Eine Zeitung druckt einen kritischen Artikel, dann flattert eine Abmahnung ins Haus: Expert*innen warnen davor, dass die Versuche, mit rechtlichen Mitteln gegen journalistische Berichte vorzugehen, der Pressefreiheit nachhaltigen Schaden zufügen können. Welche Erfahrungen es mit Einschüchterungsversuchen aufgrund kritischer Berichte gibt und was die Medienbranche dem entgegensetzen kann – darum ging es beim jüngsten Medien-Meeting der dju in ver.di.
Eine Unterlassungserklärung, ein Warnschreiben oder der Gang vor Gericht – dass juristische Mittel eingesetzt werden, um eine ungewünschte Berichterstattung zu beeinflussen oder zu verhindern, ist längst keine Ausnahme mehr. Gleichzeitig sind immer weniger Medienunternehmen bereit oder in der Lage, bis in höchste Instanzen für ihr Recht zu streiten.
„Eine immer weiter erstarkende Anwaltschaft“ treffe auf eine „kriselnde Verlagslandschaft, die an den einzelnen Artikeln ein nicht so großes Interesse hat“ – so formuliert es Sarah Lincoln, Juristin und Fallkoordinatorin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF). Sie war eine der beiden Gäste im jüngsten Medien-Meeting der dju in ver.di. Das Thema: „Wenn die Pressefreiheit zum Kostenfaktor wird“.
Wenn ein Unternehmen oder eine prominente Person einen journalistischen Bericht verhindert, mag das zunächst wie ein Einzelfall wirken. Sarah Lincoln beobachtet allerdings eine „schleichende Verschiebung des Presserechts“, die sich zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auswirke – und zulasten der Pressefreiheit. Dabei bezieht sie sich auf eine Studie, die die GFF im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Otto Brenner Stiftung veröffentlicht hat. Die unter dem Titel „Wenn Sie das schreiben, verklage ich Sie“ erschienene Untersuchung beschäftigt sich mit präventiven Anwaltsstrategien gegenüber Medien – also dem Versuch, einen Bericht vor der Veröffentlichung zu verhindern oder Einfluss auf dessen Inhalt zu nehmen.
Grundlegende Entscheidungen angemahnt
Sarah Lincoln berichtete von einer Erkenntnis zu der die Studie eher nebenbei gekommen sei, die es aber in sich hat: Wenn immer weniger Verlage bereit seien, für ihr Recht auch vor die höchsten Gerichte zu ziehen, dann fehlten grundlegende Entscheidungen zur Meinungs- und Pressefreiheit. Lincoln: „Dann kann Pressefreiheit in ihrer rechtlichen Entwicklung auf der Strecke bleiben.“
Die Juristin nutzte die Runde, um eine Idee vorzustellen, die aus der Studie entstanden ist: Denkbar sei es, einen Zusammenschluss zu bilden, etwa in Form eines gemeinsamen Pressefreiheitsfonds. „Die Idee ist, dass dieser Fonds jährlich drei bis fünf Verfahren finanziert, die von grundsätzlicher Bedeutung für die Entwicklung der Meinungs- und Pressefreiheit identifiziert werden.“ Verlage, Medienhäuser und Rundfunkanstalten würden sich verpflichten, dem Fonds wichtige Verfahren zu melden. Bei Bedarf könnten sie eine Finanzierung bekommen, über die ein ehrenamtliches Gremium an Expert*innen entscheide.
Das Beispiel „Prinzenfonds“
Einen Rechtshilfefonds, der sich der Meinungsfreiheit verschrieben hat, gibt es bereits – allerdings bezogen auf einen konkreten Fall: Das Portal Frag Den Staat hat vor etwa einem halben Jahr den „Prinzenfonds“ ins Leben gerufen. Er unterstützt Menschen, die wegen Aussagen über das Haus Hohenzollern abgemahnt und verklagt werden. Zugeschaltet im Medien-Meeting war Arne Semsrott, Projektleiter von Frag Den Staat. Er berichtete, dass das Portal selbst Abmahnungen der Hohenzollern erhalten habe. „Wir haben schnell festgestellt, dass es viele Menschen gibt, die auch schon abgemahnt wurden“, sagte Semsrott. „Das betrifft im Falle Hohenzollern ein breites Spektrum von Leuten, die publizistisch tätig sind“ – von Historiker*innen über Blogger*innen, kleine und große Medien bis zu Landtagsfraktionen und Verbänden. Semsrott betonte, dass er und sein Team von der Tragweite der Abmahnungen nur erfahren hätten, weil sie selbst betroffen seien und entsprechende Informationen über ihre Anwält*innen bekommen hätten. „Wir haben das nicht durch die Öffentlichkeit mitbekommen.“ Denn viele hätten große Angst, dass ihre Fälle publik werden, unter anderem weil sie weitere Abmahnungen von Georg Friedrich Ferdinand Prinz von Preußen fürchteten.
Auch die dju in ver.di habe bereits Abmahnungen aus dem Haus Hohenzollern bekommen, berichtete dju-Bundesgeschäftsführerin Monique Hofmann, die das Medien-Meeting moderierte – und zwar für bestimmte Formulierungen in einer Pressemitteilung und in einem Artikel des Medienmagazins „M“. In beiden Fällen sei es um die Unterstützung der dju für den Prinzenfonds gegangen. Einer der Fälle werde derzeit vor Gericht verhandelt. Falls nötig, werde man Berufung beim Kammergericht einlegen, also in die nächste Instanz gehen, kündigte Hofmann an.
Ein Teilnehmer des Medien-Meetings räumte in der anschließenden Diskussion ein, dass ihm die Problematik in diesem Ausmaß bislang nicht bewusst gewesen sei. Er plädierte dafür, Fälle von Abmahnungen verstärkt publik zu machen. „Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Öffentlichkeit mehr Informationen dazu bekommt.“
Die besondere Situation freier Journalist*innen
Andere Teilnehmer verwiesen auf die besondere Stellung freier Journalist*innen. Eigentlich, sagte ein Journalist, seien die Verlage in rechtlichen Fragen verantwortlich. Doch mittlerweile gebe es Verlage, die durch Regressklauseln in Verträgen mit Freien versuchten, ihre Zuständigkeit in möglichen Konfliktfällen von vornherein auszuschließen. Auf dieser Grundlage könnten anwaltliche Warnschreiben ihre volle Wirkung entfalten.
Laut Sarah Lincoln komme es durchaus vor, dass Anwält*innen vorab versuchen, eine Berichterstattung zu vermeiden, indem sie sich direkt an freie Journalist*innen wenden, nicht an das Medienhaus, für das diese arbeiten. Dabei gebe es verschiedene Strategien: die Androhung rechtlicher Mittel, aber auch eine „Kooperationsstrategie“, in der sie etwa durch Hintergrundgespräche versuchen, auf den Inhalt des Berichts einzuwirken.
Die Verantwortung der Verlage in rechtlichen Fragen betonte auch dju-Bundesgeschäftsführerin Monique Hofmann. Sie fände es problematisch, wenn der vom GFF vorgeschlagene Pressefreiheitsfonds die Verlage und Medienhäuser aus ihrer Verantwortung entlasse – besonders in finanzieller Hinsicht. „Man muss gucken, dass die Lasten gerecht verteilt werden“, sagte Sarah Lincoln dazu. Ziel sei es nicht, Spenden zu sammeln, um Verfahren für große Verlage zu finanzieren. Es gehe auch darum, kleinere Medien zu unterstützen. Die Frage der Finanzierung sei bislang ein „Knackpunkt“ – im Gespräch seien Mitgliedsbeiträge, Spenden und die Zusammenarbeit mit größeren Geldgebern.
Auf Spenden setzt auch der Prinzenfonds. Bislang seien über 50.000 Euro zusammengekommen, sagte Arne Semsrott. Mit diesem Geld könne man Betroffenen in einem Rechtsstreit Sicherheit bieten und die Zusage geben, dass man im Falle einer Niederlage die Kosten des Verfahrens übernehmen werde. Noch wichtiger als das Geld sei aber etwas Anderes, betonte Semsrott: Der Prinzenfonds diene als zentrale Anlaufstelle, damit Betroffene nicht mehr auf sich allein gestellt seien.
Dieses dritte in der Reihe der Medien-Meetings soll nicht das letzte sein, kündigte Monique Hofmann an. Die digitalen Treffen seien bei den Teilnehmer*innen so gut angekommen, dass weitere folgen werden.