebensjahr in verschiedenen Gelegenheitsjobs und nicht sonderlich umfangreicher publizistischer Tätigkeit geübt hatte, an der Spitze einer der wichtigsten deutschsprachigen Exilzeitschriften. Ihren akut beklagenswerten Zustand – „So ein versauter Betrieb! Kein Geld! Und viele Feinde! Und schlechte Autoren!“ – gelang es ihm, tatkräftig und durchaus erfolgreich zu ändern. Außerdem erwarb der „aus dem Nichts aufgetauchte Niemand“, wie andere Exiljournalisten wetterten, zuerst wesentliche Anteile und wurde nach weiterem robustem Ausstechen von Widersachern Quasi-Eigner der „Neuen Weltbühne“. 

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre bis zur erzwungenen Einstellung 1939 agierte das Blatt unter Budzislawski antifaschistisch und setzte sich explizit für eine Volksfront gegen Hitler ein. Der Chefredakteur selbst gehörte dem in Prag gegründeten „Volksfrontauschuss“ an, in dem Kommunisten und linke Sozialdemokraten auch eine Verständigung mit der Sowjetunion suchten. Es brachte ihm Vorwürfe, ein „kommunistischer Agent“ oder „Stalinist“ zu sein. Dass er sich und die Zeitschrift je auf einen parteipolitischen Kurs verpflichtet habe, wies Budzislawski zeitlebens zurück. Doch verhinderte sein Beharren auf Unabhängigkeit später wohl auch eine direkte Rückkehr an die 1946 in (Ost)Berlin neu gegründete „Weltbühne“, bei der permanent Eigentumsstreitigkeiten schwelten.

Das Konzept des Buches, Budzislawskis Biografie vor dem Hintergrund der „Weltbühne“ zu erzählen, lässt allerdings auch Wünsche offen: Über redaktionelle Inhalte und Ausrichtung der Zeitschrift erfährt man – wie über andere Arbeiten des Journalisten und Wissenschaftlers Budzislawski – letztlich doch nur kursorisch. Und, vielleicht schwerwiegender: Auch über das, was Budzislawski in seinem bewegten Leben, das explizit vor den Hintergrund des 20. Jahrhunderts gestellt wird, wirklich angetrieben hat, welche geistigen und emotionalen Kämpfe oder Ängste er mit engen Vertrauten oder sich selbst im Spagat zwischen politischer Anpassung und Widerstand ausgestanden haben mag, gibt das Buch letztlich wenig Auskunft. Budzislawski wird als Schlawiner, Überlebenskünstler, Streber, öffentlicher Intellektueller, Mann zwischen allen Stühlen, unermüdlich an seinem Platz in der Geschichte arbeitender politischer Publizist, Vortragsreisender in diplomatischer Mission und Doyen des Journalismus der DDR bezeichnet, bleibt jedoch als „unpersönliche Persönlichkeit“ am Ende eigentümlich blass. Das mag an seiner Zugehörigkeit zu einer „verschwiegenen Generation“ liegen, aber auch charakterliche Gründe haben. Der kleine Mann mit der Fliege wollte sich nie in die Karten schauen lassen, erklärt der Biograf. Und zitiert aus einem Brief Budzislawskis von 1936: „Das Malheur ist gewesen, dass ich über alle Beteiligten immer sehr viel gewusst habe, die anderen aber nichts über mich.“ Wenigstens in Teilen gilt das nun nicht mehr.

Daniel Siemens: Hinter der Weltbühne. Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert. Aufbau-Verlag Berlin 2022, 413 Seiten, 28 Euro, ISBN: 978-3-351-03812-0

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