Filmtipp: Kinostart von „Wer wir waren“

"Wer wir Waren" - ein Dokumentarfilm von Marc Bauder nach der Buchvorlage von Roger Willemsen. Foto: X Verleih

Was werden zukünftige Generationen über uns denken, wenn wir bereits Geschichte sind? Marc Bauders kürzlich auf dem „Summer Special“ der Berlinale uraufgeführter Dokumentarfilm „Wer wir waren“ startet jetzt im Kino. Der Film begleitet sechs Denker*innen und Wissenschaftler*innen von den Tiefen des Ozeans bis in die Weiten des Weltraums und lässt sie über die Gegenwart und Zukunft der Welt reflektieren. Eine philosophische Annäherung an die Ursachen und Folgen des globalen Kapitalismus.

Der Schriftsteller und Moderator Roger Willemsen (1955 – 2016) arbeitete bis kurz vor seinem Tod an einem neuem Buch. Es sollte „Wer wir waren“ heißen und unsere Gegenwart betrachten – eine Art Rückblick aus der Zukunft. Als Willemsen im Sommer 2015 schwer erkrankte, stellte er die Arbeit an seinem Text ein. Doch zentrale Gedanken des Buchprojektes stecken in seiner „Zukunftsrede“. Marc Bauder griff die Gedanken Willemsens in seinem gleichnamigen Dokumentarfilm auf und möchte dazu aufrufen, sich nicht mit dem gegenwärtigen Zustand der Welt einverstanden zu erklären.

Der Planet ist Tag für Tag aufs Neue einem global zerstörerischen ökonomischen System ausgeliefert, der Klimawandel ist eines der Symptome mit der medial zurzeit höchsten Schlagzahl. Bauder geht es in seinem Dokumentarfilm nicht darum, mehr Infos zum Thema zu liefern. Um die Komplexität der Wechselwirkungen zwischen globalem Kapitalismus und dem Klimawandel mit all seinen sozialen Folgen zu erläutern, lässt er lieber mitwirkende Denker*innen unabhängig voneinander räsonieren: Der Ökonom Dennis Snower und der buddhistische Mönch Matthieu Ricard verbinden Aktivismus mit wissenschaftlicher und spiritueller Weltergründung. Hinzu kommen die Feministin Janina Loh und der senegalesische Sozialwissenschaftler Felwine Sarr. Man könne nur bedingt einen aktuellen Film über den Zustand der Welt machen, ohne die Perspektive aus Afrika oder Geschlechter- und Altersfragen einzubinden, begründet Marc Bauder seine Auswahl der Protagonist*innen. „Ich wollte meine Fragestellungen auffächern, Echoräume und Projektionsflächen im Spannungsfeld zwischen Natur, Wissenschaft und Technologie schaffen“, sagt Bauder. Dazu gehört auch der räumliche Blick der Meeresbiologin Sylvia Earle und der des Astronauten Alexander Gerst aus dem All auf unseren Globus. „Hier sieht man wie klein der Amazonas Regenwald ist und das ist die grüne Lunge des Planeten“, kommentiert Gerst den sichtbar großflächig aufsteigenden Rauch von den Brandrodungen in dieser Region.

„Wer wir waren“ bewegt sich irgendwo in der Grauzone zwischen Dokumentarfilm und Filmessay, den ausgewählten Zitaten Willemsens folgend. Bauder hat dessen Fabulierkunst in eine ruhige, fast meditative Montage von miteinander korrespondierenden Bildern übersetzt: Hier die Philosophierenden und dort atemberaubende Aufnahmen von den äußersten Punkten unserer Biosphäre. Bauder verzichtet auf die apokalyptischen Bilder, die wir aus den Nachrichten kennen: „Es geht in einem Film immer darum, die beste Form für ein Thema zu finden. Bei ´Wer wir waren´ ist es eine sehr emotionale. Kunst kann es schaffen, über die Emotionalisierung des Gemeinschaftsgefühls eine Aktivierung anzuregen, fernab davon, ganz konkrete Lösungen anzubieten.“

„Wer wir waren“ – Regie & Buch: Marc Bauder, Dokumentarfilm, Deutschland 2021, 114 Min. Kinostart: 8. August 2021

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Buchtipp: Sprache des Kapitalismus

Über gendersensible Sprache läuft schon seit Jahren eine hochemotionale Debatte. In Bayerns Schulen, Hochschulen und Behörden gilt seit dem 1. April sogar ein Genderverbot. Über Begrifflichkeiten wie „steigende Preise“ oder Finanzkrisen, die wie ein „Tsunami“ über uns kommen, wird dagegen weniger gestritten. Sie beherrschen längst unser Denken und Sprechen, sind in unseren Alltag eingedrungen. Wer in diesem Wirtschaftssystem sozialisiert wurde, nutzt sie automatisch, ohne weiter darüber nachzudenken.
mehr »

Von Erbsensuppe und neuen Geschichten

„Vielfalt schützen, Freiheit sichern – 40 Jahre duale Medienordnung im föderalen Deutschland“. Dies war das Thema des Symposiums, das am 23.  April in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften stattfand. Ausrichter war die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM).  Teilnehmer waren Verantwortliche aus Medienpolitik und -wissenschaft, Rundfunkregulierung und Medienunternehmen.
mehr »

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

Italien: Neun Jahre Haft für Recherche?

Drei Reporter*innen der italienischen Tageszeitung Domani müssen mit bis zu neun Jahren Gefängnis rechnen. Die Staatsanwaltschaft Perugia ermittelt gegen sie, weil sie vertrauliche Dokumente von einem Beamten angefordert und erhalten und das Geheimhaltungsprinzip der Ermittlungen verletzt haben sollen. Die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll kritisierte, dass „hier investigative Berichterstattung über Mitglieder der italienischen Regierung unterdrückt werden soll."
mehr »